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Kultur: Blaue Briefe

Profimusiker zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Dichter gedrängt als in jedem Großraumbüro sitzt man mit den Kollegen auf der Bühne.

Profimusiker zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Dichter gedrängt als in jedem Großraumbüro sitzt man mit den Kollegen auf der Bühne. Dazu die Arbeitszeiten: vor allem nach 20 Uhr und am Wochenende. Auch Auslandsgastspiele erscheinen nur für den Laienblick von außen als faszinierende Dienstreise. Denn viel sehen die Instrumentalisten nicht vom Land, wenn sie von Saal zu Saal eilen, sich jedes Mal auf eine andere Akustik und ein anderes Publikum einstellen sollen.

Derzeit sind die Musiker des Deutschen Symphonie-Orchesters und des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin auf Tournee in Asien. Das heißt: die meisten von ihnen. Weil einigen nach Fukushima die Lage in Japan Angst macht – allen Appellen an die gerade jetzt nötige Solidarität und allen Unbedenklichkeitserklärungen vonseiten der Strahlenexperten zum Trotz –, hat die Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) ihnen gestattet, unbezahlten Urlaub nehmen zu dürfen. Statt ihrer fanden sich unerschrockene junge Musiker. Ein faires Verfahren.

Kurz vor der Abreise mussten auf die Schnelle jedoch weitere Aushilfen herbeitelefoniert werden, weil bei der ROC diverse Krankmeldungen eingingen. Da laut Arbeitgeber mehrere davon exakt den Tourneezeitraum umfassten und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gar von einem Gynäkologen für einen männlichen Musiker vorlag, versandte die ROC an alle ein drastisch formuliertes Schreiben. Da man massive Zweifel an der tatsächlichen Reiseuntauglichkeit habe, fordere man die Betroffenen auf, nachträglich unbezahlten Urlaub zu beantragen oder aber die körperlichen Leiden en detail nachzuweisen. Anderenfalls werde man das Gehalt für den betreffenden Zeitraum zurückfordern.

Blaue Briefe wegen des Verdachts auf Krankfeierei, das gab es bei deutschen Berufsorchestern noch nie. Heinz-Dieter Sense, der die ROC nur interimistisch führt, hat den disziplinarischen Präzedenzfall gewagt. Mal sehen, wen die Musiker nun konsultieren: ihren Arzt – oder ihren Rechtsanwalt.

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