zum Hauptinhalt
Die Performerinnen Anna Becker und Katharina Bischoff im Autokino.

© David Heerde

BigNotwendigkeit-Performance im Autokino: Unterwegs zur großen Schlucht

Bilder von Freiheit und von Abenteuern: Die Performer von BigNotwendigkeit erzeugen im Live-Hörspieltheater im Autokino stilechte Amerika-Nostalgie.

Es fehlt noch das Buschgras, das durchs Bild weht. Aber ansonsten ist die Atmosphäre hier draußen in Schönefeld schon sehr amerikanisch, sehr präriemäßig. Das Autokino Berlin hat seinen Spielort an der Umgehungsstraße, allein auf weiter Flur, nahe Autobahn und Flughafenausläufern. Wenn die Sonne untergeht, werden die Projektoren auf den schwarzen Lkws angeworfen und Blockbuster gezeigt, der neue „Terminator“ steht auf dem Programm, in Kürze „Mission: Impossible 5“. Vorausgesetzt, dass es nicht zu heftig stürmt. Die aufblasbare Leinwand darf nur bis Windstärke 4 hochgefahren werden. Anna K. Becker und Katharina Bischoff, die Gründerinnen des Performance-Kollektivs BigNotwendigkeit, hätten sie gerne vorgeführt, aber am Tag ihrer ersten Probe in der Pampa bläst es einem die Mütze vom Kopf. Egal. Das Wesentliche wird sich sowieso im Auto abspielen. Als Live-Hörspieltheater mit dem Titel „Road Movie“.

Das Radio auf Frequenz 91,0 FM einstellen. Zurücklehnen. Den „Wild at Heart“- Klängen zum Auftakt lauschen und der beginnenden Geschichte einer Begegnung zwischen zwei Frauen, die Alex und Marie heißen und sich an einer Tankstelle in einem gottverlassenen Kaff über den Weg laufen. „Wohin fahren Sie?“ „Gen Osten.“ „Sehr vage ausgedrückt.“ „Und Sie?“ „Mal sehen.“ „Auch sehr vage.“ Zusammen mit einem Hund namens Brutus Cherry begeben sich die beiden auf ihren ganz eigenen „Thelma und Louise“-Trip, unterwegs zur „großen Schlucht“, auch genannt Grand Canyon. Wobei eine der beiden den existenziell erleuchteten Satz spricht: „Um mich unbedeutend zu fühlen, muss ich nicht vor einer großen Schlucht stehen.“ Dazwischen hallt die melancholische Gitarrenmusik von Jens Friebe. Und ein namenloser Mann hadert mit dem eigenen Mythos. Man kann Toaster mit seinem Gesicht kaufen, ein nach ihm benannter Ziegensittich nascht Apfelstücke auf Youtube. Doch glücklich ist der Arme nicht geworden: „Du hast mir eine Gitarre geschenkt, Mama, aber ich habe mir ein Luftgewehr gewünscht.“ Bist du es, Elvis?

Die verlorene, amerikanische Popkultur

Dieses popkulturell aufgeladene schön verschrobene Hörstück stammt von Esther Becker, ebenfalls Stammmitglied von BigNotwendigkeit und in der Vergangenheit auch als Performerin aktiv. „Uns war schnell klar, dass wir den Text nicht als klassisches Stück auf einer Bühne inszenieren wollen“, sagt Anna Becker. „Mit zwei Stühlen und einem Lenkrad als Auto.“ Also wählten sie das OpenAir-Kino für Motorisierte, in dessen uramerikanische Historie sie sich vertieften. „Am populärsten war das Autokino in den USA in den 50er Jahren, als auch das Genre Roadmovie aufkam“, erzählt Becker. „Weil ganz Amerika im Wagen saß.“

Wobei die Spielstätten vor allem hinsichtlich der Hörsituation mit technischen Widrigkeiten zu kämpfen hatten, so Bischoff: „Die Lautsprecher wurden zum Beispiel ins Fenster gehängt, aber dadurch kamen Mücken ins Auto. Und viele haben vergessen, die Boxen vor dem Wegfahren wieder auszuhängen. Oder klauten sie.“ „Die Autokinos hatten auch Schwierigkeiten, die guten Filme zu bekommen“, so Becker. B-Movie-Stätten eben. Für Besucher, die sich klischeegerecht eh nicht fürs Gezeigte interessieren. Hier wollen Drive-in-Familien Fastfood essen und Teenies fummeln, klar.

