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Kultur: Bis die Brillengläser springen

Am unteren Teil der Schönhauser Allee konnte man den Touristen und Investoren im letzten Jahr buchstäblich beim Erobern zugucken. Kaum war mal ein Abend mit Sofapflege draufgegangen, hatte sich die Grenze zwischen weißem Mann und Indianergebiet schon wieder um ein paar Meter verschoben.

Am unteren Teil der Schönhauser Allee konnte man den Touristen und Investoren im letzten Jahr buchstäblich beim Erobern zugucken. Kaum war mal ein Abend mit Sofapflege draufgegangen, hatte sich die Grenze zwischen weißem Mann und Indianergebiet schon wieder um ein paar Meter verschoben. Was ja nicht per se schlimm sein muss: Nicht alle ollen Syph-Clubs sind toll, und nicht alle schnieken Tourifallen schlecht. Und wieso soll man nicht sein rostiges Englisch aufbessern durch freundliche Imbiss-, U-Bahn- und Club-Auskünfte, um die einen promenierende Amerikaner bitten? Manchmal tut es einem um die braven Institutionen leid, die der ausgehwütigen Lächelflut standhalten, wie die reizende ägyptische Pommesbude auf der linken Seite oder diese komische Flower- Power-Bar ein paar Meter weiter unten, die von außen aussieht wie der Partykeller eines 50-jährigen Pärchens aus Bad Nauheim, das eine Mottofete zum Thema „Swinging Sixties“ veranstaltet (und sich dafür lustige Stirnbänder umbindet).

Einige Clubs sind schlauerweise weggezogen, einige sind dazugekommen und landen mit noch mehr Pech nun in der nächsten Ausgabe des „Marco Polo“ (mit Insider-Tipps!). Ein Club, der sich schlichtweg bis heute um den ganzen Schmu nicht kümmert, ist das 8mm . Die unprätentiöse Bar bleibt, was sie immer war: Eine unverputzte Alkopole für Filmfans und Musikenthusiasten, wo nach wie vor stoisch jeder rausgeschmissen wird, der eine fast leere Flasche Fremdbier mitbringt, wo nach wie vor jeder Abend mit anderen Filmen becirct, und damit auch alleine trinkenden Gästen singulär-spektakulär die Zeit vertrieben wird, wo nach wie vor heißer Scheiß läuft, ausgesucht von geschmackssicheren DJs jeder Kajüte. Im Sommer hat man schon betrunkene Jungs und Mädchen mit altersschwachen Bierbänken vor der Tür zusammenbrechen sehen – was will man mehr von einem netten Abend (Schönhauser Allee 177b, Mitte)?

Im Winter legt sich der Nikotinnebel zärtlich auf die alten Sofas, die schmale Theke und vorteilhaft weichzeichnend auf wie Ölsardinen aneinandergedrängte Besuchergesichter. Und dann auch noch eine alte „The Avengers“-Folge, deren Untertitel praktischerweise die Handlungsfolge trotz gleichzeitiger Diskussion oder angehendem Flirt ermöglichen. Oder: „Velvet Goldmine“, den Glamrock-Film, den man ja ohnehin zugedröhnt gucken sollte ... Freitag wird Miss Nic Hall auflegen (21 Uhr), die Punk- und R’n’B- und Elektrotrash-Platten mitbringt, wobei die Macher des 8mm auf ihrer Internetseite sich eindeutig gegen Techno, Drum’n’Bass und Reggae aussprechen: Just say no. Also eher Gitarren und Drumcomputer, bis die Brillengläser springen. Oder die Kontaktlinsen im Tanzrausch hinausgeweint werden.

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