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Familienbande. Max Weber (rechts) mit den Eltern Max und Helene sowie den Geschwistern im Jahr 1888 in Charlottenburg.

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Biografien zu Max Weber: Erkenntnis im Scheitern

Zum 150. Geburtstag des Soziologen Max Weber erscheinen die gewichtigen Biografien von Dirk Kaesler und Jürgen Kaube.

Mit dem neuen, dem 20. Jahrhundert dämmerte das Ende des traditionellen Bürgertums. Max Weber (1864–1920), Spross einer wohlhabenden Familienverbindung, machte sich keine Illusionen. „Wie ist es angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn ,individualistischen’ Bewegungsfreiheit zu retten?“, fragte er in einer seiner politischsten, noch während des untergehenden Kaiserreichs verfassten Schriften, „Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland“. Das war seine persönlichste Fragestellung: Wie das Individuum seine Lebensführung unter den Bedingungen des „stahlharten Gehäuses der Hörigkeit“ bewahren könne, als den er den entwickelten, den „mechanischen“ Kapitalismus sah.

1914 begann der Erste Weltkrieg. Weber, der Mitbegründer der Soziologie und wohl bedeutendste Denker der spätwilhelminischen Zeit, lebte damals als angesehener Privatgelehrter wie zuvor als Professor in Heidelberg, sein Haus war ein Treffpunkt der Geisteswelt. Als „Premierlieutenant der Reserve“ meldete er sich 1914 freiwillig, wurde jedoch zum Heimatdienst abgeschoben – und feierte einen Krieg, an dessen Fronten er niemals kämpfen musste: „Dieser Krieg ist bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar ...“

Webers Persönlichkeit ist widersprüchlich und zerrissen

Widersprüchlich, zerrissen und früh beschädigt ist die Persönlichkeit Webers, dessen 150. Geburtstag am 21. April in diesem Jahr zu zwei gewichtigen Biografien Anlass gab. Dirk Kaesler, Marburger Emeritus und seit 40 Jahren ein zuverlässiger Übermittler des Weberschen Wissenschaftsgebäudes, hat seine jahrzehntelange Einfühlung in die 1008 Seiten „Max Weber“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Preuße, Denker, Muttersohn“ gefasst, die Weber in engem Kontext seiner komplizierten Familiengeschichte beleuchtet. Jürgen Kaube, spitzfedriger Redakteur für Geisteswissenschaften der „FAZ“, hält sich mit seinem Buch „Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen“ auf 495 Seiten deutlich kürzer, erhebt allerdings den Anspruch einer „intellektuellen Biografie“.

Gänzlich zufrieden stellen kann keine der Darstellungen. Und das liegt an Weber selbst. Man könnte mit den bohrenden Fragestellungen Webers beginnen wie dieseRezension; doch eine Biografie im strikten Sinne verlangt nun einmal zum Auftakt die Familiengeschichte. Sie ist, bei beiden Autoren, erhellend und bisweilen auch ermüdend zu lesen; aber erhellt sie Webers intellektuellen Kosmos wirklich?

Max Weber war der vielversprechendste Gelehrte seiner Generation, ein Exponent der protestantischen, preußischen, großbürgerlichen Elite“, schreibt Kaube: „Am Ende seines Lebens war von der Welt, in die er hineingeboren wurde, nichts mehr übrig, und er hinterließ ein riesiges Werk – vor allem in Fragmenten ...“  400 Seiten später bilanziert Kaube, dass nach Webers frühem Tod 1920 „niemand genau sagen konnte, worin die Bedeutung dieses Werkes genau bestand. Der gewaltige Torso seiner Schriften war für viele Deutungen offen.“ Wohl wahr.  „Aber es gibt klassische Werke, denen die Formulierung von Problemen gelungen ist, die ihre eigenen Lösungen überdauern.“ Das ist eine salomonische Lösung des Paradoxons, wie es Kaube sieht: als Abstieg „aus der großen Höhe einer gesicherten Existenz und eines vielversprechenden Anfangs“. Überaus selten sei es, „dass ein solcher ,Abstieg’ sich mit der Erarbeitung eines unfassbar variantenreichen, thesenstarken, enzyklopädischen Werkes verbindet“.

Ein Panorama der großbürgerlichen Herkunft

Das Rätsel Weber ist demzufolge nicht zu lösen. Beide Biografien breiten das Panorama der großbürgerlichen Herkunft, der Familie des väterlichen Berufspolitikers, des mütterlichen Industriellenerbes, der vielfältigen Verflechtungen über Länder und Kontinente hinweg aus. Zumal Kaesler, dem noch unveröffentlichte Korrespondenzen zur Verfügung standen – die von beiden Autoren seltsam unerwähnte Max-Weber-Gesamtausgabe ist seit drei Jahrzehnten im Werden begriffen –, ordnet Webers Leben aufs Gründlichste in den Kontext seiner, hier trifft das Wort, Familienbande ein. Der durch den plötzlichen Tod des Vaters ungelöst gebliebene Konflikt mit den Eltern, die nie vollzogene „Kameradenehe“ mit der Cousine Marianne Schnitger – sie selbst spricht im Weber-„Lebensbild“ von 1926 stets von „den Gefährten“ –, das Leben an der Seite dieser klugen und couragierten Frau wie bis zu deren Tod in engstem Kontakt mit der Mutter, all das erschließt Kaesler in einschüchternder Präsenz.

