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Kultur: Biografie: Doppelter Knalleffekt

Beliebter als die Biografie ist - die Doppelbiografie. Etwas Schöneres als zwei Menschen, vereint durch die Himmelsmacht der Liebe, kann es für den Leser offenbar nicht geben.

Beliebter als die Biografie ist - die Doppelbiografie. Etwas Schöneres als zwei Menschen, vereint durch die Himmelsmacht der Liebe, kann es für den Leser offenbar nicht geben. Auch der neue Roman des Österreichers Robert Menasse schildert zwei Leben; allerdings trennen die beiden knapp 400 Jahre, und nicht Amor verbindet sie miteinander, sondern die Judenverfolgung.

"Die Vertreibung aus der Hölle" erzählt auf geistreiche und spannende Weise von der Geschichte als vermeintlicher Himmelsmacht. Viktor Abravanel, Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden und einer christlichen Mutter, ist seit seiner Schulzeit unglücklich in Hildegund verliebt. 25 Jahre nach der Matura trifft er sie auf einem Klassentreffen wieder, das er mit einer Rede über die Nazivergangenheit der Lehrer sprengt. Nur Hildegund bleibt im Restaurant, und Viktor erzählt ihr in einer langen Nacht sein Leben. Er leide an "Balzheimer", entgegnet Hildegund schnippisch.

Begonnen hat der Roman mit der Angst des kleinen Manasseh vor dem blutrünstigen christlichen Mob, der vor dem Haus tobt. In Portugal herrscht die Inquisition, die Manassehs Vater seit Tagen foltert. Nach seiner Entlassung flieht die Familie. In Särgen gelangen sie über die Grenze nach Amsterdam, dem "Neuen Jerusalem", wo Manasseh ein berühmter jüdischer Gelehrter des 17. Jahrhunderts werden wird. Menasse wechselt so behände vom historisch verbürgten Manasseh zu Viktor und Hildegund und von Viktors Erinnerungen zu denen von Manasseh, dass die Ereignisse vor 400 Jahren ebenso nahe rücken wie jene vor 30. Zumal Viktor und Manasseh, deren Verwandtschaft beiläufig erwähnt wird, viel gemeinsam haben: Beide verhalten sich antisemitisch, bevor sie erfahren, dass sie Juden sind. Und weil Assimilierte für Christen immer Juden bleiben, also Außenseiter, müssen beide Jungen im Krippenspiel die Rolle der einzigen Frau übernehmen und Maria spielen.

Das Nadelöhr der Wiederholung

Immer wieder treibt Menasse seinen Erzählfaden durch das Nadelöhr der Wiederholung, einer nichtidentischen allerdings. Denn bei aller Ähnlichkeit sind die Unterschiede unübersehbar. Manassehs "Schweinejagd" auf vermeintliche Juden geht der Inquisition und dem Exodus der jüdischen Gemeinden Portugals voraus. Viktor aber, der einen "Saujuden" verprügelt, erhält Schläge vom Vater, und die sind nicht ohne Reiz, weil der Vater ihn sonst nie anrührt. Viktor wiederholt Manassehs Tragödie als Farce.

Auch "Die Vertreibung aus der Hölle" ist also ein "Verkümmerungsroman" - so hat der 1954 geborene Menasse, der nach Lehraufträgen in Brasilien in Wien und Amster-dam lebt, schon die Bände seiner "Trilogie der Entgeisterung" genannt. In den Romanen vollendet sich nicht wie bei Hegel der Geist, sondern er regrediert - wenn auch voller Witz und Anmut. Der neue Roman dieses Anti-Hegelianers, dessen Viktor autobiografische Züge trägt, poetisiert nicht einfach die Hegel-These, eine Tragödie wiederhole sich nur als Farce. Am Ende der Reise durch die Jahrhunderte folgt die Antithese als doppelter Knalleffekt: Erst erzählt Viktor, er wolle in Amsterdam einen Vortrag über Manasseh halten. Dann stellt sich heraus, dass der Historiker die Nazivergangenheit seiner Lehrer bloß erfunden hat.

Der Autor als Jongleur

Plötzlich kippt der Roman um 180 Grad: Die Parallelen zwischen den Hauptpersonen verdanken sich also nicht der Verfolgung als Juden, sondern der Identifikationssehnsucht Viktors, die auch vor Verleumdung nicht zurückschreckt. "Die Vertreibung aus der Hölle" ist ein kluges, polemisches und ziemlich unwiderstehliches Plädoyer gegen den Missbrauch der Judenverfolgung als Identitätskrücke - nicht nur durch Nachfahren der Opfer, auch durch die der Täter. Viktor ist ja mit eben dieser doppelten Verwandtschaft gesegnet. Dass er den Namen just jener jüdischen Familie trägt, aus der dereinst der Messias hervortreten soll, ist ein schönes Beispiel für Menasses abgründigen Witz.

Seine Geschichte verwirbelt Tragik und Ironie, das sinnfällige Detail und die anschauliche Abstraktion, den psychologischen Roman und die Kabarettszene, Biografie und Burleske. Virtuos jongliert Robert Menasse mit Gattungen und Genres, Zeiten und Orten. So präsentiert er die individuelle Geschichte als einen lebhaften Verschiebebahnhof der Identitäten: Manasseh erlangt Anerkennung unter christlichen Gelehrten; Christen wiederum konvertieren im 17. Jahrhundert massenhaft zum Judentum, und Viktors Großmutter lässt sich christlich bestatten, weil Nonnen sie vor den Nationalsozialisten versteckten.

Wenn dieser kleine Identitätsgrenzverkehr aufhört, wird es burlesk und dann todernst: Viktors christlicher Onkel Erich ist ein kleinbürgerlicher Antisemit, heuert bei einem Juden an, parodiert seinen Arbeitgeber mit großem Erfolg als jiddelnden Schwachsinnigen - und fällt schließlich Judenhassern zum Opfer. An seinem Grab trauern zehn gemietete Kaddischsänger.

Jörg Plath

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