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Die Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla, geboren 1986 in Vilnius.

© Frans Jansen

Birmingham Symphony Orchestra: Sprechende Hände

Sie gilt als interessanteste Dirigentin ihrer Generation: Mirga Grazinyte-Tyla und das City of Birmingham Symphony Orchestra.

Noch steht ihr Name in kleineren Lettern auf den Plakaten als der ihres Solisten. Dabei gilt die 1986 in Vilnius geborene Mirga Grazinyte-Tyla in Fachkreisen längst als die interessanteste Dirigentin ihrer Generation. Ihr erstes Engagement trat sie 25-jährig in Heidelberg an, wechselte zwei Jahre später nach Bern, wurde 2015 Generalmusikdirektorin am Salzburger Landestheater und eine Saison später Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra.

Eine kometenhafte Karriere – und doch erschien den Veranstaltern der Pianist Rudolf Buchbinder das größte Verkaufsargument für das Berlin-Gastspiel der Litauerin mit ihrem Orchester am Donnerstag in der Philharmonie. Weshalb eben sein dick gedruckter Name bei den Ankündigungen ins Auge sprang.

Natürlich ist Buchbinder ein Star. Seit 53 Jahren tritt er öffentlich auf, und er hat mittlerweile einen Altersstil von beeindruckend lässiger Souveränität entwickelt. Pathos und Tastendonner interessieren ihn nicht bei Brahms’ 2. Klavierkonzert, er sucht vielmehr das Sangliche in seinem Solopart, kultiviert vor allem die lichten Momente. Hier kommt keiner ins Schwitzen, weder das Publikum noch – bei aller spieltechnischen Herausforderung – der Pianist.

Ernsthaft an Musik arbeiten

Wer Mirga Grazinyte-Tyla beobachtet, wie sie Buchbinder mit pragmatischer Aufmerksamkeit begleitet, dem fällt zunächst auf: Die Dirigentin macht durch ihr Auftreten – praktische Frisur, bequeme Kleidung, flache Schuhe – deutlich, dass ihr Äußerlichkeiten wenig bedeuten. Sie will ernsthaft an der Musik arbeiten, das zeigt auch ihre Körperspannung an. Eine Pulttänzerin ist sie nicht, auch wenn es mal vorkommen kann, dass sie unvermittelt nach vorne schnellt und dann gleich wieder zurückfedert, um ihren Musikerinnen und Musikern einen Akzent auch optisch zu vermitteln.

Meistens aber lässt sie nur die Hände sprechen, unterstützt von weit ausschwingenden, anmutigen Armbewegungen. Präzision ist ihr wichtig, in Tschaikowskys „Nussknacker“-Suite fokussiert sie ganz auf einen kristallinen Klang, bei dem die einzelnen Stimmen stets nachvollziehbar bleiben.

Loslassen fällt schwer

Mit Verve schreitet sie voran, das Orchester folgt motiviert – und doch stellt sich auf die Dauer das Gefühl glanzvoller Gleichförmigkeit ein, wächst beim Hörer die Hoffnung auf den besonderen atmosphärischen Moment, auf ein wenig magischen Klangzauber. Doch dafür müsste die Dirigentin auch mal loslassen, durchatmen. Kontrolle abzugeben aber fällt ihr offensichtlich schwer.

Doch Mirga Grazinyte-Tyla ist ja noch so jung. Einer ihrer Vorgänger in Birmingham, ein gewisser Simon Rattle, nahm sich 18 Jahre Zeit, um dort in Ruhe zum Meister zu reifen.

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