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Kultur: Beutekunst: Unrecht Gut

Die Rückgabe geraubten jüdischen Kunstbesitzes an die Eigentümer beziehungsweise deren Erben zählt zu den Aufgaben, die - wie es scheint - erst ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Nazi-Regimes in vollem Umfang erkannt worden sind. Die international besetzte Washingtoner Holocaust-Konferenz vom Dezember 1998 hat der moralischen Empörung über die unerledigte "Wiedergutmachung" mit ihren Richtlinien gangbare Lösungswege aufgezeigt.

Die Rückgabe geraubten jüdischen Kunstbesitzes an die Eigentümer beziehungsweise deren Erben zählt zu den Aufgaben, die - wie es scheint - erst ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Nazi-Regimes in vollem Umfang erkannt worden sind. Die international besetzte Washingtoner Holocaust-Konferenz vom Dezember 1998 hat der moralischen Empörung über die unerledigte "Wiedergutmachung" mit ihren Richtlinien gangbare Lösungswege aufgezeigt.

So sind denn in jüngster Zeit mehrere Kunstwerke aus deutschem Museumsbesitz - mithin aus dem Eigentum der öffentlichen Hand - an anspruchsberechtigte Erben zurückgegeben worden. Die in Berlin ansässige Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die als größter deutscher Museumsverbund eine Leitfunktion ausübt, ging voran; Häuser in Köln, Emden, München und andernorts folgten. Erst vor einem Monat wurden in Berlin Werke aus Hannover und Leipzig restituiert - in Anwesenheit des amerikanischen Botschafters und des Kulturstaatsministers Michael Naumann, was dem feierlichen Akt politisches Gewicht verlieh.

Naumann war es auch, der im April diesen Jahres die umfassende Offenlegung aller ungeklärten Provenienzen und Eigentumsverhältnisse im deutschen Museumswesen unter anderem über das Internet ankündigte. Die Ende 1999 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden verabschiedete "Erklärung zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" erfährt ihre praktische Umsetzung.

In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, erst jetzt trete das Problem möglicherweise unrechtmäßigen Erwerbs von Kunstwerken zu Tage. Dem ist nicht so. Das - maßgeblich auf alliierte Anordnung gefasste - "Wiedergutmachungsrecht" der jungen Bundesrepublik hatte erhebliche Ausgleichsleistungen zur Folge. Zuvor bereits war Nazi-Beute von alliierten Stellen so weit als möglich zurückgegeben worden. Die deutsche Wiedervereinigung, die die Eigentumsfrage für auf dem Boden der DDR befindliches Gut stellte, für das bis dahin keinerlei Rechtsweg offen gestanden hatte, mag zur Vermengung der unterschiedlichen Ausgangslage in West und Ost geführt haben; desgleichen Vorfälle in Frankreich und Österreich, wo Museen die Herkunft anfechtbaren Kunstbesitzes in voller Absicht verschleiert hatten. In deutschen Museen stellt sich eher das Problem lückenhafter Provenienzen: Wer wann unter welchen Umständen was veräußerte, ist vielfach nicht dokumentiert.

Derzeit ist die Naumann-Behörde gemeinsam mit Ländern und Kommunen dabei, eine "Handreichung" zu erarbeiten, die den Museen einen Weg durch den Dschungel der Einzelfallproblematik weisen soll. Dazu ist es es höchste Zeit, gibt es doch bereits Vorfälle, die die betroffenen Museen in den Verdacht rücken, auf unrechtmäßigen NS-Erwerbungen beharren zu wollen.

Rückgabe und Rückkauf

Die Kulturstiftung der Länder ergriff jetzt die Initiative und rief Vertreter des von besagtem Vorwurf betroffenen Duisburger sowie eines Karlsruher Museums, aber auch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie den mit der Materie bestens vertrauten Rechtsanwalt Peter Raue nach Berlin, um den gegenwärtigen Stand der Sachlage darzustellen. Vizepräsident Norbert Zimmermann berichtete, dass die Preußen-Stiftung bis 1989 in keinem einzigen Fall mit Restitutionsforderungen konfrontiert worden sei, da nach bundesdeutschem Wiedergutmachungsrecht derartige Fälle bis 1961 - also vor Errichtung der Stiftung - abzuschließen waren. Erst 1998 wurde ein individueller Herausgabeanspruch gestellt: Die Erben des Breslauer Sammlers Max Silberberg forderten eine Zeichnung van Goghs und ein Gemälde von Hans von Marées zurück, die 1935 unter Zwang versteigert und von der Nationalgalerie direkt erworben worden waren. Die Stiftung entschloss sich, diese Werke zu restituieren, wobei das für die Berliner Sammlung wichtige Gemälde umgehend zurückerworben werden konnte.

Ein grober Überblick über weitere, in der Folge vollzogene Rückgaben aus deutschen Museen zeigt, dass solche Nacherwerbungen verschiedentlich zu Stande kamen. Die im Begriff der Restitution mitschwingende Vorstellung der Rückgabe eines widerrechtlich entbehrten Gegenstandes an den mit dessen Besitz emotional verbundenen Alteigentümer ist ein schöner Schein. Tatsächlich sind die jeweiligen Erben respektive Erbengemeinschaften an dem Kunstgegenstand selbst oft nicht interessiert, sondern wollen eine finanzielle Entschädigung für das ihrem Vorfahren zugefügte Unrecht. Das ist vollkommen legitim; lenkt aber den Blick auf bereits erfolgte Wiedergutmachungsleistungen, die - was gern übersehen wird - nach bundesdeutschem Recht in den fünfziger Jahren zahlreich erbracht worden sind.

