zum Hauptinhalt
Willkommen in der Zukunft. Auch unsere Kommunikationsgeräte sollen dienstbare Geister sein, die bald womöglich weniger auf Berührung als auf Zuruf reagieren. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Kultur: Bezaubernde Siri

Sprechende Telefone, singende Schultafeln, gedankenlesende Autos: Bald können wir alles intuitiv bedienen. Aber verstehen wir die Dinge dann auch noch?

Die Dame kennt keinen Feierabend und keine Widerworte. Dafür reagiert sie beflissen auf jeden Satz, der mit dem aufmerksamkeitsheischenden Appell „Computer!“ beginnt. Willkommen in der Zukunft, die wie immer weiblich ist. Siri, die Sprachassistentin des iPhones, ist erst wenige Wochen alt. In Kürze soll sie Konkurrenz bekommen: von einer Google-Kollegin. Zwar kennt auch das Google-Betriebssystem Android den Sprachbefehl schon länger, allerdings war er bislang noch mit Ansagen wie „schicke Text an“ oder „sende SMS“ verbunden. Das war zu umständlich.

Wenn es einen Leitgedanken des digitalen Fortschritts gibt, dann lautet er: Alles soll noch viel leichter zu bedienen sein. Weg mit den technischen Hürden oder faustdicken Bedienungsanleitungen. Niemand will sich einem Gerät rational nähern. Intuitive Interaktion heißt das Zauberwort. Das Ding soll mich verstehen und ich das Ding. Auf der ersten Blick und im Schlaf, sozusagen.

Aber wie wird die Kommunikation konkret aussehen? Zur Jahreswende blühten die Prognosen mal wieder besonders farbenfroh. Kevin Kelly, Gründer des „Wired“-Magazins und erprobter Netz-Prophet, nennt unter anderem Screening und Interacting als zwei der wichtigsten Zukunftstrends. Alles wird Bildschirm – und kann dann per Stimme oder Gestik gesteuert werden. Dazu passt ein Forschungsprojekt von Microsoft namens „Wearable Multitouch Interaction“. Es ist eine Kamera plus Projektor, die der Nutzer auf seiner Schulter installiert. Der Projektor kann jede beliebige Oberfläche – egal ob Hand, Tisch oder Buch – zum Display umfunktionieren. Allein durch die Bewegungen der Finger in der Luft, die die Kamera wiederum aufnimmt und interpretiert, interagiert der Nutzer dann mit der Projektion.

Langsam, so scheint es, zieht die Gegenwart mit der Fiktion gleich. Seit Jahrzehnten kreisen die Visionen von ScienceFiction-Filmen und -Literatur um die reibungslose Verständigung von Menschen und Maschine. Die Lochkarte, die Tastatur, der Button: nichts als Krücken, umständliche Übersetzer des menschlichen Willens in Codes. Die Fantasie war dem Fortschritt da stets drei Armlängen voraus. Medientheoretiker Marshall McLuhan hat schon in den sechziger Jahren die Formel dafür geliefert: „Die elektrische Schaltungstechnik, eine Erweiterung des Zentralnervensystems“ heißt es in „Das Medium ist die Massage“. Am Ziel jeder Fortschrittsutopie stand stets der Mensch, der mit den Benutzeroberflächen so natürlich verschmolzen ist, dass die Schnittstellen ihn nicht mehr plagen.

Ausgerechnet die Sprachsteuerung, auf der zurzeit viele Hoffnungen ruhen, könnte sich dabei allerdings als Sackgasse entpuppen. Die Sprechakttheorie lässt grüßen: Wenn schon der Ehegatte nicht versteht, dass „mir ist kalt“ keine Feststellung, sondern eine Aufforderung zum Fensterzumachen bedeutet – wie soll das Smartphone das jemals begreifen? Sprache, egal wie deutlich artikuliert, erzeugt Missverständnisse. Von Dialekten und Ironie ganz zu schweigen.

