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Birgit Minichmayr

© Berlinale

Birgit Minichmayr: Freiheiten einer Närrin

Als Serviererin in "Der Knochenmann" findet Birgit Minichmayr einen abgetrennten Finger, in "Alle Anderen" urlaubt sie unter sardinischer Sonne.

Ein abgetrennter Finger? Da staunt die junge Frau aber. „Der muss doch jemandem abgehen“, wundert sich Birgit, die es als Serviererin in der Backhendlstation sonst nur mit abgeschnittenen Flügeln zu tun hat, knusprig paniert. Naja, sagt ihr Blick, wird sich schon einer melden. Mit welcher todernsten Lakonik Birgit Minichmayr diese Szene spielt, im österreichischen Krimi „Der Knochenmann“ (Rezension siehe unten), Wolfgang Murnbergers dritter Wolf-Haas-Verfilmung nach „Silentium“ und „Komm, süßer Tod“, ist von hoher Komik. Es gibt ihn, den typisch österreichischen Witz, das glaubt auch Minichmayr, und er ist schwarz wie ein Kohlenkeller. Sie merke das oft an der Reaktion deutscher Kollegen, die dann sagten: „Ihr Österreicher wieder mit eurem Humor“.

Ihre Figur der Birgit hat selbst allerdings schlecht lachen, die ist gestrandet in der Provinz mit einem Mann, der Porsche-Pauli genannt wird und sich auch so benimmt. Mit verschneitem Aufbruchswillen stattet Minichmayr sie aus, und es braucht erst eine Josef-Hader-Figur, um sie in einen wachkitzelnden Flirt zu verwickeln. Der beginnt mit dem Satz: „Solang’s mi net küssen, dürfen’s ruhig rauchen.“

Birgit Minichmayr, geboren im österreichischen Pasching, ist die Frau der Stunde, wieder einmal. Vertreten mit zwei Filmen auf der Berlinale, im „Knochenmann“, außerdem im deutschen Wettbewerbsbeitrag „Alle anderen“ von Maren Ade, einem Beziehungsdrama unter sardinischer Sonne – zwei extrem unterschiedliche Parts. „Ich wähle meine Rollen sehr intuitiv“, sagt Minichmayr, Genrevorlieben habe sie nicht. Ihre Filmografie beglaubigt das ebenso wie ihre Theaterkarriere. Eine Alleskönnerin ist sie, eine Wandelbare, die sich nicht als Verwandlungskünstlerin aufdrängt. Hauptrolle, Nebenrolle, egal, Minichmayr spielt sich ins Gedächtnis, und das war von Anfang an so. Am Burgtheater, wohin sie noch während ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar engagiert wurde und wo sie etwa als Ophelia in der antiquierten „Hamlet“-Inszenierung ihres vormaligen Lehrers Klaus-Maria Brandauer im Wahnsinns-Alleingang den Staub von der Bühne wirbelte. Und im Kino ebenso.

In ihrem ersten Film, Jan Schüttes „Abschied“, spielt sie Barbara Brecht, die Tochter von Helene Weigel. Anfang Zwanzig ist sie da, und mit welcher Mischung aus trotziger Unsicherheit und liebessehnsüchtigem Ungestüm sie sich ihren Platz an der Frauentafel zu erobern versucht, der der Vater als erotischer Despot vorsitzt, das ist sensationell. Und so geht es weiter. Sie behauptet sich in internationalen Produktionen („Taking Sides“) ebenso, wie sie in den Low-Budget-Filmen des österreichischen Produzentenkollektivs coop99 glänzt, das sich als Plattform einer neuen Generation von Filmemachern versteht. In Jessica Hausners „Hotel“ zum Beispiel. Oder in Barbara Alberts Freundinnen-Film „Fallen“, in dem sie mit brennender Intensität eine vom Leben enttäuschte Lehrerin spielt.

