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Kultur: "Bitte, bleib so infantil"

"Comics habe ich oft gelesen, wenn ich krank war", sagt Georg Barber und greift nach einem Taschentuch.Die Nase des 31jährigen Zeichners ist durch Schnupfen leicht angeschwollen.

"Comics habe ich oft gelesen, wenn ich krank war", sagt Georg Barber und greift nach einem Taschentuch.Die Nase des 31jährigen Zeichners ist durch Schnupfen leicht angeschwollen.Georgs Arbeitsraum ist ungeheizt, er hofft auf den Sommer.Noch vor ein paar Wochen mußten die Wände neu gestrichen werden.Der Regen hatte sich durch das marode Hausdach seinen Weg in das Atelier gebahnt.Die gelben Wassserspuren hat Georg mit weißer Farbe bekämpft.Jetzt wirkt alles ein bißchen so, als hätte er hier nie über Plakatentwürfen gebrütet, geschweige denn sie gezeichnet.

Die weiße Leere könnte fast schon ein Zeichen sein, für eine neue Etappe in seinem Leben, denn seit kurzem ist Georg mit seinen Werken auf dem kommerziellen Kunstmarkt vertreten.In der Charlottenburger Galerie "Schuster & Scheuermann" hängen seine Bilder an eben solchen weißen Wänden, wie sie ihn jetzt in seinem Atelier umgeben.Die hellen Flächen bieten Platz für Neues, bedeuten aber auch Veränderung."Auf der Vernissage hatte ich kaum Zeit, mich um meine Freunde zu kümmern.Die dachten bestimmt, der ist jetzt drin im Geschäft.Als alles vorbei war, stand ich allein da mit sechs Mark fünfzig in der Tasche und dachte: `Reicht das Geld für eine Fahrt nach Kreuzberg.Alle meine Freunde waren dort auf einer Party.Ich wollte auch dorthin.Doch mein Galerist wollte mit mir essen gehen, da bin ich mit ihm mit", sagt Georg.Irgendwie scheint es so, als wäre er heute noch über den Eintritt in die neue Welt des Kunstkommerzes verwundert.

Für ein- bis zweitausend Mark hängen in einem der Galerieräume seine "Superhelden" aus dem Comicklassiker "Die Fantastischen Vier".Charaktere wie "The Thing", "The Moleman", "The Observer" hat Georg übernommen und verfremdet."Ich habe ihnen eine Seele eingehaucht." So ist aus "The Thing" ein weicher Kerl geworden, obwohl er ansonsten eher ein "Hau-Drauf"-Typ ist.Ataks Bilder wirken komisch, irgendwie schräg.Es finden sich kindliche Züge in ihnen, die jedoch mit der Hand eines erfahrenen Künstlers gezogen wurden.

Im Blumenzimmer, wie Georg einen weiteren Ausstellungsraum nennt, hängen Zeichnungen mit allen erdenklichen Gewächsen in den unterschiedlichsten Farben.Sie passen so gar nicht zu den Figuren der "Fantastischen Vier".Sie wirken eher schon asiatisch, irgendwie japanisch.Erst beim näheren Hingucken finden sich in den Blütenbildern comicähnliche Züge."Das weibliche Publikum mag diese Bilder sehr", sagt Georg.

Sein Stolz ist der Raum, in dem von ihm selbst gefertigte Bücher auf Säulen stehen.Die Bücher hat Georg zeichnerisch umfunktioniert.So finden sich in einem kleinen Band über Vincent van Gogh pornographische Zeichnungen, die von Seite zu Seite Lust auf Weiterblättern machen sollen."Was meine weitere Entwicklung betrifft, läßt dieser Raum noch vieles offen", sagt Georg, und sein Freund der Comiczeichner Phil meint im Gästebuch dazu: "Saubere Arbeit.Du Fischfabrikant." Ein anderer Eintrag lautet: "Lieber Georg, bleib so infantil.Birgitt."

Georgs Comics als kindlich zu bezeichnen, ist nicht falsch, aber auch nicht ganz zutreffend.Vielmehr lebt in einem Großteil seiner Zeichnungen das Schräge, Deformierte, Skurrile und Abartige weiter - eben ein Stück vom Punker Georg, der er einmal war.Damals, Anfang der 80er Jahre auf einer Müllhalde in der Gegend um Frankfurt/Oder fing alles an.Mit seiner Band "ATAK" gab Georg eines von zwei legendären Punk-Konzerten."Das andere fand in einer Kirche statt.Am nächsten morgen brach der Pfarrer beinahe zusammen vor dem verschmutzten Altar", erinnert er sich.