Um so schlimmer der gesundheitliche Absturz in den Jahren 1899 bis 1903, verbunden mit dem etappenweisen Rückzug aus dem Lehramt. Die Mode-Diagnose der ratlosen Ärzte besagt gar nichts:  „Die Neurasthenie war gewissermaßen die zur Krankheit gesteigerte Laune.“ 

Kaube glaubt jedoch nicht an die These vom vollständigen „Stumpfen“ Webers – so Marianne im „Lebensbild“ – in den dunklen Jahren. Hingegen bilanziert er den römischen Winter des Ehepaares 1901/02 vielmehr so: „Und ausgerechnet in Rom, im Herzen der katholischen Welt, wurde ein Werk vorbereitet, das erklärte, wesentliche Züge der modernen Welt seien aus dem Protestantismus hervorgegangen.“ Die These „läuft darauf hinaus, dass der Protestantismus (...) die eigentliche Nachfolge des christlichen Mönchstums angetreten hat“. Hier, bei der Protestantismus-These, die Weber mehr als jede andere seiner Leistungen berühmt gemacht hat, ist Kaube auf der Höhe seiner „intellektuellen Biografie“. Doch „schon auf den ersten Blick“ sei „diese These merkwürdig. Denn wie sollte ausgerechnet eine Mentalität der Weltablehnung die Wirtschaftsform herbeigeführt haben, die als Inbegriff materialistischer Orientierungen gilt?“

Weber war im Berufsleben schroff und streitsüchtig

Weber, im beruflichen Alltag oft schroff und streitsüchtig, ist der Widerspruch in Person. Enorm frühreif, was seine intellektuellen Fähigkeiten anbelangt, wurde er bereits 1893 mit 29 Jahren zum Professor in Berlin berufen, machte im Jahr darauf mit seiner Freiburger Antrittsvorlesung Furore, ging dann nach Heidelberg – und musste bereits zwei Jahre später sein Lehramt aufgeben.

Die spätbürgerliche Welt ist heute weit entfernt. „Max Weber ist nicht unser Zeitgenosse“, schreibt Kaesler lapidar. Das gilt es im Auge zu behalten. Die unveränderte Aktualität des Weberschen Werkes ist keine Aktualität der Person. „Die Hinführung zu Max Weber erzwingt dessen Historisierung“ – eine Forderung, die Kaesler einlöst und die seine Darstellung bisweilen um den Ertrag der Beschäftigung mit dem steinbruchhaften Werk bringt: den des beständigen intellektuellen Abenteuers. Und auch des Erschreckens angesichts Weberscher Maßlosigkeiten.

So bei der Freiburger Antrittsvorlesung von 1895. Gewiss war sie stark nationalistisch grundiert.Und doch ist sie in Wenn-dann-Sätzen geformt wie jenem, der die Bismarcksche Reichsgründung als „Jugendstreich“ verurteilt, „wenn sie der Abschluss und nicht der Ausgangspunkt einer deutschen Weltmachtpolitik sein sollte“. In derartigen Konditionalsätzen dachte Weber zeitlebens. Ob 1895 oder 1919 – mit dem schneidend scharfenVortrag „Politik als Beruf“ –, gern suchte er die Zuspitzung um ihrer Wirkung willen.

„Im Scheitern an der Entwicklung einer Einheit seiner Person lag die selbst empfundene Tragik des seit Jahren kranken und zugleich so streitbaren Mannes“, urteilt Kaesler und sieht „Identitätsprobleme, ein sexuelles Vakuum und eine virulente Gefühlskälte, die alle Menschen bedrohen, die ihm zu nahe kommen“ – so auch die Liebschaften, die er endlich doch eingehen konnte. Stark auf das allerprivateste Leben hatte bereits 2005 der Bielefelder Historiker Joachim Radkau seine voluminöse Darstellung „Max Weber. Die Leidenschaft des Denkens“ fokussiert. Mit der ungeschminkten Darstellung des Intimlebens traf er den wunden Punkt der älteren Weber-Biografik.

Auch Radkau hat nun das Weber-Jubiläum im Blick gehabt und seine Biografie überarbeitet(jetzt bei dtv, 927 S., 19,90 €). Radkau sieht gerade die Protestantismus-These aus ihrer Entstehung heraus als „Paradigma für eine intellektuelle Offenbarung aus der Leidenserfahrung“. Und noch eins drauf: „Bei Weber kann man verfolgen, wie eine Befreiung von eingefahrenen Denkmustern auch erotisch befreiend wirken kann.“

1914 kam der Krieg. Und nach ihm Webers kurzzeitiger, gescheiterter Versuch als Politiker, zumal er sich für die Friedensverhandlungen als Alibi-Professor missbrauchen lässt. „In Versailles half ich mir durch massenhaften Alcohol!!“, schreibt Weber frustriert an Marianne; das sagt alles. Zugleich wurde die politische Publizistik dieses erbitterten Gegners des abgedankten Kaisers – „dieser Fatzke!“ – enorm wirkungsmächtig. Der Tod am 14. Juni 1920 in München verweist die oft gestellte Frage nach Webers politischer Begabung ins Spekulative.

„Wir verabschieden uns von der Vorstellung, es gebe eine sichere Wahrheit über ihn und sein Leben“, schließt Kaesler sein wohlabgewogenes Buch. Kaube schreibt prägnanter. Er sieht in Webers Werk den „Versuch, gegenüber einer Gesellschaft, die das Gute wie das Böse steigert (...), weder den Verstand zu verlieren noch sich in sicheres Spezialwissen und einen überschaubaren Wirkungskreis zu flüchten“. Aber wer, wenn er nicht Webers Energie und auch Maßlosigkeit besäße, könnte das noch leisten?

Jürgen Kaube: Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen. Rowohlt Berlin, Berlin 2014, 495 S., 26,95 € – Dirk Kaesler: Max Weber. Preuße, Denker, Muttersohn. C.H.Beck, München 2014, 1008 S., 38 €.

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