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Kultur: Bitte, verreißt mich!

Steffen Richter über einen Kritikerskandal in Italien

Kaum zu glauben: Der italienische Schriftsteller Alessandro Baricco bettelt um einen richtigen Verriss. Kümmert euch ernsthaft um meine Bücher oder lasst es ganz bleiben, hat er seinen Rezensenten in einem kämpferischen Artikel für „La Repubblica“ zugerufen. Der arme Baricco ist es leid, nur im Vorbeigehen mit einem Halbsatz abgewatscht zu werden. So, meint er, betrieben nämlich die renommierten Literaturkritiker Pietro Citati und Giulio Ferroni ihr Geschäft: nebenbei.

Und schon hat auch Italien sein Kritiker-Skandälchen. In den Feuilletons referiert man die Geschichte des literarischen Verrisses seit Horaz und beklagt die gesunkene Qualität des Genres. Ernüchtert wird der Einfluss konstatiert, den die Werbeabteilungen der Verlage ausüben. Die meisten Kombattanten aber schlagen sich auf die Seite des Autors. Der Krimi- Schriftsteller Carlo Lucarelli springt dem beleidigten Kollegen bei, in den Weblogs wird er von seinen Fans gestreichelt. Vereint zieht man gegen die in der Tat unschöne Praxis zu Felde, Bücher mit mehr oder weniger geistreichen Sticheleien en passant zu erledigen – anstatt sie in fundierten Analysen zu demontieren, wie es sich anständigerweise gehört.

Nun ist Baricco nicht irgendwer. Der medial routinierte Autor von Bestsellern wie „Seide“ oder „Novecento“ betreibt in seiner Heimatstadt Turin ein kleines Literaturimperium. Dazu gehört die Erzähl- Schule „Holden“, eine angeschlossene Buchhandlung und eine eigene Buchreihe. Die Spalten von „La Repubblica“ und „La Stampa“ stehen ihm offen. Einziger Schönheitsfehler: Viele Kritiker fassen seine Bücher, wenn überhaupt, nur mit spitzen Fingern an. Weil in denen immerzu edel und kitschig gesäuselt und geraunt wird. Der Auflage tut das keinen Abbruch. Und genau die bringt Baricco ins Spiel, wenn er jetzt im Namen seines Erfolgs eine ernsthafte Auseinandersetzung einfordert.

Natürlich hat Baricco wie jeder Autor das Recht auf seriöse Rezensionen. Ob er sich die wünschen sollte, steht auf einem anderen Blatt. Der attackierte Ferroni nämlich hat, entgegen Bariccos Behauptung, dessen letzten Roman durchaus besprochen – und ihn nach allen Regeln der Kunst zerlegt und verrissen.

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