zum Hauptinhalt

Kultur: Big brother is watching you

Zwei junge Schwarze kommen in ein Geschäft.Pöbeln ein bißchen herum, der asiatische Ladenbesitzer protestiert.

Zwei junge Schwarze kommen in ein Geschäft.Pöbeln ein bißchen herum, der asiatische Ladenbesitzer protestiert.Wenige Minuten später ist er tot, mit triumphierender Geste erschossen von einem der beiden.Als die entsetzte Ehefrau hinzueilt, haben die Jugendlichen nur einen Satz für sie übrig: "Gib uns das Band aus der Überwachungskamera." Dann erschießen sie auch sie.

Die eigentlich schockierende Szene aus dem Film "Menace to Society" folgt aber erst: Sie zeigt die Jugendlichen, wie sie sich das Band angucken und ihre eigene Tat johlend und lachend noch einmal erleben.Die Qualität der Videobilder ist naturgemäß schlecht: schwarzweiß, verwaschen, seltsam leblos und mechanisch.Aber genau diese Eigenschaften sind es nach Auffassung des amerikanischen Germanisten und Medientheoretikers Thomas Y.Levin, die dem dargestellten Geschehen einen besonders zwingenden Realitätseindruck verleihen."Wir sind heutzutage so an die perfekten Bilder aus Hollywood gewöhnt und wissen so viel über die Manipulierbarkeit von Bildern, daß die Aufnahmen aus Überwachungskameras besonders faszinierend auf uns wirken: Sie scheinen noch die unmittelbare Beweiskraft zu haben, die man Anfang des Jahrhunderts der Fotografie zuschrieb."

"Ästhetik des Überwachens" war der Titel von Levins temperamentvollem Vortrag, den er am Dienstag abend in dem intimen Ambiente der American Academy am Wannsee hielt.Denn es geht dem Filmtheoretiker aus Princeton nicht nur um das soziologische Phänomen, daß wir in immer mehr Lebensbereichen überwacht werden können: ob wir im Supermarkt einkaufen, eine Bank besuchen, geblitzt werden oder im Internet surfen.Levin will das Überwachen vielmehr als ästhetische Kategorie untersuchen, die in der Geschichte der Kunst immer schon eine Rolle gespielt habe: Wer die Kamera hat, befindet sich in einer Machtposition gegenüber demjenigen, der - womöglich ohne sein Wissen - gefilmt wird.Der Beobachtete, der die Anwesenheit der Kamera ahnt, wird sich vorsichtig verhalten, hat also die Macht verinnerlicht.Zahlreiche Künstler haben mit diesem Effekt gespielt, wie Levin mit einer Fülle von Dias zeigte.

Levin besteht darauf, daß auch die scheinbar unmanipulierten, "echten" Bilder aus den Überwachungskameras nicht "die Realität wiedergeben", sondern von uns entziffert werden.In dem erwähnten Film etwa werden sie bewußt eingesetzt, um den Realitätsanspruch zu verstärken.Es wäre auch zu einfach, nur das Gespenst des Überwachungsstaats an die Wand zu malen.Das Phänomen des Überwachens ist heute, im Spannungsfeld von staatlichen und kommerziellen Interessen sowie privatem Voyeurismus, viel komplexer geworden.Daher: Achten Sie auf Ihren Nachbarn.Er könnte seine Videokamera auf Ihr Badezimmerfenster richten.

In der American Academy, die am Freitag offiziell eingeweiht wird, findet seit Oktober einmal in der Woche ein Vortrag vor den Fellows und geladenen Gästen statt.In Zukunft sollen die Vorträge nach Anmeldung auch dem Publikum zugänglich sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false