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Kultur: Bikino - ah, toll!

Angenommen, ein Berlin-Tourist kommt des Nachts in die Stadt und läßt sich per Taxi vom Flughafen direkt ins Hotel, zum Beispiel ins Steigenberger, chauffieren.Am darauffolgenden Morgen tritt er, ortsunkundig und erwartungsvoll, vor das Hotel und auf den ruhigen, begrünten Los-Angeles-Platz.

Angenommen, ein Berlin-Tourist kommt des Nachts in die Stadt und läßt sich per Taxi vom Flughafen direkt ins Hotel, zum Beispiel ins Steigenberger, chauffieren.Am darauffolgenden Morgen tritt er, ortsunkundig und erwartungsvoll, vor das Hotel und auf den ruhigen, begrünten Los-Angeles-Platz.Er bestaunt vielleicht die eigenwillige baumlose Parkanlage, die gesäumt wird von einer Art Laube aus Ziegeln und Holz, deren Zweck nicht ganz einleuchtet, da die schattenspendenen Pflanzen fehlen.Tafeln an den Eingängen in die Anlage instruieren den Parkbesucher en detail, wie er sich zu verhalten hat: Daß er etwa im Parkbereich keine alkoholischen Getränke zu sich nehmen soll und auch keine Speisen, weder an sich selbst noch an die Vögel verfüttern darf.

Dergestalt eingeführt in den preußischen Sinn für Ordnung und Genauigkeit, biegt der Besucher nach rechts in die Rankestraße ein, die ihm immer noch ziemlich lieblich, grün und ruhig erscheinen mag.Aber ohne Vorwarnung spuckt sie ihn aus, mitten hinein in die Großstadtflut.Voll das Leben.

Da steht er nun an der Ecke zur Tauentzienstraße, wie paralysiert, von Passanten hin und her geschoben, betäubt von Verkehrslärm und Stimmengewirr, Technobässen oder türkischen Klängen, die aus Autofenstern dringen, Sirenengeheule, dazwischen klassische Melodien von zwei Live-Klarinetten.Er läßt seinen Blick schweifen, bemerkt wahrscheinlich das Europacenter, vor allem die dicken, bunten Reklame-Lettern, die dasselbe zieren und den rotierenden Mercedesstern.Oder das Gebäude an der ihm gegenüber liegenden Ecke Rankestraße/Kurfürstendamm, von dem er vermutlich nicht weiß, daß es sich um das Geschäftshaus Michels & Cie handelt, das 1913/14 von Emil Schaudt errichtet wurde.Dann kommt ihm - endlich - ein klassischer Köder für den touristischen Instinkt in den Blick: eine alte Kirche, nur mehr eine Ruine zwar, und umstellt von den Elementen eines modernen Sakralbaus aus Wabenbeton, aber immerhin.

Zielstrebig schließt er sich dem Menschenstrom an, der sich anschickt, das Automeer des Tauentzien zu durchqueren, wenn sich auf Geheiß der Ampel die Fluten teilen.Aber der Weg zu den heiligen Hallen ist mit vielen irdischen Versuchungen gespickt.Die Händler und Marktschreier haben sich am Breitscheidplatz bereits auf die Schwelle der Kirche vorgewagt.Das obligate Repertoire eines zentral gelegenen, großstädtischen Platzes wird hier geboten: Straßenkünstler, die Passanten porträtieren, Musik oder den Clown machen, Bauchläden, die von Silberschmuck überborden, Stände mit indisch anmutenden Kleidern oder Objekten, die das Wort Kunsthandwerk in Verruf bringen.Wie etwa das Wanduhr-Monster, von dem man fürchten müßte, erschlagen zu werden, wenn es von der Wand fiele.In knalligem orange und lila ist darauf ein Paar in obszöner Pose auf einer Harley gepinselt, dahinter eine Gebirgs-Kulisse im Sonnenuntergang mit Wasserfällen im Ausmaß der Niagara-falls.

Schließlich wird unser Berlin-Reisender dann doch noch mit einer Menschen-Welle in die Kaiser-Wilhelm-Gedächtsniskirche geschwappt, wo er die Reste der prunkvollen Mosaikausstattung bewundern könnte.Seine Kunst-Rezeptoren sind allerdings etwas umnebelt, und so fällt er bald wieder hinaus aus der neoromanischen Ruine und stolpert hinein in die Kirche aus den frühen Sechzigern, damit er die auch noch gesehen hat.Nachdem er den Eiermann-Bau umrundet, stürzen neue Bilder auf ihn ein.Jenseits der Budapester Straße bannt der wuchtige Baukörper des Zoo-Palasts, der Ende der Fünfziger als eines der ersten "Bikinos" (Doppelkino) gebaut wurde, einen Moment lang seinen Blick.Und er staunt über das massive, graue Schimmelpfeng-Haus, das die Kantstraße überbaut und mit seinem steinernen Ernst die westliche Seite des Platzes erdrücken zu wollen scheint.

Das Wort "overload" kommt dem Berlin-Initianden plötzlich in den Sinn, Essensgerüche appellieren an seine Magensäfte, die Stufen an seine müden Beine: Dort sitzend verzehrt er also schließlich ein Chop Suey vom Pappteller und setzt damit sozusagen einen symbolischen Punkt hinter seine Initiation.Oder wenigstens einen Strichpunkt.

DOMENICA FRIEDEL

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