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Bildende Kunst: Meine Wohnung, meine Bühne

Die Münchner Hypo-Kunsthalle feiert den dänischen Maler Vilhelm Hammershøi.

Von den Bildern des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi geht eine magische Ruhe aus. Es sind fast ausschließlich Interieurs, gräulich-braune Ansichten von sparsam möblierten Räumen, in denen gelegentlich Figuren auftauchen, die dem Betrachter meist den Rücken zuwenden und wie eingefroren in ihrer Bewegung wirken. Seitdem er 1997 mit Ausstellungen in Kopenhagen, Paris und New York wiederentdeckt wurde, wird Hammershøi zu den Vätern der Moderne gezählt, ebenbürtig einem van Gogh, Edvard Munch oder Gauguin. Vielleicht sind seine Bilder inzwischen auch deshalb so populär, weil sie neben aller Leere und Melancholie auch eine große Rätselhaftigkeit ausstrahlen.

Die Münchner Hypo-Kunsthalle feiert den dänischen Maler nun mit einer großen, aus dem Statens Museum For Kunst in Kopenhagen übernommenen Ausstellung, die unter dem Titel „Hammershøi und Europa“ seine Bilder mit zeitgleich entstandenen Werken anderer Künstler zusammenbringt. Hammershøi arbeitete meist in seiner Wohnung, immer wieder hat er seine Frau Ida gemalt. Sie trägt meist ein einfaches schwarzes Kleid, die Haare sind hochgesteckt. Ihr Gesicht zeigt sie nie. Die Wohnung ist ihre Bühne, aber auch ihr Gefängnis. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das eigene Haus die einzige Wirkungsstätte der bürgerlichen Frau, aus der Politik hatte sie sich herauszuhalten. So sind Hammershøis Bilder auch ein Dokument ihrer Zeit. Seine Ehe soll übrigens glücklich gewesen sein.

In einem seiner bekanntesten Gemälde, „Sonnenstrahlen“ aus dem Jahr 1900, hat Vilhelm Hammershøi seinen Minimalismus so weit getrieben, dass in einem leer geräumten Zimmer nichts zu sehen ist als ein Fenster, durch das gleißendes Sonnenlicht fällt. Eine Meditation. Auf einem anderen Bild, das 1902 entstand und den Titel „Die Gebäude der Asien-Company“ trägt, zeigt er er eine Hofmauer, die von zwei barocken Flügelbauten flankiert wird, die er von seinem Wohnatelier in der Kopenhagener St.-Anna-Straße aus sehen konnte. Im leeren Zentrum des Gemäldes hat Hammershøi die Farbe von der Leinwand gekratzt. Schwer zu sagen, ob es vollendet ist oder nicht.

Kasper Monrad, der Kopenhagener Ausstellungskurator, bringt das Paradoxon von Hammershøis Kunst auf den Punkt: „Er hat Genrebilder ohne jegliches Genregehalt gemalt.“ Das Gebot seiner Zeit, dass jedes Bild eine Geschichte zu erzählen habe, unterlief Hammershøi, indem er alle Requisiten, an denen sich eine Narration aufhängen könnte, wegließ. So zeigt er auf seinem Gemälde „Eine alte Frau“ nichts als eine alte Dame in Witwentracht, die vor einer leeren Wand sitzt.

Als das Porträt 1886 im Schloss Charlottenborg ausgestellt wurde, war das Publikum irritiert. Ein Kunstkritiker hielt die Bemerkungen einer Besucherin fest: „Die arme Seele ist aus ihrer Wohnung geworfen worden, sitzt nun auf dem einzigen Stuhl, der ihr geblieben ist, und denkt über die Missgunst des Schicksals nach.“ Doch Hammershøi verstand sich keineswegs als Sozialkritiker – er war ein Chronist der Einsamkeit und Isolierung in einem existenziellen Sinne.

Als Hammershøi 1891 zu einem Studienaufenthalt in Paris eintraf, schrieb er an seine Mutter: „Ich sollte mehr von der alten als von der neuen Kunst lernen.“ So galt der Maler späteren Interpreten als rückwärtsgewandter Sonderling, der mit der Gegenwart nichts zu tun haben wollte. Gerne wurden seine Darstellungen lesender, strickender oder in ihre Hausarbeit versunkener Frauen mit den Genrebildern von Jan Vermeer oder Pieter de Hooch aus dem Holland des 17. Jahrhunderts verglichen. Doch das Bild von Hammershøi als Verächter der Moderne ist ein Missverständnis, mit dem die Ausstellung aufräumen will.

Denn Hammershøi war gut vernetzt in der Kunstszene seiner Ära, er stellte auf der Pariser Weltausstellung 1889 aus und reiste unermüdlich zwischen Rom, London, Hamburg und Berlin hin und her, überall sah er in Museen und Galerien die Werke seiner Zeitgenossen. Klug konfrontieren die Ausstellungsmacher Hammershøis Bilder mit Bildern anderer Künstler, die Parallelen sind verblüffend. So erscheint Hammershøis frühes Profilporträt seiner Mutter von 1886 beinahe wie eine seitenverkehrte Kopie des gleiches Sujets von James McNeill Whistler. Den amerikanischen, in Europa lebenden Maler verehrte Hammershøi so sehr, dass er ihn in Paris zu treffen versuchte und später bei einem Besuch in London dessen diffus-atmosphärische Straßenszenen imitierte. Hammershøis Rückenansichten einsamer Frauen erinnern in der Haltung und Stimmung an Werke von Picasso, Munch und Pierre Bonnard.

Rainer Maria Rilke war von Hammershøis Gemälden und ihrer „wesentlichen Schlichtheit“ tief beeindruckt, als er sie 1905 bei der Internationalen Kunstausstellung in Düsseldorf zum ersten Mal gesehen hatte. Er besuchte den Maler in Kopenhagen und plante, einen Essay über ihn zu schreiben. Seine Kunst, versicherte Rilke in einem Brief, sei ihm „eine Herzensangelegenheit“. Trotzdem hat er den Text über Hammershøi nie geschrieben. Vor der enigmatischen Leere dieser Bilder versagte die Sprache des Dichters.

„Hammershøi und Europa“, bis 16. September in der Hypo-Kunsthalle München. Der im Prestel Verlag erschienene Katalog kostet 39,95 €.

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