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Waldemar Grzimek "Berserker" in der Klosterruine an der Grunerstraße in Berlin-Mitte.

© Kai-Uwe Heinrich

Bildhauer Waldemar Grzimek: Ein aufgeschlossener Traditionsbewahrer

Er gehört zu den wichtigsten figurativen Bildhauern der Nachkriegszeit: Der Kunsthandel Dr. Karger feiert den 100. Geburtstag von Waldemar Grzimek.

Schon als Neunjähriger modellierte Waldemar Grzimek Gipsfiguren nach Tieren, später zählte er zu den wichtigsten figurativen Bildhauern der deutschen Nachkriegszeit. Der Kunsthandel Dr. Karger richtet Grzimek nun eine Ausstellung zum 100. Geburtstag aus.

Hier ist der „Wisent“ des 14-Jährigen zu sehen (2450 Euro), und als equilibristisches Meisterstück hält der „Springende Boxer“ von 1960 die Balance nur über die Hinterbeine (6950 Euro). Der Bildhauer Richard Scheibe entdeckte das Talent des Wunderkindes und wurde zum frühen Anreger. Nach einem Aufenthalt als Stipendiat in Rom kehrte Grzimek 1945 in die Trümmerstadt Berlin zurück und pendelte zwischen Ost und West, wo er 1961 nach dem Mauerbau endgültig lebte. Ein Traditionsbewahrer, der aber aufgeschlossen und tolerant gegenüber den Zeitgenossen blieb.

Eine lange Freundschaft verband ihn mit dem von den Nazis verfemten Gerhard Marcks, der ihm 1946 eine Dozentur an der Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle vermittelte. Doch wurde er im Osten kein getreuer Adept des Sozialistischen Realismus, sondern behielt sich nach den Erfahrungen der NS-Diktatur die Gedankenfreiheit vor. Dazu bediente er sich plastischer Prototypen und verknappte die Figur auf ein stereometrisches Gerüst wie bei seiner Häftlingsgruppe für die Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen. Sein Ost-Berliner Denkmal von Heinrich Heine erregte dann jedoch den Unwillen der SED-Funktionäre: Schlicht und banal säße der deutsche Dichter und Denker auf einem Hocker. Die Bronze wurde 1958 an den Volkspark am Weinberg verbannt.

Neue Formulierung figurativer Bildhauerei

Als Reaktion auf den Missbrauch des Realismus durch die NS-Kunstdoktrin gelang dem Grenzgänger Grzimek eine neue Formulierung figurativer Bildhauerei, die mit liebevoller Aneignung des Beobachteten auch die genrehafte Plastik rehabilitierte. Breitbeinig und nackt sitzt in der Ausstellung sein „Bademeister“ auf dem Sockel (29 800 Euro). Ab den sechziger Jahren drängte es ihn zu einer neobarocken Sprache, zu einer Exaltiertheit, welche die zuvor glatte Oberfläche aufriss und Menschen in komplizierten Bewegungen, aber ohne bedeutungsschwangere Gestik und dekorative Ablenkungen darstellte. Extremsituationen wie Angst, Bedrängnis und Leid, aber auch Lust und Liebe wurden nun Thema. Keine Hauptansicht der Figur mehr, keine ehrfurchtsvolle Distanz zwischen Werk und Betrachter. Bei Karger zeugen davon der lebensgroße „Bedrohte“ von 1970 als stehender Akt von äußerster Unmittelbarkeit (68 000 Euro), aber auch Tänzerinnen und Tänzer in komplexer Verdrehung, die sinnlichen Liebespaare in enger Umarmung oder der „Gewichtheber“ von 1979, ein Koloss von nur 30 Zentimetern Höhe, dem die Anstrengung im Gesicht geschrieben steht (8700 Euro).

In der Bundesrepublik blieb Grzimek weiterhin in Kontakt mit der ostdeutschen Kunstszene. 1977 entwarf er die Reliefs für das Südportal des Magdeburger Doms. Seit 1968 hielt er eine Professur für plastisches Gestalten an der Technischen Hochschule in Darmstadt mit Hauptwohnsitz in West-Berlin. Hier war seine letzte öffentliche Arbeit die zweiteilige Brunnenanlage mit den „Lebensaltern“ am Wittenbergplatz, deren Vollendung er nicht mehr erlebte. Rückblickend meinte er zwei Jahre vor seinem Tod: „Ich gehöre von meiner Herkunft her zu einer Nachfolge von Gerhard Marcks, Ludwig Kasper, den strengen Tektonikern, Hildebrandt. Den Begriff ‚Realist‘ akzeptiere ich. Ein Realist ist nicht unbedingt an die Figur gebunden.“

Kunsthandel Dr. Karger, Stilwerk Berlin, Kantstr. 17; bis 19. 1., Di–Fr 14–19 Uhr, Sa 10–19 Uhr (24. & 31. 12. geschlossen)

Angelika Leitzke

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