zum Hauptinhalt

Kultur: Bildgesänge und andere Betriebsgeheimnisse Zum 150. Geburtstag zeigt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum sein Innenleben

Was machen eigentlich Museumsmitarbeiter den ganzen Tag? Reglos hängen Bilder an der Wand, Wachpersonal achtet darauf, dass ihnen nichts geschieht.

Was machen eigentlich Museumsmitarbeiter den ganzen Tag? Reglos hängen Bilder an der Wand, Wachpersonal achtet darauf, dass ihnen nichts geschieht. Wenn nicht gerade eine Schulklasse durch die Säle tollt, ist es ruhig, die Besucher stören kaum. Wozu also die vielen Angestellten, Büros und Werkstätten?

Natürlich ist die Frage naiv. Moderne Museen sind Unternehmen, die im Kunstbetrieb agieren wie Firmen auf Märkten: Zielgruppen erschließen, Allianzen bilden, Bilanzen aufbessern. Doch ihre Produkte – Ausstellungen und Exponate – sind besondere Güter, die behutsamen Umgang erfordern. Einen Blick hinter die Kulissen gewährt nun das Wallraf-Richartz-Museum zum 150. Jahrestag seiner Gründung. Den feiert es nicht mit der üblichen Best-of-Show samt Huldigung an die Namensgeber, sondern mit einer Einführung in seinen Arbeitsalltag – quasi als dreimonatigen Tag der offenen Tür.

Der Universitätsprofessor Ferdinand Franz Wallraf war eifriger Kunstsammler. Seine ausufernde Kollektion, über deren chaotische Aufbewahrung sich schon Goethe mokierte, vermachte er 1824 der Stadt Köln. Mehr als drei Jahrzehnte wurden die Schätze achtlos gelagert. Dann erbarmte sich der Lederhändler Johann Heinrich Richartz und stiftete sein Vermögen für einen Neubau, er starb 1861 kurz vor der Einweihung. Seither ist das Museum dreimal umgezogen, 2001 in sein jetziges Domizil nach Plänen von Oswald Mathias Ungers.

Alle Räume werden flächendeckend von Oberlichtern erhellt, auch der Saal für Wechselausstellungen im Untergeschoss. Dabei kommen keine Leuchtstoffröhren, sondern spezielle Halogenlampen zum Einsatz. Sie lassen Ölfarben kräftiger wirken, wie der Vergleich beider Lichtquellen zeigt – eines der vielen kleinen Betriebsgeheimnisse, die „Tat Ort Museum“ en passant verrät.

Die Arbeitsabläufe im Haus stellt die Schau so systematisch wie anschaulich vor. Zum Auftakt präsentiert sie Schenkungen und Ankäufe aus jüngster Zeit. Jean Honoré Fragonard, Joseph Wright of Derby, Angelika Kauffmann, Friedrich Nerly, Redon, Beckmann – man staunt, welche hochkarätigen Namen eine öffentliche Einrichtung trotz explodierender Kunstmarktpreise noch erwerben kann. Oder anschaffen lässt: Zum Geburtstag spendieren ihm Kommune und Kuratorium drei Meisterwerke.

Museen verwahren nicht nur, sie forschen auch. Das veranschaulichen die Infrarotaufnahme eines Gemäldes von Courbet, auf dem eine von ihm übermalte Figur sichtbar wird, und eine enttarnte Fälschung. Ein gotisches Madonnenbildnis ist echt, sein Rahmen jedoch nicht – trotz wurmstichiger Patina.

Stark an Bedeutung gewonnen hat die Provenienzforschung. Etwa 100 in der NS-Zeit erworbene Bilder könnten Raubkunst sein. Erzählt wird der Werdegang zweier Beispiele: Ein Werk von Hendrik Terbrugghen bekam 2009 der rechtmäßige Erbe zurück. Adolph von Menzels Darstellung der Prager Alt-Neu-Synagoge darf das Museum behalten.

Nun folgt ein Abstecher in die Werkstatt. Dort befreit eine Restauratorin die Leinwand eines Murillo von bräunlicher Firnis. Ihre Ausrüstung erinnert an ein High-Tech-Chemielabor. Allerdings kann keine Restaurierung alle Altersspuren beseitigen. Sie werden genau dokumentiert, bevor ein Werk ausgeliehen wird. Der internationale Leihverkehr hat eine kleine Industrie hervorgebracht, deren Erzeugnisse von der Verpackungsfolie bis zur Klimakiste ebenfalls zu sehen sind. Bei der Inszenierung großer Ausstellungen sind dem Einfallsreichtum kaum Grenzen gesetzt. Obwohl selten für ein einziges Bild solcher Aufwand betrieben wird wie für van Goghs „Zugbrücke“ von 1888: Die Kuratorin reist mit Kamerateam an den Entstehungsort und stellt fest, dass die Brücke längst abgerissen wurde. Reality-TV als Museumsdienstleistung.

Origineller war Johannes Niessen, Leiter des Hauses ab 1866. Für 73 Bilder verfasste er beschreibende Sonette, die er selbst vertonte. 1880 gab er seine Liedersammlung in kleiner Auflage heraus – ein einzigartiger, klingender Katalog. Heute versucht die Musemspädagogik, mit Hörspielen oder Melodien, Kinder für die Kunst zu begeistern. Oder mit Mitmachaktionen wie in der Abteilung „ArtCrash“. Schüler stellen Motive von Gemälden nach. Da posiert eine junge Migrantin mit Hut und Schleier in der gleichen Haltung wie eine schöne Wienerin, die Friedrich von Amerling Ende des 19. Jahrhunderts porträtierte. Die Ähnlichkeit ist verblüffend: So viel zur Kopftuchdebatte.

Dem Islam steht das Museum überraschend nahe. Seine „ideelle Architektur ruht“ laut Eigendefinition auf „fünf Säulen“: Sammeln, Bewahren, Forschen, Dokumentieren und Vermitteln. Oliver Heilwagen

„Tat Ort Museum“: Bis 25. September im Kölner Wallraf-Richartz-Museum.

Oliver Heilwagen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false