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Prosaminiaturen liegen ihr mehr. Die Journalistin und Schriftstellerin Mercedes Lauenstein, 30.

© Jury Gottschall/Aufbau Verlag

"Blanca" von Mercedes Lauenstein: Immer Ärger mit Mama

Unterwegs nach Italien, auf Roggenfang: Mercedes Lauenstein hat nach ihrem beeindruckenden Prosa-Debüt "nachts" nun den Road-Roman „Blanca“ geschrieben.

Es kommt häufig vor, dass nach einem hochgelobten Debüt das zweite Prosawerk merkwürdig abfällt. Weil nach dem furiosen Erstling kaum noch literarische Energie für das folgende Werk vorhanden ist, weil die hohen Erwartungen der Kritik ohnehin nicht angemessen sind oder weil sich eine Autorin oder ein Autor beim tatsächlich schwierigen zweiten Buch für den falschen Stoff entschieden hat.

Die 1988 geborene Journalistin Mercedes Lauenstein fiel vor drei Jahren mit einem eigenwilligen Prosadebüt auf, das „nachts“ hieß und ein so radikales wie poetisches Nachtstück war. Darin läuft eine Frau nachts durch die Straßen einer Stadt und klingelt, wo noch Licht brennt. Jedes der 25 Kapitel dieses Buches erzählt eine abgeschlossene Nachtgeschichte von und mit Leuten, die im Tagleben einer Stadt kaum oder auf andere Weise sichtbar sind. Lauensteins Miniaturen sind beeindruckend. Form und Inhalt finden gut zusammen, die kurzen Porträts sind in einer in diesem Fall sinnvoll knappen Sprache gehalten, und die Erzählerin macht nicht den Fehler, die ungewöhnlichen Begegnungen psychologisch aufzuladen.

So vielversprechend ihr Prosadebüt, so enttäuschend ist nun Lauensteins zweites Buch, ihr erster Roman. Dem mangelt es leider an sprachlicher, dramaturgischer und auch intellektueller Finesse. Erzählt wird die Geschichte von Blanca, die bei einer unsteten, rücksichtslos exaltierten Mutter aufwächst. Als Teenie sehnt sie sich verständlicherweise nach einem normalen Alltag und haut schließlich von zu Hause ab, weil das mütterliche Geschrei mal wieder zu laut ist und die hysterische Mama noch eine schwere Auflaufform gegen die Badezimmertür schmeißt.

"Blanca" ist erschreckend handlungsarm

Blanca flüchtet in Richtung Italien. Hier leben auf einer abgelegenen Insel Karl und Toni, mit denen die nunmehr 15-Jährige einst in Kindertagen einen schönen Sommer verbrachte. Damals wünschte sich Blanca, Karl und ihre Mutter würden ein Paar werden, damit sie und Toni Geschwister und beste Freunde zugleich sein könnten. Natürlich wurde nichts aus dem Traum des Kindes, womit nicht nur ein starkes Sehnsuchtsmoment, sondern generell das Genre etabliert ist: Lauenstein wagt sich an den spätestens seit Wolfgang Herrndorf „Tschick“ auch hierzulande wieder beliebten literarischen Roadtrip heran. Es ist ein Risiko, mit dieser Form zu spielen, die weniger Freiräume bietet, als die Aufbruchsthematik vermuten lässt. Denn jede Neuauflage muss sich mit berühmten Vorlagen wie Kerouacs „Unterwegs“ oder Salingers „Fänger im Roggen“ messen lassen. Für die lange Strecke aber fehlt Mercedes Lauenstein offenbar das nötige künstlerische Handwerkszeug: Was auch immer einen Reiseroman auszeichnen könnte: „Blanca“ bietet nichts davon. Der Roman ist erschreckend handlungsarm, Erzählfäden jenseits der eingeschränkten Ich-Perspektive werden nicht gesponnen, und so fehlen nicht nur inhaltliche Kontrapunkte, sondern auch konträre Sprachebenen, die in irgendeiner Weise Reibung zum Hauptstrang oder generell etwas Spannung erzeugen könnten.

Stattdessen reihen sich krasse, komische und traurige kleine Episoden aneinander: Blanca klaut, Blanca wird beklaut, Blanca leidet unter Durst und Hunger, Blanca sucht Freunde, Blanca ist betrunken und hat Sex. Literarische Notwendigkeit haben diese Erzählsplitter nicht. Manches könnte weggelassen werden, ohne dass es die magere Geschichte tangieren würde. Selbst einprägsamere Szenen etwa im italienischen Pennermilieu wirken bemüht, und die vielen, vielen Figuren dieses Romans sind schablonenhaft gezeichnet. So bleibt Blanca einsam und arbeitet sich auf der Reise an ihrer zumindest mental omnipräsenten Mutter ab: „Ich hasse meine Mutter dafür, dass sie mich mit sich infiziert hat. Nie werde ich ganz ich selbst sein können. Immer werde ich das Kind dieser Verrückten sein.“

Wahrscheinlich gehört „Blanca“ in die Rubrik „All Age“

Es bedarf schon eines gewissen Durchhaltevermögens und seriöser Zugewandtheit zu literarischen Texten, um nicht zu denken: Heul doch, Kleine! Gerade weil die Erzählperspektive so beschränkt ist, hätte Blancas Lamento durch alternative Sprachformen unterbrochen werden müssen, selbst wenn es nur das Hyperventilieren der verrückten Mutter gewesen wäre. Die vielen Themen einer dramatischen Lebensreise, die im wahren Sinne des Wortes auf der Straße liegen, werden von der Erzählerin zwar durchaus aufgegriffen, eine tiefer gehende Reflexion aber findet nicht statt und kann auch nicht geliefert werden.

Die von allzu einfacher Parataxe geprägte Jugendprosa bringt eher Meinungen und Beobachtungen hervor, die für eine 15-Jährige kurioserweise etwas zu erwachsen und für erwachsene Leser ziemlich banal anmuten.

Mercedes Lauenstein war vor Erscheinen des Buches mit Auszügen ihres Romans Gast auf einem Jugendliteratur-Festival, und dieser Hinweis lässt „Blanca“ in einem anderen, vielleicht sogar milderen Licht erscheinen. Vom Verlag wurde das Buch allerdings nicht als Jugendroman oder – wie es in der Verlagsbranche heißt – als „Young Adult Fiction“ gekennzeichnet. Wahrscheinlich gehört „Blanca“ in die Rubrik „All Age“, in der sich alle Altersgruppen wiederfinden können. Was aber auch nicht hinhaut. Möglicherweise finden Teenager mehr Gefallen daran, weil ihnen die sprachlichen und dramaturgischen Mängel nicht so schnell auffallen oder sie die für Kinder- und Jugendliteratur nicht untypischen Redundanzen zu schätzen wissen.

Volljährig ist diese Prosa nicht. Sie fällt vor allem in poetischer Hinsicht deutlich hinter das Debüt Lauensteins zurück, in der Türen zu sehr unterschiedlichen Assoziationsräumen aufgehen und nicht jeder Moment des Uneindeutigen von einer in ihrer rasenden Unsicherheit schrecklich besserwisserischen Figur zunichtegemacht wird.

Mercedes Lauenstein: Blanca. Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2018. 250 Seiten, 20 €.

Carsten Otte

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