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Kultur: Blau ist eine klare Farbe

Starkes US-Indie-Kino: „I Used To Be Darker“.

Baltimore ist keine Filmschönheit wie New York. Dennoch hat es die schmuddelige Hafenstadt vor allem dank dem RegieExzentriker John Waters sowie der Polizeiserie „The Wire“ in Sachen Bildschirmprominenz weit gebracht. Zu diesem Ruhm trägt, mit inzwischen drei Filmen, auch der 1977 geborene Independent-Filmer Matt Porterfield bei.

„I Used To Be Darker“ spielt in einem Mittelklasse-Viertel seiner Heimatstadt. Hier bewohnt das Musikerehepaar Kim und Bill – gespielt von den Musikern Kim Taylor und Ned Oldham – mit seiner gerade volljährigen Tochter Abby (Hannah Gross) ein hübsches Haus mit Probenraum im Keller. Da kommt unangekündigt die 19-jährige Nichte Taryn (Deragh Campbell) zu Besuch. Schlechtes Timing: Kim und Bill trennen sich gerade. Kim zieht aus, er bleibt. Für Taryn, die aus Nordirland stammt und ihren Eltern gesagt hat, dass sie nach Wales reist, hat niemand Zeit. Und so behält sie erstmal für sich, dass sie ungewollt schwanger ist.

Die langen, aus der Hand gefilmten Einstellungen, mit denen Porterfield seine Geschichte in Szene setzt, wirken wie eine Direktübertragung aus dem Innern einer Familie im Umbruch. Eher beiläufig entsteht das Gefühl von Nähe zu den Charakteren. Über die Vergangenheit der Figuren, die allesamt von Darsteller-Novizen verkörpert werden, erfährt man nur hier und da ein Detail. Dafür gibt es lange Musiksequenzen, die die Stimmung in der Familie reflektieren. Einmal hockt Bill mit einer Akustikgitarre im Keller, aus dem Kims Folkrock-Kollegen gerade ihr gesamtes Equipment abtransportiert haben. Er singt eine traurige Liebesballade und zerschmettert anschließend die Gitarre an einer Metallsäule. Für den Mittvierziger, der das Musikerleben gegen einen Bürojob eingetauscht hat, ist in den Jahren mit Kim offenbar viel mehr kaputtgegangen als die Ehe.

Den Titel seines sensiblen Familienporträts hat Matt Porterfield, der zusammen mit Amy Belk auch das Drehbuch schrieb, einem Song von Bill Callahan entliehen. In „Jim Cain“ singt er: „I used to be darker / then I got lighter / then I got dark again“. Eben dieses Auf und Ab, diesen universellen Prozess von Krisen und deren Überwindung hat Porterfield im Blick. Wobei das Hellerwerden für die meisten Familienmitglieder noch nicht recht erkennbar ist. Nur Kim hat in ihrer Musik schon eine Ahnung: Als sie am Ende in ihrem neuen Haus sitzt, singt sie zur Akustikgitarre über Tage, an denen der Himmel in klarem Blau strahlt. Nadine Lange

fsk am Oranienplatz

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