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Kultur: Blaue Runde

Ein

von Tobias Schwartz

Dichter trinken gut und gern. Das könnte, nüchtern betrachtet, der Grund dafür sein, dass sich Kneipen und Wirtshäuser nach Literaten benennen. Mittlerweile schreibt die Berliner Gastronomieszene regelrecht Literaturgeschichte. Angefangen natürlich mit den Weimarer Klassikern, die in den Goethestuben und der SchillerKlause eine Heimstatt gefunden haben. Schiller selbst war vielleicht keine Schnapsnase, gezockt und gezecht hat er jedoch bis in die frühen Morgenstunden.

Reichlich ist die klassische Moderne vertreten: Da sind das Ringelnatz, das Tucholsky und der Brecht-Keller. Vor kurzem hat noch das Horváth eröffnet. Mit dem österreichischen Dichter hat es herzlich wenig gemein, es gibt nicht mal österreichische Küche. Auch die bekannte Brathähnchenkette hat mit Horváths berühmtem Volksstück „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nichts zu tun. Die Joseph-Roth-Diele dagegen befindet sich nicht nur im Haus, in dem der Dichter und heilige Trinker selbst gewohnt hat, sondern sein Konterfei hängt dort sogar noch an der Wand, auch seine Werke werden feilgeboten. Ins Roth gehen, wenn schon keine Dichter, so doch eilige Journalisten. Man kann auch sicher sein, dass im Oscar Wilde viel getrunken wird. Dem irischen Dandy („Ich kann allem widerstehen, nur der Versuchung nicht“) würde es aber in der nach ihm benannten Touristenfalle keinesfalls behagen. Erheblich wohler würde er sich in Becketts Kopf fühlen. Denn dort geht es in Ledersesseln zu ausgesuchten Alkoholika und ruhiger Musik wesentlich gediegener zu.

Blaue Blume, blaue Stunde? Für Romantiker gibt es die Novalis-Klause. Kein Ort, sich zu betrinken, ist das E.T.A. Hoffmann. Der Dichter selbst hat das seinerzeit bei Lutter und Wegner mit einiger Regelmäßigkeit getan. Fürst Pückler-Muskau beugte einem üblen Ruf vor: Er schrieb unter dem Pseudonym Semi Lasso. Kein Zufall, dass sich das Semi Lasso nun in der Muskauer Straße befindet. Und was ist mit dem Borchardt? Das hat weder mit dem Herrenreiter Rudolf Borchardt noch mit dem früh verstorbenen Antikriegs-Klassiker Wolfgang Borchert etwas zu tun. Oder doch? Neugierige scharen sich um den Eingang, wenn die Limousinen vorfahren und ein Promi heranwankt. Drinnen denken die Stützen der Berliner Gesellschaft. Bleibt bloß, wo ihr seid: „draußen vor der Tür“.

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