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Bibliotheksneubau: Der diskrete Charme der Moderne

Zeitgenössische Architektur hat in der Ewigen Stadt einen schweren Stadt. Doch jetzt verblüfft die Bibliotheca Hertziana, ein deutsches Forschungsinstitut zur Kunstgeschichte, ganz Rom mit einem spektakulären Neubau.

Monumentale Architektur des 21. Jahrhunderts mitten im historischen Stadtzentrum? Römer sehen so etwas als Widerspruch in sich, als unzulässige Beleidigung ruhmreicher Vergangenheit – obwohl die Ewige Stadt ihre Einzigartigkeit gerade daraus gewinnt, dass sie in fast drei Jahrtausenden ununterbrochener Siedlungsgeschichte immer wieder Neues, Modernes auf Altes gemauert hat.

Jetzt sind auch noch Deutsche ins Herz der Stadt vorgedrungen. Gleich oberhalb der Spanischen Treppe hat sich die Bibliotheca Hertziana als Großforschungsinstitut zur italienischen Kunstgeschichte einen modernen Bücher- und Lesebau gegönnt, der schon in seiner Schnörkellosigkeit und seiner großzügigen Öffnung fürs Licht so gar nichts mehr gemein hat mit den benachbarten Renaissance- und Barockpalästen und den engen, düsteren Gassen dazwischen.

Das Tolle daran: Man sieht den Neubau von außen gar nicht. Das stellt alle zufrieden: sowohl die Römer, die ihr Stadtbild auf dem Stand von „Duce“ Mussolini einfrieren wollen, als auch jene, die der Moderne nun in vorbildlicher, wenn auch bisher folgenloser Weise eine Bresche geschlagen sehen. Zufrieden ist vor allem die Bibliotheca Hertziana selbst: Wenige Wochen vor ihrem hundertsten Geburtstag bekommt sie als „Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte“ allein durch eine geniale Neustrukturierung des Raums um siebzig Prozent mehr Platz für Bücher.

An der Bibliotheca Hertziana, sagen sie in Rom, kommt keiner vorbei, der über italienische Kunstgeschichte forschen will und darüber, wie diese den Rest Europas geprägt hat. Die Bibliothek hat ihren Namen, ihren Auftrag, ihren Ort von der in Köln geborenen, jüdischen Kaufmannstochter und Mäzenin Henriette Hertz (1846–1913). Sie kaufte jenen Palazzo, den sich der Maler Federico Zuccari um 1600 gebaut hatte. 1963 kam – weil Bibliotheken immer größer werden – der benachbarte Palazzo Stroganoff dazu, und den Garten Zuccaris dazwischen füllten die Deutschen gleich danach mit einem Bau, der aber schon dreißig Jahre später aus Statik- und Brandschutzgründen am Ende war.

Für den Neubau zeichnen der spanische Architekt Juan Navarro Baldeweg (Projekt) und sein römischer Kollege Enrico Da Gai (Ausführung und Bauleitung) verantwortlich. Hinter Zuccaris historischen Fassaden haben sie alles entkernt. Es war, sagt Da Gai, das erste Projekt dieser Art im historischen Stadtzentrum. Und weil die Archäologen, wie überall in Rom, auch hier fündig wurden – sie entdeckten Gärten des antiken Feldherrn Lukullus –, konnten die Bauherrn den geschichtsträchtigen Untergrund nicht mit Betonfundamenten zugießen.

Unter Zuccaris historischen Fassaden senkten sie dafür 178 „Mikropfähle“ bis zu fünfzig Meter tief in den Boden und stellten die neue, fünfstöckige Bibliothek auf eine Stahl-Beton-Konstruktion, die sie – einer Brücke gleich – auf diesen Pfahlreihen über die Antike schlugen. Hydraulik-„Kissen“ sorgen dafür, dass sich der Bau unter dem zunehmenden Gewicht der Bücher weiterhin selbst ausbalanciert. Und die Archäologen graben weiter.

Der nächste Clou des Baus: Baldewegs Lichtführung. Ein von oben bis unten verglaster Innenhof garantiert Helligkeit bis ins Erdgeschoss. Die Leseplätze sind auf Terrassen verteilt, die nach oben zurückspringen, was dem Innenhof eine trichterförmige Gestalt gibt und für maximale Lichtausbeute sorgt. Er habe sich inspirieren lassen, sagt Baldeweg, von den schon in der Antike terrassierten Gärten des Lukullus und „einen lichten Garten für die Bücher und das Wissen“ schaffen wollen.

Einen „Dialog zwischen leicht und schwer“ wollte Baldeweg in Gang bringen, „mit der Transparenz spielen“. So ganz nebenbei, und ebenso spielerisch, ist ihm auch das Gespräch zwischen alt und neu gelungen: Man betritt die Bibliothek durch ein Portal, das Zuccari vor vierhundert Jahren als das Maul eines Monsters geformt hat. Es öffnet sich ein mit Renaissance-Grotesken ausgemalter Durchgang – und gleich dahinter strömt, ungefiltert und unverkünstelt, die Lichtfülle der Moderne hernieder.

Knapp zehn Jahre waren die Bücherbestände der Hertziana – 250 000 Bände – nur eingeschränkt nutzbar. Zwanzig Millionen Euro hat der Neubau gekostet; Bund und Länder haben zwei Drittel bezahlt, deutsche Industrie und Banken den Rest gespendet. Zur Einweihung war auch Bundesforschungsministerin Annette Schavan nach Rom gereist. Und zur begleitenden Barockmusik hatten die Mitarbeiter der Hertziana schon andere Sorgen: Wie bloß soll man die gewaltige Fensterfront des Innenhofs putzen?

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