Jetzt „Alle anderen“: Der jüngste Film der Regisseurin Maren Ade („Der Wald vor lauter Bäumen“) erzählt von zweien, die fern der Heimat ins Schlittern geraten. „Man weiß nicht, ob das Paar, das in den Urlaub fährt, auch als Paar zurückkehrt“, sagt Minichmayr. Die Gitti, die sie spielt, stecke voller Energie, „quirlig, lebendig, abenteuerlustig“, aber allmählich beginne sie, sich zurückzunehmen, weil ihr Selbstbewusstsein den Freund (Schaubühnen-Ensemblemitglied Lars Eidinger) überfordere. „Wenn ich anders wäre, könnte ich dich glücklicher machen“, sage sie einmal so schön. Ein schon beängstigender Überschuss an Kraft und Energie – das wird ja auch Minichmayr in jedem Portrait und jeder Lobrede attestiert. Aber die Regisseurin, schränkt Minichmayr die Frage nach Geistesverwandtschaft zwischen Schauspielerin und Figur ein, habe die Rolle ja nicht eigens für sie geschrieben. Und auch nicht gezielt Theaterleute gesucht, obschon Minichmayr das Drehbuch wie ein Theaterstück gelesen hat, „weil es fast nur aus Dialogen besteht, tollen Dialogen. Es ist eben nicht so ein stummer Film, wo man die Leute nur beobachtet, wie sie nebeneinander sitzen und nix reden.“

Es gibt diese berühmte Anekdote, derzufolge die Zuschauer bei ihrem Abschied vom Burgtheater, als sie die Stadt verließ, um an Castorfs Volksbühne das andere Extrem zu suchen, Transparente entrollt haben, auf denen stand: „Birgit, bitte bleib in Wien!“ Sie lacht schallend, wenn man sie danach fragt. Wahnsinn, prustet sie, wie diese Geschichte sich verselbstständigt habe. Kaum in Berlin angekommen, hätten Kollegen sie schon angesprochen: Mensch, Birgit, das muss ja ein Theater gegeben haben, als du weggegangen bist! Soll ich das jetzt so stehen lassen, oder auflösen, habe sie sich gefragt, amüsiert sich Minichmayr. „Tatsächlich war es ein Typ, der nach dem Schlussapplaus gerufen hat: Birgit, bitte bleib in Wien! Und ein Transparent hat er auch nicht gehabt.“ Und bei ihrer Rückkehr nach Wien, nachdem das Volksbühnen- Ensemble zerfallen war und die passionierte Team-Spielerin das Gefühl hatte, es sei Zeit, wieder Abschied zu nehmen, habe auch niemand geschrien: „Gott sei Dank bist du wieder hier!“ Was allerdings angebracht gewesen wäre.

Ihre erste Rolle nach der künstlerischen Repatriierung nämlich war der Narr in Luc Bondys Inszenierung von „König Lear“, ein Theatererlebnis, vor kurzem im Rahmen der „Spielzeit Europa“ auch in Berlin. Wie Minichmayr den Lear von Gert Voss umtanzt, den sie nur „Onkelchen“ nennt, mit einer Buster-Keaton-haften Körperkomik, den Rücken zum grotesken Fragezeichen verbogen, das ist eine anarchische Extravaganza und gibt eine Vorstellung davon, warum das Wort Narrenfreiheit in die Welt kam.

Und nun singt sie auch noch. Auf der jüngsten Platte der Toten Hosen ist sie in einem Duett mit Campino zu hören, ihrem Kollegen aus der „Dreigroschenoper“. Sie habe gedacht, das erscheine vielleicht auf irgendeiner B-Seite, sagt Minichmayr, aber von wegen. Kürzlich kam der Anruf, sie möge sich doch bitte mal den Abend der Echo-Verleihung für einen gemeinsamen Auftritt mit den Hosen freihalten. Da, erzählt Birgit Minichmayr heiter, „habe ich ja den totalen Lachkrampf gekriegt und dachte nur noch: O Gott.“

„Alle anderen“: 9.2., 9 und 16 Uhr (Berlinale-Palast), 10.2., 9.30 und 18 Uhr (Friedrichstadtpalast), 22.30 Uhr (Urania). „Knochenmann“: 9.2., 21.30 Uhr (Zoo-Palast 1), 10.2., 12:30 Uhr (Cinemaxx 7), 11.2., 17 Uhr (Cubix 9), 15.2., 21:30 Uhr (Zoo-Palast 1).

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