Nach diesen Auftritten verschwand die hauseigene Punkmusik aus Frankfurt/Oder wohl für immer.Georg, der in der Grenzstadt aufwuchs, auch.1984 ging er nach Berlin, legte seine Baßgitarre zur Seite und begann eine Ausbildung zum Schrift- und Graphikmaler.Nach der Lehre arbeitete er einige Jahre auf dem freien Markt als Buchillustrator und Layouter, bis ihn die Armee, zum Dienst an der Waffe, wie es in der DDR hieß, einzog."Dort habe ich viel gelernt, vor allem, wie Hierarchien funktionieren und wie die Menschen so drauf sind.Im ersten halben Jahr bist du der Neue und mußt für alle alles machen.Doch dann fehlte eines Tages der Feind und von Woche zu Woche fielen die Strukturen auseinander", erinnert er sich.In der Armee traf er auch auf Leute, die Lust hatten am Zeichnen, Dichten und Fotografieren.Das heute noch in der Szene bekannte Fanzine, ein selbstkopiertes Heftchen mit dem Titel "Renate", wurde ins Leben gerufen und fand reißenden Absatz in der comicarmen und untergehenden DDR.

Nach jener kurzen Zeit der Anarchie tauchte der Bandname "ATAK" plötzlich wieder auf und entwickelte sich zu einem Synonym für Comic-Kunst auf grauem Hausputz.Georg besprühte die damals noch nahezu unberührten Wände in Ostberlin.Allein oder mit anderen Künstlern wie "Fickelschere" und "Auge" zog er nachts und in Tarnklamotten durch die Stadt.Vorher hatte er sich noch Schablonen zurechtgeschnitten mit denen er im Schutz der Dunkelheit die Freiflächen besprühte.Zurück blieben die bis heute bekannten typischen "ATAK"-Codes.Graphisch fein ausgearbeitete Bilder bestehend aus fliegenden Hunden, Partygirls und flammenden Herzen waren damals fast auf jedem Kneipenklo, in Treppenfluren und an Hauswänden in Prenzlauer Berg und Mitte zu sehen.Wer sich hinter dem Take-Namen "ATAK" versteckte, blieb für viele außerhalb der Szene ein Geheimnis.Die Bilder waren da und hoben sich von den anderen Graffittis durch ihre eigene Sprache ab.

Die 90er Jahre hießen für Georg zeichnerische Selbstfindung und HdK.Dort, zwischen mehreren hundert egozentrischen Künstlern, versuchte auch Georg sich zu behaupten, bis er feststellte, daß er wehrlos weißes Papier zwar mit seinen Problemen füllen, sie damit aber noch lange nicht lösen kann.Georg veränderte sich und öffnete sich seiner Außenwelt gegenüber."Ich nahm nicht mehr alles so wichtig, mich selbst auch nicht", sagt er heute.

Für seine Arbeiten schöpft Georg viel aus Filmen, am liebsten Hitchcock."Diese Streifen haben eine klare Handlung und Alltagsgegenstände können wichtig für die Spannung werden", sagt er.In seinen regelmäßig erscheinenden Comics "Wundertüten" hat Georg einen lebenden Alltagsgegenstand aufgegriffen - den Berliner Hund.Ihn läßt er dem Teufel gleich durch die Stadt fliegen und "ATAK"-mäßig Unruhe stiften, beißen, kratzen und fressen."Wenn ich einmal ausreichend Stoff gesammelt habe, will ich ein telefonbuchstarkes Werk mit dem Hund auf den Markt bringen, in der Art der japanischen Manga-Comics", verspricht er."Die sind zwar dick, können aber relativ schnell durchgeblättert werden".

Comics sind das Medium der 90er Jahre.Sie können in der S-Bahn, auf dem Klo und sonstwo gelesen werden.Das haben auch die Galeristen längst erkannt und mit ihren Verkaufsausstellungen wollen sie neue Akzente auf dem Kunstmarkt setzen.

Fast liebevoll schaut Georg auf seine Werke.In jedem Bild steckt auch ein Teil von ihm.Das sie jetzt verkauft werden, hat er akzeptiert."Ich kann ja auch nicht alles bei mir stapeln." Dann greift er nach seinem Stoffbeutel, in dem sich ein dicker Packen zerlesener Comics befindet.Er will nach Hause, sich ins Bett legen, seinen Schnupfen auskurieren und außerdem will er mal wieder in Ruhe durch die Hefte blättern.

"Blumen, Bücher und Superhelden", bis zum 30.4.in der Galerie Schuster & Scheuermann, Clausewitzstraße 2, mittwochs bis freitags 13-19 Uhr, sonnabends 10-16 Uhr

FRANK ROTHE

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