Erfolgversprechender ist die Geste, die an physikalische Urerfahrungen anknüpft. Materie, das begreift buchstäblich jedes Kleinkind, reagiert ziemlich zuverlässig auf Krafteinwirkung: Man kann Dinge herholen, wegschieben, stapeln, umstoßen. Smartphones und Tablet-PCs, denen der Branchenverband Bitkom übrigens fulminante Verkaufszahlen für 2012 vorhersagt, tun deshalb gerne so, als seien sie innen aus Wackelpudding und Sprungfedern. Auch hier kann man alles auseinanderziehen, zusammendrücken, drehen, rütteln und rumschubsen. Kein Wunder, dass auf Youtube Filmchen boomen, die Babys und Haustiere als iPad-Experten zeigen.

Die frühe Sozialisierung am Gerät ist pädagogisch nur konsequent. Auf das Leben in einer Bildschirmwelt sollte man vorbereitet sein. Im technikbegeisterten Südkorea werden gerade die Schulbücher abgeschafft, bis 2015 soll es nur noch digitale Lernmittel geben. Auch in Deutschland endet langsam die Kreidezeit. Im modernen Klassenzimmer wird mit Zauberstiften auf ein Whiteboard gemalt. Die Tafel ist berührungsempfindlich – und stimmgewaltig. Hat ein Kind Geburtstag, singt sie auf Wunsch sogar „Happy Birthday“ mit. Bis zum Abitur werden die Schüler alle Funktionalitäten dieser und anderer smarter Oberflächen im Schlaf zu bedienen wissen. Ob sie auch wissen werden, was die virtuellen Welten im Innersten zusammenhält? Wohl eher nicht. Die künftigen Herrscher brauchen kein Herrschaftswissen mehr. Es konfiguriert und erklärt sich ja alles von selbst.

Benutzerfreundlichkeit sei immer auch eine „Vertrautheitsselbsttäuschung“, sagt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz. „Funktionelle Einfachheit bei struktureller Komplexität – leicht zu bedienen, aber schwer zu verstehen.“ Der Schriftsteller Arthur C. Clarke hat es noch prägnanter auf den Punkt gebracht: „Jede weit genug entwickelte Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Vielleicht ist magic deshalb eines des Lieblingsworte von IT-Marketingabteilungen. Bei Produktpräsentationen von Apple und Google wird es jedenfalls recht inflationär verwendet.

Der Traum vom magischen Zeitalter knüpft an alte Schlaraffenlandmythen an: maximale Bequemlichkeit bei minimalem Zeit- und Kraftaufwand. Unsichtbare Butler, die Türen öffnen und Heizungen hochdrehen. Servile technische Geräte, die stets die Ohren spitzen, wenn sich ein launischer Mensch nähert. „Alles hört auf mein Kommando“, schreit der Komiker Christoph Maria Herbst alias Stromberg im Werbespot eines Energiekonzerns. Angepriesen wird die Fernsteuerung des Privathaushalts. Geht jetzt alles am Bildschirm, erklärt der Schauspieler: Licht an, Licht aus, Radio dudelt, Radio schweigt. Wenn man sich schon nicht die Welt untertan machen kann, dann wenigstens das eigene Reihenhaus.

Doch der Preis, der für die neue Alltagsmagie bezahlt werden muss, ist möglicherweise hoch. Der Medienphilosoph Vilém Flusser prognostizierte schon vor 20 Jahren einen schleichenden Verlust von Souveränität. „Wer die neuen Codes nicht lesen kann, ist Analphabet in einem mindestens so radikalen Sinne, wie es die der Schrift Unkundigen in der Vergangenheit waren.“ Für die Mehrheit der Gesellschaft seien die neuen Erlebnis- und Verhaltensmodelle nicht mehr lesbar, sondern nur noch befolgbar.

Und der Grad der Undurchschaubarkeit wird weiter zunehmen. Die nächste Grenze, die man in der Forschung zu überwinden trachtet, ist die zwischen Kopf und Gerät. IBM hat sich dabei mit seinen Versprechungen am weitesten aus dem Fenster gelehnt. In fünf Jahren, so heißt es in einer aktuellen Videobotschaft, muss niemand mehr Sprachbefehle geben oder die Hände bewegen. Gehandelt wird dann allein mit der Kraft der Gedanken. Ach, ich wollte doch noch XY zurückrufen. Kaum gedacht, hat das Smartphone auch schon die Nummer gewählt. Alles Quatsch, viel Lärm um nichts? In Berlin fuhr letztes Jahr ein erstes gedankengesteuertes Auto über das ehemalige Flughafengelände in Tempelhof.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false