Bloß woher haben wir diese Bilder eigentlich? Die wenigsten von uns waren je im Autokino, auch Becker und Bischoff nicht. Klar haben sie sich in der Vorbereitung mit einschlägigen Werken vollgesogen und dabei Perlen entdeckt wie „Targets“ von Peter Bogdanovich, in dem Horrorlegende Boris Karloff es mit einem Amokschützen im Autokino zu tun bekommt. Aber in Europa hat sich die Idee Motorkino nie wirklich durchgesetzt, allenfalls noch in Italien, „wo das Verhältnis zum Auto und das Klima ja ein anderes ist“, wie Becker sagt. Was BigNotwendigkeit mit diesem Projekt befragen, ist eine Second-Hand-Nostalgie, „eine Sehnsucht zweiter Ordnung“, wie es die Regisseurinnen formulieren. Projektionen eines „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?“-Gefühls. Was für die Amis verlorene Popkultur ist, kennt man hier nur aus Filmen. Mit solchen Überblendungen spielt „Road Movie“.

Pauschal gesagt: BigNotwendigkeit sind radikaler geworden

Was schon beim Einlass beginnt. Livrierte Service-Boys werden die Besucher umsorgen, Bischoff verkauft aus dem Bauchladen Kräuterzigaretten und Feuerzeuge, vor einem 70er-Jahre-Volvo kann man sich wahlweise im Petticoat oder mit Glitzerjacke fotografieren lassen, es gibt vegetarische Elvis-Burger mit Erdnusssauce und natürlich Popcorn. Leider hat das Budget nicht mehr für Elvis-Doubles und die überlebensgroßen Hotdog-Kostüme gereicht, in denen Komparsen hätten tanzen sollen. Dafür spielen Doreen Kutzke, Anna-Katharina Müller und Andri Schenardi das ins Autoradio übertragene Stück storygemäß in einem Straßenkreuzer. Alles garantiert stilecht kopierte 50er-Jahre-Atmosphäre. Und über die Leinwand (wenn sie denn steht) pulsieren Lichter in Bewegung, die „den Film im eigenen Kopf entstehen lassen“, sagt Bischoff.

„Road Movie“ ist kein typisches Projekt von BigNotwendigkeit. Vor allem, weil es keine typischen Projekte der Gruppe gibt. Seit 2004 hat sich das Berliner Performance-Kollektiv mit Hauptspielstätte Theaterdiscounter, unter dessen Schirm auch „Road Movie“ läuft, mit schöner Regelmäßigkeit thematisch, ästhetisch und humoristisch neu erfunden. In „Turn the Page“ hat das Regieduo Bischoff und Becker abgelebte Leben fiktiver Verstorbener anhand von Tagebüchern, Fotos, Briefen und Notizen durchforstet. In „Wir sagen“ die trügerische Behauptung von Gemeinschaft in Monologform beleuchtet. Und zuletzt in „Hysterology“ zusammen mit zwei ungarischen Choreografen die Hysterie als Krankheit und Kunstform befragt. Wenn sich pauschal etwas über ihre Arbeit sagen lässt, dann, „dass wir radikaler geworden sind“, findet Bischoff.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Abend „It ain’t over till it’s over“, der sich mit Enden befassen sollte. „Mit dem Tod als Ende, dem Ende des Films und im Film, Weltuntergangsszenarien“, beschreibt Becker. Sie hatten dazu schon ein fertiges Konzept, „man hätte bestimmt ein paar schöne Szenen mit nach Hause genommen“, so Becker. Aber dann merkten sie, dass es ein normaler Theaterabend geworden wäre, mit Anfang und Ende, der das gewohnte Finale eben nicht infrage stellt. Also warfen sie alles über den Haufen und wiesen die eine Performerin an: „Du zählst jetzt 90 Minuten aufwärts“, der anderen sagten sie: „Du hast Open Mike, erzähl, was dir gerade einfällt.“

Dagegen ist die Arbeit mit einer literarischen Vorlage natürlich vergleichsweise konventionell. Aber Ton und Setting dieses „Road Movies“ im parkenden Wagen sind es nicht. Hier werden Bilder von Freiheit und Abenteuer beschworen, die so oft belichtet wurden, dass man sie „naiv nicht mehr ernst nehmen kann“, wie Bischoff sagt. Aber durch den Filter der Groteske gewinnen sie ihre ganz eigene Strahlkraft zurück. Wie ein Elvis-Imitator an der Bar des einsamsten Motels der Welt.

Autokino Berlin „Das Original“, Hans-Grade-Allee 54, Schönefeld, „Road Movie“: Mi 15. 7., Do 16.7. + So 19.7., 21 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false