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Junggenie. Clara Schumann um 1835.

© bpk / Alfredo Dagli Orti

Biografie: Die Königin Clara Schumann

Tastenlöwin, Komponistin, Gattin, Mutter: Janina Klassen schreibt eine faszinierende Biografie über Clara Schumann.

Eine Biografie gelesen. Fast geweint vor Freude. Selten wohl gibt es Lebensbeschreibungen, die so fesselnd sind wie Janina Klassens Buch über Clara Schumann, „ein Vorbild für weibliche Autonomie im 19. Jahrhundert“, selten gelehrte Publikationen, die mit so vielen lebendigen Details, Abschweifungen und Reflexionen zum Schmökern einladen. Den heroisierenden, dann das Bild der unterdrückten Frau ausmalenden, später feministisch angebrannten Biografien der letzten 100 Jahre stellt Klassen schlicht einen nah an den Quellen orientierten Band entgegen. Für ihr Buch „Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit“, hat sich die in Freiburg lehrende Musikwissenschaftlerin mehrere Jahre Zeit und ein halbes Tausend Seiten Raum genommen.

Die baren Daten des langen, unerhört reichen Lebens von Clara Schumann handelt sie dabei auf 16 Zeilen ab. Clara Wieck Schumann sei ein Star gewesen, heißt es noch vor Beginn des ersten Kapitels. Wunderkindkarriere, internationaler Durchbruch, Hochzeit mit Robert Schumann, nach dessen Tod weitere Tourneen, eine eigene Klavierklasse am Hochschen Konservatorium in Frankfurt, fünf Jahre vor dem Tod 1896 der letzte öffentliche Auftritt. Aber was für ein Leben liegt dazwischen!

Allein dem komplexen Verhältnis von Vater und Tochter widmet Klassen viele Seiten, ebenso den Feinheiten der Klavierausbildung, sodann der Festigung des Künstlerinnen-Images der jungen Clara Wieck, Eheglück und Eheproblemen, der engen Beziehung zu Johannes Brahms, den Bemühungen, die Laufbahn als Pianistin voranzutreiben und die halb verwaiste Kinderschar durchzubringen. Sogar über die frappierende Ähnlichkeit zwischen ihrem Auftreten und dem der englischen Königin Victoria schreibt Klassen: Beide begeisterten die Massen, beide spielten ihre Machtspielräume intelligent aus, im Alter kleideten sie sich ähnlich. Ein persönliches Treffen im Jahr 1872 verlief allerdings katastrophal. „Hier prallten zwei Königinnen aufeinander“, bemerkt Klassen mit leicht süffisantem Unterton. Wie sie sich überhaupt als Autorin diskret, aber spürbar in die eigene Erzählung mischt (ganz abgesehen von den vielfältigen Einlassungen zum Thema „Biografie-Schreiben“, die das Buch durchziehen). „Vorläufige Endstation eines Rosenkriegs“, heißt es etwa über die Scheidungsstreitigkeiten von Claras Eltern. „Es gibt Bilder, die bekommen einer jungen Liebe schlecht“, kommentiert Klassen andererseits eine Briefstelle von Johannes Brahms, in der dieser berichtet, wie Robert Schumann kurz vor seinem Tode von den Fingern Claras Wein gesogen habe, „begierig und lange und so heiß, daß man bestimmt wußte, er kannte den Finger“.

Und wenn sie bemerkt, dass es Brahms „bis ins hohe Alter gelang, Clara Schumann auf die Palme zu bringen mit seinen Vorschlägen, sich von der Bühne zurückzuziehen“, dann ist das weit mehr als eine flockige Zusammenfassung des nicht immer problemfreien Miteinanders. In solchen Bewertungen spiegelt sich auch Janina Klassens Urteilssicherheit in Bezug auf dieses Leben. So vertraut ist sie im Umgang mit dem überbordenden Quellenmaterial – zeitlebens fast manisch haben die Schumanns ihren künstlerischen Output und den gemeinsamen Alltag dokumentiert –, dass Leser und Leserinnen verwundert sein dürften ob ihrer eigenen Einschätzung, dass die Figur Clara Schumanns ferner rückte, „je höher der Berg zusammengetragener Materialien sich auftürmte“.

Ihre Abschweifungen von der Darstellung des einen, individuellen Lebens werden zwar straff an der Kandare gehalten, bieten aber doch viele faszinierende Details. Klassen erläutert Geschlechterrollen, Bildung und männlich-weibliche Zuschreibungen, sie schreibt über Preise und Honorare; den Privatkult der bürgerlichen Intellektuellen um 1835; Schmuck aus Haaren und die biedermeierliche Blumen-Symbolik; über Lexikonwesen und Verkehrstechnik, den Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Jugend- und Geniekult oder das Londoner Konzertleben. Naturgemäß aber sind ihre Einlassungen dort noch spannender, wo es um unsere Protagonistin selbst geht. Zum einen stellt Klassen ihre Kompositionen vor, das Buch ist durchwachsen mit Werkanalysen. Die betreffenden Abschnitte stören den Lesefluss für Nicht-Notenkundige zwar, werten andererseits das musikalische Schaffen Clara Schumanns aber ordnungsgemäß auf: Schon als Teenager hatte sie mit dem Komponieren begonnen, es als Ehefrau dann etwas vernachlässigen müssen. Später edierte und transkribierte sie Werke ihres Mannes.

Zum anderen wendet sich Klassen noch den kleinsten Feinheiten von Claras Leben zu, dem bezaubernden Fest zum 16. Geburtstag zum Beispiel. „Das gemeinsame Mittagessen beehrte auch Mendelssohn, und zur Verblüffung aller wagte das Geburtstagskind dann doch noch einen Toast. Später wurde musiziert und getanzt. Das Fest beschloss ein Nachtspaziergang.“ Klassen vergisst auch nicht, den leichten Sprachfehler ihrer Heldin zu erwähnen – „ein leises Anstoßen mit der Zunge“, von dem die Tochter Eugenie berichtet –, sie erzählt von Anwandlungen von Schreckhaftigkeit, dem schwierigen Verhältnis der Klavierlöwin Schumann zu dem Tastenhengst Liszt, den unterschiedlichen Schlafgewohnheiten der Eheleute, Claras Wirken als international anerkannte Lehrerin und den bald wohlwollenden, bald gehässigen Urteilen, die nach ihrem Tod über sie gefällt wurden.

Wenn Klassen an seltenen Stellen auch mit altbekannt-akademischem Vokabular operiert, so ist aus dieser Biografie doch ein freundliches Buch geworden: Ein wissenschaftlicher chick-flick, der auf höchstem Niveau dazu einlädt, das ungewöhnliche, inspirierende Leben einer der erfolgreichsten Frauen des 19. Jahrhunderts kennenzulernen.

Janina Klassen, Clara Schumann. Musik und Öffentlichkeit, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2009, 536 Seiten, € 29, 90.

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