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Kultur: "Black Box BRD": Offene Wunden

Ein Sektempfang zu einer Filmpremiere ist nichts Ungewöhnliches für die meisten Gäste, die am Dienstagabend ins Delphi an die Kantstraße kommen. Für Rainer Grams schon.

Ein Sektempfang zu einer Filmpremiere ist nichts Ungewöhnliches für die meisten Gäste, die am Dienstagabend ins Delphi an die Kantstraße kommen. Für Rainer Grams schon. Als einer der ersten steht der Bruder des RAF-Terroristen Wolfgang Grams mit seiner Frau im Foyer des Kinos, nervös und ein bisschen verloren sieht er aus. Viel sprechen will er nicht. "Später", sagt er nur - und verschwindet wieder. Regisseur Andres Veiel begleitet das Paar ins Café, wo sie an einem Fensterplatz noch ein wenig Zeit zum Ankommen finden.

Doch auch der erfahrene Domumentarfilmer und Grimme-Preisträger bekennt, dass die Uraufführung seines Films "Black Box BRD" für ihn eine neue Erfahrung ist. Der studierte Psychologe hat zwei Lebenslinien nachgezeichnet, die den blutigen Kampf zwischen Terrorismus und Staatsgewalt mit dem Leben bezahlten: der eine als Opfer, der andere als Täter. Doch die dokumentarische Spurensuche nach Alfred Herrhausen, dem ermordeten Vorstandschef der Deutschen Bank, der im November 1989 Opfer eines Bombenattentats wurde, und dem RAF-Terroristen Wolfgang Grams, der im Juni 1993 unter bis heute ungeklärten Umständen beim Zugriff durch die Polizei auf dem Provinzbahnhof von Bad Kleinen zu Tode kam, will keine Antworten geben, sondern vor allem Fragen stellen. Für Veiel ist die Premiere seines Films daher kein Abschluss, sondern ein Anfang. "Ich habe ein großes Bedürfnis, mich mit diesem Kapitel bundesdeutscher Geschichte auseinanderzusetzen", sagt der Regisseur. Nach der Premiere soll diskutiert werden, auch mit den Protagonisten des Films, mit Rainer Grams und seinen Eltern, Ruth und Werner Grams, die ebenso gekommen sind wie der ehemalige RAF-Terrorist Wolfgang Grundmann. Für Veiel, der nicht auf "kurzfristige Effekte" setzen will, ein wichtiger Aspekt des Films. "Die Arbeit der Auseinandersetzung beginnt damit erst und ich möchte die Protagonisten auf diesem Weg weiter begleiten."

Die Opferseite jedoch kommt an diesem Abend nur auf der Leinwand zu Wort. Trudl Herrhausen, die Witwe des ermordeten Bankers, hat kurzfristig abgesagt. Und auch Rolf Breuer, der jetzige Vorstandschef der Deutschen Bank, kam nicht zur Premiere. Aus Termingründen, sagt Veiel. Breuer habe sich den Film aber bereits am Nachmittag angeschaut, auf Video in seinem Berliner Büro. Überrascht habe ihn die Zusammenarbeit mit der Deutschen Bank, sagt der Regisseur, der für den Film mehrere Interviews mit ehemaligen Weggefährten, aber auch internen Gegnern Herrhausens geführt hat. "Dabei ist mehr herausgekommen als ich ursprünglich erwartet hätte", sagt Andres Veiel. "Nicht die typischen Statements", sondern ein "Blick hinter die Fassaden" hätten ihm seine Gesprächspartner vermittelt.

Nur zwei Wochen vor der Premiere hatte das Bundeskriminalamt die Ergebnisse einer Haarprobe veröffentlicht, die am Tatort des ermordeten Treuhandchefs Detlev Carsten Rohwedder gefunden worden war. Das Haar, ergab die Untersuchung, gehörte Wolfgang Grams. Die Ermittler gehen daher von dessen Tatbeteiligung am Rohwedder-Mord aus. Die zeitliche Nähe zur Filmpremiere will Andres Veiel jedoch nicht beschwören: "Das kann auch Zufall sein", sagt er, "BKA und Bundesanwaltschaft stehen da unter ganz großem Erfolgsdruck."

Rainer Grams glaubt dagegen nicht an Zufall. Eine halbe Stunde vor Beginn der Premiere hat sich das Foyer gefüllt. Rainer Grams ist angekommen und bereit zu sprechen. Ob der Film eher Belastung oder Befreiung für ihn sei - er weiß es nicht. "Mein Bruder ist immer präsent", sagt er. Dass sein Name ausgerechnet jetzt im Zusammenhang mit einem RAF-Attentat laut wurde, erscheint ihm "diffus". Nach Sekt ist ihm nicht: "Mein Glaube in den Rechtsstaat schwindet immer mehr."

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