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Kultur: Bildersturm

Es hätte eine Routineangelegenheit werden können. Nun riecht es nach Skandal.

Es hätte eine Routineangelegenheit werden können. Nun riecht es nach Skandal. Die Berliner Kuratorin Paula Böttcher hatte im letzten Jahr für die Ausstellung „ostensiv“ 21 Künstler aus vorwiegend osteuropäischen Ländern eingeladen und sie mit Hilfe des Auswärtigen Amtes nach erfolgreicher Premiere in Leipzig auch in Moskau gezeigt. Bevor die Schau nach Budapest weiterreisen wird, wurde sie letzte Woche in den Kulturinstituten von Bulgarien, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns sowie der Humboldt-Universität und der Galerie Barakk in Berlin-Mitte eröffnet. Doch wer wenige Tage nach der Eröffnung ins Bulgarische Kulturinstitut oder ins Tschechische Zentrum kam, fand die Ausstellung nicht mehr. Die Direktoren hatten sie nach der Eröffnung ganz oder teilweise abbauen lassen und manche Werke in den Müll geworfen.

Victor Paskov ist Schriftsteller und leitet das Bulgarische Institut. Er wisse, was zeitgenössische Kunst sei, sagte er nach der Eröffnung der Kuratorin. Was von „ostensiv“ in seinem Haus gezeigt würde, habe aber mit Kunst nichts zu tun. Eine Ausstellung dieser Art werde er nicht verantworten. Bis zum offiziellen Ausstellungsende hängt nun Grafik an den Wänden. Während der Eröffnung konnte man noch ein Video sehen, in dem eine Frau beim Kaffeesatzlesen beobachtet wird. Daneben hing ein Standfoto des Videofilms. Auf einer Großprojektion folgte man einer Reiseführerin durch Sofia. Der Blick auf Sehenswürdigkeiten war durch einen schwarzen Querbalken eingeschränkt und forderte die Vorstellungskraft heraus. Ein lebensgroßer Scherenschnitt wurde auf Weisung des Direktors ebenfalls entfernt, zerknüllt und entsorgt. Der Direktor fürchtete um das Ansehen des Instituts (das bulgarische Pendant des Goethe-Instituts) und hielt sich für legitimiert, die Kooperation mit der Kuratorin, den Künstlern, den beteiligten Instituten und dem Auswärten Amt unverzüglich und stillschweigend zu korrigieren.

Die Kuratorin ist so entsetzt wie hilflos. „Ich wollte in Berlin die osteuropäischen Kulturinstitute vernetzen und war froh, dass sich der organisatorische Aufwand bis zur Eröffnung gelohnt hatte. In Leipzig und Moskau fand die Ausstellung an einem einzigen Ort statt. Auch in Budapest wird sie an einem Ort zu sehen sein. Hier in Berlin bot es sich an, Kunst auch als Kommunikationsmittel zu verstehen und die osteuropäischen Institute, die sonst wenig miteinander zu tun haben, in Beziehung zu setzen“, kommentiert sie den Hintergrund ihres Berliner Ausstellungskonzepts. „Die Willkür ist eine Beleidigung für die Künstler und die anderen beteiligten Institute“, fügt sie zornig hinzu.

Im Tschechischen Zentrum am Checkpoint Charlie wurde eine Fensterarbeit von Ivan Vosecky entfernt. Sie ist nicht ohne Problematik. In Frakturschrift las man „Izrael“ und dazu in leicht geschwungenen Linien „Invitation to love". Zu einer Stellungnahme ist der Direktor nicht erreichbar und die Ausstellungsreferentin will sich dazu nicht äußern.

Offensichtlich geht es nicht um ein Missverständnis in der Kommunikation, sondern um ein Missverhältnis der Institutsleiter zum Werk von bulgarischen und tschechischen Künstlern. Es handelt sich um Zensur. Der selbstherrliche Eingriff rückt die kulturellen Schaufenster Bulgariens und Tschechiens in trübes Licht, wendet sich das Vorgehen der Repräsentanten doch offensiv gegen die Üblichkeiten europäischer Demokratien in punkto Freiheit der Kunst. Vielleicht hätte man über die Qualität der einzelnen Werke streiten können. Die Institutsleiter haben es vorgezogen, nach der Manier autoritärer Staaten einem möglichen Streit vorzubeugen, indem sie ihm nach der Eröffnung präventiv die Grundlage entzogen. Die Kuratorin wollte die Wirklichkeit osteuropäischer Länder offenbar werden lassen. Das ist ihr mit der kulturellen Repräsentanz Bulgariens und Tschechiens so ungewollt wie schlagend gelungen: noch nicht demokratiefähig.Peter Herbstreuth

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