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Unerschrocken. Werner Herzog. Foto: Reuters

© REUTERS

Biographie über Werner Herzog: Über den Berg

Geschulter Pirat: Zum 70. Geburtstag wird der Filmemacher Werner Herzog mit einer Biografie gefeiert.

Zuletzt hat er Todeskandidaten in US-Gefängnissen interviewt, für „In the Abyss“ und „Death Row“. Gleich zu Beginn sagt er ihnen, dass er sie nicht mögen müsse, um gegen die Todesstrafe zu sein. Dass er sich trotzdem für sie interessiert, für ihre Taten, ihre Angst, ihre Träume.

Werner Herzog ist berühmt für die Furchtlosigkeit, mit der er sich der Welt und den Menschen stellt. Auge um Auge: Seine Obsession gilt dem Unerklärlichen, Unbezwingbaren, Unfassbaren, dem, was das Menschenmögliche übersteigt und was doch zu den Möglichkeiten des Menschseins gehört. Seine gut 60 Filme wollen ergründen, was uns schaudern macht: Größenwahn, Gewaltmenschen, Unbehaustheiten, die entfesselte Natur, die rasende Einsamkeit, den wütenden Tod, die große Oper des Lebens. Es sind immer Männer am Werk, in den fünf legendären Produktionen mit Klaus Kinski („Aguirre, der Zorn Gottes“, „Woyzeck“, „Nosferatu“, „Fitzcarraldo“, „Cobra Verde“) genauso wie in den Dokumentarfilmen über Reinhold Messner, den Berserker Kinski oder über „Die Höhle der vergessenen Träume“ im französischen Chauvet, mit den ältesten Gemälden der Menschheit.

Geboren ist Herzog in München, mitten im Krieg, am 5. September 1942. Die Alliierten bombardierten die Stadt, also ging die Mutter mit den Söhnen in den Chiemgau, in ein Dorf nahe der österreichischen Grenze. Ein Filmemacher aus Sachrang in Bayern, so beschreibt sich Herzog bis heute, dabei lebt er längst in Los Angeles. Was die Kindheit in dieser wilden, archaischen, gottverlassenen Berggegend mit dem tobenden Wasserfall gleich hinter dem Haus mit Herzogs Oeuvre zu tun hat, das erkundet Moritz Holfelder in seiner gerade erschienenen Biografie, der ersten auf Deutsch.

Mit Herzog selbst konnte der Autor nicht reden. „Er möchte aus dem Geburtstag keine öffentliche Angelegenheit machen, es ist ihm diese Art von Öffentlichkeit sehr unangenehm“, teilte Lucki Stipetic mit, Herzogs Halbbruder und Geschäftsführer seiner Wiener Produktionsfirma. Also suchte Holfelder die Stationen von Herzogs Lebensweg auf, verfolgte – unter anderem auf langen Fußmärschen – dessen Spuren, traf Freunde, Verwandte, Weggefährten. So skizziert er das Bild eines hochintelligenten, abenteuerlustigen Buben mit einer energischen Mutter, eines Nomaden, Globetrotters, Autodidakten und großen Zu-Fuß-Gehers (1974 ging Herzog von München nach Paris zu Lotte Eisner, 1982 umrundete er Deutschland), der um „ekstatische Wahrheiten“ ringt. Außer dem FC Schwarz-Gelb, für den er in 144 Spielen 86 Tore schoss, gehörte Herzog nie einem Verein an. Nicht den 68ern, auch nicht dem neuen deutschen Autorenfilm, oder nur sehr kurze Zeit.

Über Herzog kursieren widersprüchliche Geschichten. In Interviews und Publikumsgesprächen erfindet er sich immer wieder neu, auch davon erzählt Holfelders Buch. Von dem Visionär, der im Spielfilmdebüt „Lebenszeichen“ (1968) die kretische Hochebene von Lassithi mit ihren Segelwindmühlen in eine metaphysische Landschaft verwandelt und der für sein Dorfdrama „Herz aus Glas“ (1976) die Schauspieler hypnotisiert. Von dem unerschrockenen Regisseur, der wilde Tiere vor die Kamera holt, Bären (in „Grizzly Man“), Affen (in „Fitzcarraldo“) und Alligatoren („Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen“). Für eine „Nosferatu“-Szene ließ er sich von Ratten den Fuß anknabbern. Auch die berühmteste Herzog-Szene – der Flussdampfer, der in „Fitzcarraldo“ über den Berg gehievt wird –, ist kein Filmtrick, sondern ein echter Wahnsinnskraftakt. Ebenfalls wahr: die Geschichte vom Schuh, den Herzog 1980 nach einer verlorenen Wette mit dem Dokumentaristen Errol Morris vor Publikum verspeist hat. Die Mahlzeit wurde filmisch dokumentiert.

Er kenne keinen, sagt Werner Herzogs ältester Schulfreund in Holfelders Buch, der einen solchen Werkwillen besitze. Es geht ihm um die Dringlichkeit des Lebens, meinte Herzog gegenüber der „FAZ“, und dass die Filmideen ihn wie Einbrecher überfallen, „Keulen schwingend“. Alexander Kluge nennt ihn einen „geschulten Piraten“, der so frei ist, sich die Freiheit zu nehmen.

Dabei ist weniger Hybris im Spiel als Sturheit gegenüber der Widerständigkeit des Materials. „Geht nicht“ gibt’s nicht. Ohne diese Sturheit ist Herzogs Werk nicht denkbar. Auch nicht ohne einen hellwachen, nach Erkenntnis und Nie-Gesehenem gierenden Verstand. In Amerika ist Herzog seit Jahren ein Star. Auf den internationalen Festivals wird er gefeiert, 2011 war er Jury-Präsident der Berlinale. Dass seine Filme seit 20 Jahren in Deutschland kaum noch ins Kino kommen, ist eine Schande. Auch daran sollte man an seinem heutigen 70. Geburtstag erinnern. Christiane Peitz

Moritz Holfelder: Werner Herzog. Die Biografie. Langen-Müller-Verlag, München 2012. 288 Seiten, 22,99 €.

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