So stellte sich beispielsweise in einem von der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe vorgetragenen Fall heraus, dass zwei in den sechziger Jahren aus amerikanischem Privatbesitz erworbene Rubens-Gemälde zwar verfolgungsbedingt im Jahre 1935 veräußert worden waren, die Erben des ursprünglichen Eigentümers Jakob Oppenheimer jedoch 1953 einen Vergleich mit dem Zwischenbesitzer geschlossen hatten. Nachdem das Museum dies den anspruchstellenden Erben mitgeteilt hatte, zogen deren Anwälte den Restitutionsantrag umgehend zurück.

Noch verworrener ist die Situation bei dem inkriminierten Duisburger Gemälde "Buchsbaumgarten" von Emil Nolde. Das Bild wurde in den zwanziger Jahren von dem Breslauer Rechtsanwalt Ismar Littmann erworben, dessen bedeutende Sammlung von der Witwe 1935 zur Versteigerung gegeben wurde - zweifellos im Hinblick auf die geplante Emigration und insofern verfolgungsbedingt. Nun erwarb aber der - gleichfalls jüdische - Bankier und Sammler Heinrich Arnhold aus Dresden insgesamt nicht weniger als 90 Kunstwerke aus der Auktion bei Max Perl in Berlin. Arnholds Witwe konnte dessen Sammlung in die Emigration retten, von wo aus sie das Nolde-Bild 1956 nach Stuttgart zur Versteigerung gab.

Da nun kommt das Duisburger Lehmbruck-Museum ins Spiel. Seine Erwerbung war 1956 nicht nur im juristischen Sinne gutgläubig, sondern schien auch moralisch unbedenklich - bis 1999 Ruth Haller, die Tochter Littmanns, namens einer Erbengemeinschaft das Bild zurückfordert (allerdings sofort einen 20-prozentigen Preisnachlass gegenüber dem Marktpreis bei Rückkauf durch das Museum anbietet). Mehrere Bilder erhielt Frau Haller aus anderen Museen umgehend zurückerstattet, darunter solche, die von der Gestapo noch vor der Auktion von Anfang 1935 beschlagnahmt worden waren. Die Restitution erfolgte unbeschadet der Tatsache, dass für diese Werke 1961 und 1965 Entschädigungen im Zuge von Teilvergleichen mit den Erben geleistet worden waren. Das Duisburger Bild fiel nicht darunter, weil dessen Veräußerung rechtlich nicht zu beanstanden war. Die Witwe des Sammlers hatte über das Bild und dessen - marktüblichen - Erlös frei verfügen können.

Nun meldete sich Henry Arnhold zu Wort - und wies die Unterstellung, die Erwerbungen seines Vaters Heinrich seien unredlich gewesen, entschieden zurück. Dieser hätte wohl kaum noch im Februar 1935 besagte 90 Kunstwerke erworben, wenn er die Rechtmäßigkeit der Auktion hätte bezweifeln müssen. Auf diese Redlichkeit Arnholds durfte das Museum bei seinem Erwerb 1956 vertrauen. Dementsprechend lehnt es das Rückgabebegehren der Erbengemeinschaft ab - und sieht sich nun öffentlich an den Pranger gestellt.

Die juristische und die moralische Bewertung des aus jüdischem Alteigentum in öffentliche Museen gelangten Kunstbesitzes klaffen auseinander. "Keiner der Fälle", so Jurist Peter Raue bündig, "wäre heute vor einem Gericht einklagbar zu lösen." Die - hier zu Lande nach 30 Jahren eintretende - Verjährung schützt den gutgläubigen Erwerber. Ferner sind Rückgabeforderungen unstatthaft, wenn bereits eine Entschädigung geleistet worden ist, die wiederum allein auf Grundlage eines aus freiem Willen geschlossenen Vergleiches möglich war. Die Hintanstellung formaljuristischer Einwände gegen Herausgabebegehren, wie sie die Washingtoner Konferenz gefordert hat, räumt also nicht in jedem Fall unbillige Hürden aus dem Weg, sondern setzt ihrerseits fallweise ins Unrecht - die Museen, in Zukunft womöglich auch Privatsammler, die sich der Unanfechtbarkeit ihrer Erwerbungen nicht mehr sicher sein können.

Der Wunsch, die furchtbare Geschichte des NS-Regimes wenigstens auf diesem überschaubaren Feld des Kunstbesitzes rückgängig, im Wortsinne "wieder gut" zu machen, ist ebenso verständlich wie problematisch. Die angestrebte "Handreichung" wird ein ausführliches "Prüfraster" enthalten, um im Gemenge von Gesetzeslage und Moral die verlorene Rechtssicherheit wiederherzustellen. Ohne sie wird die politisch motivierte Großherzigkeit von heute nur neue Ungerechtigkeiten schaffen.

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