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Kultur: Blattgold im Keller

Auch eine Kur: das Opernfestival im britischen Buxton

Von Uwe Friedrich

Bis zum Ende des Festivals bleibt es ein Rätsel, worum es in Pietro Francesco Cavallis Oper „Erismena“ eigentlich geht. Auch die ältere Dame mit den aufgestickten Opernn auf ihrer Bluse ist ratlos. „Was war das denn nun?“, fragt sie ihre Begleiterin, aber auch die weiß nicht, in welcher Beziehung Idraspe zu Erimante steht. Auch die Sänger der Dubliner „Opera Theatre Company“ haben die Handlung selbst nach mehrmonatigem Partiturstudium kaum verstanden.

Das Publikum nimmt „Erismena“ schließlich als barocken Vorläufer der urbritischen Operetten von Gilbert & Sullivan. Wenn die Amme am Ende erklärt, das halbe Personal sei als Kind von Seeräubern geraubt und vertauscht worden und überdies irgendwie miteinander verwandt, erinnert man sich prompt an deren „Piraten von Penzance“. Regisseur James Conway benutzt für seine Inszenierung eine barocke Übersetzung dieses schon damals in England ungeheuer populären Werks. Und mit den Originalinstrumenten zieht die historisch-natürliche Stimmung auch ins entlegene Buxton.

Der alte Kurort liegt mitten im malerischen Peak District zwischen Manchester, Sheffield und Birmingham. Im 19. Jahrhundert war das Städtchen die englische Antwort auf Spa und Baden-Baden. Von hier kommt das beste Mineralwasser der Insel, ganz in der Nähe des Opernhauses sprudelt der Brunnen. Über dem Ort thront das viktorianische Palace-Hotel, in seinem Zentrum strahlt Frank Matchams Opernhaus aus dem Jahr 1903. Damals lag der mondäne Kurbetrieb zwar schon in den letzten Zügen, im jüngst renovierten Opernhaus hat sich die edwardianische Pracht inklusive Blattgold, Putten und allegorischen Deckengemälden aber bis heute erhalten. Die niedliche Fassade täuscht, denn Matcham hat den Zuschauerraum in den Keller gelegt und die großen Ränge weit über das Parkett gezogen. So ist der Zuschauer selbst auf den hintersten der 937 Plätze noch verblüffend nah an der Bühne. Nach dem Krieg wurde das Theater zum Kino umfunktioniert; erst 1978 kamen wieder Opern auf die Bretter.

Heute leitet Aidan Lang das Sommerfestival von Buxton und hat Jacques Offenbachs „La P‚richole“ inszeniert. Mit dieser witzigen Eigenproduktion soll jenes Publikum angelockt werden, das erfahrungsgemäß weitere Aufführungen gleich im Paket mitbucht. In diesem Jahr sind das William Waltons „The Bear“, Strawinskys „Geschichte vom Soldaten sowie „Die Elektrifizierung der Sowjetunion“ des britischen Zeitgenossen Nigel Osborne. Für die Produktion des „Music Theatre Wales“ hat Osborne seine Partitur für eine Kammerbesetzung überarbeitet; de Kritiker von „Times“ und „Guardian“ jubelten einhellig über die neue Version. Zusätzlich gab es die Kinderoper „The Green Children“ von Nicola LeFanu, die mit Kindern aus acht Buxtoner Schulen erarbeitet wurde.

Über die Hälfte des Budgets von etwa 450000 britischen Pfund muss an der Kartenkasse eingespielt werden, für den Rest sorgen Sponsoren, Stiftungen, die Grafschaft Devonshire und die Stadt Buxton. Angesichts von mindestens einer Million Pfund zusätzlicher Einnahmen für die örtliche Wirtschaft wünscht sich der Künstlerische Leiter Aidan Lang eine großzügigere Förderung durch die Stadt. Doch das laute Klagen liegt dem Briten nicht: „Wir stellen uns einfach vor, wir hätten mehr Geld und versuchen, das Beste draus zu machen.“

Ob im familiären Bed & Breakfast oder im herrschaftlichen Palace Hotel: Auch der Tischnachbar war garantiert gestern in der Oper. So wird der Festivalgast schnell in einen Fachdisput verwickelt. Und wer Seite an Seite mit den Sängern Rührei und Speck auf den Frühstücksteller schaufelt, kann den Künstlern gleich mitteilen, wie gut die Aufführung gefallen hat. Diesen ungezwungenen Umgang schätzen die Künstler ebenso wie das Publikum. Ansonsten gilt auf der Insel noch immer kühles Understatement als größte Tugend. Es gibt keine Einzelvorhänge für die Sänger, auch der Applaus fällt überraschend kurz aus und marktschreierisches Selbstlob liegt den Veranstaltern nicht. So wird auch im nächsten Jahr kaum jemand außerhalb Großbritanniens zur Kenntnis nehmen, wenn zum 25-jährigen Jubiläum Donizettis „Maria Padilla“ aufgeführt wird. Wer zwei Karten kauft, erhält übrigens Rabatt. Die wunderschöne Landschaft und das Mineralwasser sind gratis.

Informationen: www.buxtonfestival.co.uk

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