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Wie aus dem NS-Bilderbuch. Unity Mitford.

© mauritius images/ United Archives

Biografie Unity Mitford: Hitlers It-Girl

Mehr als ein Nazi-Dummchen: Michaela Karl porträtiert die exzentrische Unity Mitford.

Lange war Unity Mitford, die vierte der sechs berühmten Mitford-Schwestern, Historikern nur eine Fußnote wert. Sie stand im Ruf eines Nazi-Dummchens. Die Politikwissenschaftlerin Michaela Karl aber warnt ihre Leser schon in der Einleitung ihrer Biografie: „Sie werden einer interessanten Frau begegnen, mit der Sie sich vielleicht angefreundet hätten, einzig der Freundeskreis ließ zu wünschen übrig.“ Wer also war die adlige Engländerin Unity Mitford, die in den 30er Jahren Adolf Hitler verfiel? Ja, ist ihre Faschismus-Begeisterung womöglich nachvollziehbarer, als uns lieb sein darf?

Ja, meint Karl, die sich bereits mit Biografien von Dorothy Parker und dem Glamourpaar Scott und Zelda Fitzgerald einen Namen gemacht hat. Auf der Suche nach der wahren Unity Mitford hat sie abermals tief in den Archiven gewühlt und wenig schmeichelhafte Wahrheiten hervorgekramt. Etwa, dass auch viele andere Engländer von Hitler seinerzeit begeistert waren. Sehnsüchtig blickten die von ihrer Vätergeneration enttäuschten „Bright Young People“ damals nach Deutschland und besuchten die frühen NSDAP-Parteitage, um hinterher von deutscher Tatkraft und dem „hoch interessanten Experiment“ der Nazis zu schwärmen, wie es der Autor H. G. Wells tat.

Selbst kluge Köpfe wie der Dichter William Butler Yeats, der Schriftsteller D.H. Lawrence oder der Dramatiker George Bernhard Shaw machten aus ihrer Hitler- und Mussolini-Bewunderung kein Hehl. „Daily Mail“-Verleger Lord Rothermere lud den Führer 1934 zum Luxusdinner ins Berliner Hotel Adlon ein. Der US-Industrielle Henry Ford, bekennender Antisemit, unterstützte die Nationalsozialisten mit Geld. Und Atlantiküberflieger Charles Lindbergh war sogar 1938 noch stolz darauf, aus den Händen Hermann Görings das „Großkreuz des Deutschen Adlerordens“ zu empfangen.

Zu Partys mit der Ringelnatter

Vor diesem Hintergrund erscheint Unity Mitford gar nicht mehr als außergewöhnlich. Die 1914 geborene Lordtochter, die Partys gerne mithilfe ihrer Ringelnatter Enid aufmischte, wirkt bei Karl denn auch weniger als verstrahlte Ideologin denn als orientierungslose Provokateurin. Eine Einladung ihrer Schwester Diana, sie auf eine Deutschlandreise zu begleiten, kam der 19-Jährigen 1933 gerade recht. Diana, die aus Liebe zum englischen Faschistenführer Oswald Mosley Ehemann und Kinder verlassen hatte, nahm die jüngere Schwester auch zu Veranstaltungen von Mosleys Faschisten-Partei BUF mit. Im September 1933 besuchten die beiden Mitford-Girls dann den NSDAP-Parteitag in Nürnberg und hörten erstmals Hitler.

Ein Erlebnis, das für Unity zum Erweckungserlebnis wurde. Endlich glaubte sie, ihr Lebensziel gefunden zu haben, lernte eifrig Deutsch und siedelte 1934 nach München über. Hier lauerte sie dem bewunderten Führer so lange in dessen Stammlokal „Osteria Bavaria“ auf, bis dieser die Blondine, die ganz dem NS-Frauenideal entsprach, im Februar 1935 an seinen Tisch bitten ließ. Aus der Jungmädchen-Schwärmerei wurde eine innige Freundschaft, die auch Hitler-Vertraute wie Goebbels, Göring, Albert Speer oder Joachim von Ribbentrop zunehmend irritierte.

Der angebliche Selbstmord lässt sich wohl nie aufklären

140 Mal trafen sich Unity Mitford und Adolf Hitler in den Jahren 1935 bis 1939, im Schnitt alle zehn Tage. Sie stellte ihm ihre Eltern und Geschwister vor, er nahm sie zu Görings Hochzeit und den Wagner-Festspielen mit. Kein Wunder, dass bald Gerüchte über Heiratspläne kursierten. Eva Braun soll aus Eifersucht gar einen Selbstmordversuch unternommen haben. Karl aber glaubt nicht an eine Liebesbeziehung zwischen den beiden. Sehr wohl allerdings daran, dass die 25 Jahre jüngere Unity Hitler politisch beeinflusste. Von daher hegt sie auch Zweifel an der offiziellen These vom Suizidversuch am 3. September 1939, dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen, den Großbritannien mit einer Kriegserklärung ans Deutsche Reich quittierte. Aus enttäuschtem Patriotismus, so heißt es bis heute, habe sich die 25-Jährige im Englischen Garten eine Kugel in den Kopf gejagt. Karl hingegen sieht Ungereimtheiten aufweist. Zeugen wurden eingeschüchtert, Aussagen widersprachen sich, zudem tauchte der oft zitierte Abschiedsbrief Unitys nie wieder auf. Auch, dass die Gestapo sofort am Tatort war, nährt den Verdacht, dass sie hochrangige Nazis womöglich aus dem Weg räumen wollten.

Da sämtliche Akten im Krieg zerstört wurden, wird man den Fall wohl nie mehr ganz aufklären können. Fast zehn Jahre lang lebte die schwerverletzte Unity noch mit der Kugel im Kopf weiter und kehrte Anfang 1940 nach Großbritannien zurück. Warum Hitlers It-Girl hier allerdings nie bis zu ihrem Tod 1948 von der Polizei oder vom Inlandsgeheimdienst MI5 befragt wurde, obwohl durchaus ansprechbar, erscheint Autorin Karl ebenfalls rätselhaft. Die von ihr spannend und unterhaltsam aufbereitete Geschichte birgt also so manches Geheimnis. Vor allem aber mahnt sie daran, welche Verführungskraft faschistische Ideen auch auf scheinbar aufgeklärte Menschen ausüben können.

Michaela Karl: „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“ - Unity Mitford. Eine Biografie. Hoffmann und Campe, Hamburg 2016. 400 S., 22 €.

Gisa Funck

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