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Kultur: Bitte, liebt mich

Nach den Skandalen: Courtney Loves Comeback-Versuch als „America’s Sweetheart“

In der Hölle kennt sich Courtney Love gut aus. Manchmal lässt sie sich vom Teufel im Auto herumfahren. Es macht ihr keine Angst, wenn er mal wieder zu viel getrunken hat und schlecht gelaunt ist. Meistens hat sie eigene Sorgen: die Drogen, die Typen, der Schmerz und die Wut. Manchmal wird sie von Todessehnsucht überwältig, dann wieder packt sie der Übermut. Julian Casablancas, den Frauenschwarm und Sänger der Strokes, lädt sie ein, mit ihr zu schlafen. Courtney Love rast in den Songs ihres ersten Solo-Albums einmal quer durchs Fegefeuer. Von außen sieht man das der CD nicht an: „America’s Sweetheart“ (Virgin) lautet der Titel, und Love betont, dass er nicht mal ironisch gemeint ist. Auf dem Cover ist sie als Pin-Up-Girl zu sehen, gezeichnet im Stil der Fünfzigerjahre, und die Seiten des Booklets sind zart-rosa gehalten. Es symbolisiert ihren Traum, endlich umzuziehen in den süßen Teil des Popstar-Himmels.

Für Courtney Love hängt viel von diesem Album ab. Sechs Jahre sind seit der letzten Platte ihrer mittlerweile aufgelösten Band Hole vergangen. In der Zwischenzeit spielte sie sehr passabel in einigen Filmen mit („Larry Flint“, „Der Mondmann“, „Julie Johnson“), erregte ansonsten aber nur mit Skandalgeschichten Aufsehen. Allein im letzten Jahr konnte man von einer Randale im Flugzeug, eingeworfenen Fensterscheiben und einer Überdosis lesen, mit der sie sich in eine Entziehungsklinik begab. Im Augenblick laufen zwei Drogenprozesse und ein Sorgerechtssteit mit dem Jugendamt um ihre Tochter Frances Bean. Noch nicht vergessen sind auch die ewigen Streitereien um den Nachlass ihres Mannes Kurt Cobain, der sich vor knapp zehn Jahren erschoss. Mit ihrem Comeback-Album will Courtney Love endlich raus aus den Klatschspalten und zurück in die Musikmagazine. Dass sie dort hingehört, war schon immer ihre Überzeugung. Und selbst ihre größten Widersacher, die sie für den Tod an Kurt Cobain verantwortlich machen, sprechen ihr nicht ein bewundernswertes Geschick zur offensiven Selbstvermarktung ab.

Damit garantiert nichts schief gehen konnte, engagierte sie namenhafte Unterstützung: Beim Songwriting halfen unter anderem Hole-Drummerin Patty Schemel und die ehemalige 4-Non-Blondes- Sängerin Linda Perry, die zuletzt Hits für Pink und Christina Aguilera schrieb. Die Einflüsse der beiden sind deutlich zu erkennen. So klingen mindestens zwei Songs auf „America’s Sweetheart“, als könnten sie auch auf einer Pink-Platte sein. Noch häufiger muss man jedoch an das letzte Hole-Album „Celebrity Skin“ (1998) denken. Vieles – etwa das Eröffnungsriff der Single „Mono“ – hat man dort schon einmal gehört.

Die oftmals verstörende Wildheit und kaputte Leidenschaft der Texte findet sich in den Kompositionen nicht wieder. Sie halten sich stets auf der mittleren Spur der Rock- und-Pop-Hauptstraßen, innerhalb der Fahrbahnmarkierungen: Die Gitarren schrubben Standard-Riffs herunter, die Rhythmusgruppe begnügt sich mit soliden Vierviertel-Beats, und eine Orgel darf auch mal kurz dudeln. Dazu treffen Mitgröl-Refrains auf „Uhhh, ahhh“-Backing-Vocals. Das Spektrum der zwölf Songs reicht von mittelprächtigem Stadionrock („All The Drugs“) über pathetische Midtempo-Balladen bis hin zu hübschen Power-Pop-Nummern wie dem hitverdächtigen „Almost Golden“. Courtney Loves kratziger Gesang wurde etwas überproduziert, gehört aber dennoch zum Spannendsten auf der Platte. Wenn sie plötzlich ein Robert Plant-mäßiges „Baby, Baby, Baby“ heult oder „I will fuck you up“ faucht, wird spürbar, wie viel gefährliche Energie in der 38-Jährigen immer noch lauert. Man ahnt, warum sie zu Beginn der Neunziger als „illegitime Tochter von Madonna und Lydia Lunch“ bezeichnet wurde.

Damals tobte die Ex-Stripperin mit Hole durch die Clubs von Los Angeles. Ihre Texte handelten von Teenager-Huren und bösen Müttern. Courtney Love wurde zu einem Role Model für wütende junge Frauen, die sich Gitarren kauften und einfach loslegten. Diese Wirkung hält bis heute an, wie man etwa an Brody Dalle von der Band The Distillers sehen und hören kann.

Es ist Courtney Loves Drama, dass ihre Karriere als Musikerin kurz nach dem viel beachteten Hole-Debüt „Pretty on the Inside“ (1991) in den übergroßen Schatten ihrer Ehe mit Nirvana-Frontmann Kurt Cobain geriet. Das turbulente Leben des Paares gestaltete sich als schauriger Rock’n’Rock-Fortsetzungsroman. Die Musik von Love geriet zur Nebensache. So wurde auf dem kurz nach Cobains Selbstmord erschienenen zweiten Hole-Album „Live through this“ nach seiner Stimme geforscht und über seine Mitwirkung spekuliert. Die Lyrics wurden auf Anspielungen auf ihn hin durchsucht. Dass die Band einfach eine tolle Indie-Rock-Platte geschaffen hatte, rückte in den Hintergrund.

„America’s Sweetheart“ ist im Vergleich dazu deutlich schwächer. Doch schafft das Album die für Love so wichtige Imagekorrektur. Statt als nervige Rockstarwitwe in die Annalen der Geschichte einzugehen, kann man sie endlich wieder als Sängerin ernst nehmen. Und auch als alleinige Songwriterin tritt sie auf den Plan. In der mit großem Pathos ausgestatteten Ballade „Hold On To Me“ singt sie: „I’m the center of the universe“. So fühlt sich das wohl an, wenn man nachts mit dem Teufel um die Häuser zieht.

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