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Kultur: Blaues Blut und roter Zunder

Eine aristokratisch-proletarische Allianz gegen Hitler: „Der Junker und der Kommunist“, eine Filmdokumentation zum 20.Juli von Ilona Ziok und Thymian Bussemer

Von Caroline Fetscher

Als die Familie im Speisezimmer beim Abendessen saß, so erinnern sich die Töchter des Carl-Hans Graf von Hardenberg bis heute, kam der französische Diener herein und meldete das Eintreffen zweier Herren von der Gestapo. „Bringen Sie die Herren bitte in in die Bibliothek“, wies der Vater den Diener an. Er wolle sich von seiner Frau verabschieden. Hardenberg, Mitverschwörer der Attentäter vom 20. Juli 1944 an der Seite von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wusste, was ihm bevorstand. Während „die Herren“ warteten, versuchte der Graf, sich zu erschießen. Es misslang – und der Großgrundbesitzer landete wie Tausende anderer Widerständler in der Krankenbaracke des KZ Sachsenhausen. Dort schloss er Freundschaft mit Fritz Perlitz, 1908 geboren, Spanienkämpfer, Kommunist seit seiner Jugend, ein Bäcker, der als 15-Jähriger für Hungernde Mehl stahl, einer, der den Grafen und dessen Ländereien aus der Perspektive der Landarbeiter kannte – als Klassenfeind.

Rappelvoll ist der Große Saal auf Schloss Neuhardenberg, dem brandenburgischen Sitz der gräflichen Familie, als dort am Samstag ein dokumentarisches Filmexperiment uraufgeführt wird. „Der Junker und der Kommunist“, gedreht von Ilona Ziok, die gemeinsam mit dem 1972 geborenen Historiker Thymian Bussemer das Drehbuch schrieb, versucht, einen clash of classes zu beschreiben. Erwartungsvolle Atmosphäre auf allen Seiten des Publikums - vor allem bei den meist adligen Mitgliedern der „Stiftung 20. Juli 1944“ wie bei den Brandenburgern, die nach der Wende aus „Marxwalde“ wieder „Neuhardenberg“ werden ließen.

Hier, zwischen Orangerie und Schinkelkirche, Kräutergarten und Obelisk, wo noch unlängst auf den Rasenflächen die Regierung tagte, scheinen die Klassen wieder zueinander gefunden zu haben – in der Demokratie. Heute ist das Schloss im Besitz des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, der dort eine Stiftung für „Kunst, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaftsethik“ betreibt. Die Familie derer von Hardenberg handelte beim Verkauf lediglich einige Wohnrechte aus.

„Gut, dass die Geschichte mal von beiden Seiten gezeigt wird“, bemerkt ein Herr vom Heimatverein. „Ihr im Westen kanntet nur den aristokratischen Widerstand, wir im Osten nur den roten.“ Ein wenig wackeln die Weltbilder, jetzt. Denn Preußens Offiziere, so erklärt ein alter Weggefährte des Fritz Perlitz vor der Kamera, waren ja tragende Säulen des NS-Regimes. Erst als sie merkten, dass es zu Ende ging, versetzt der Mann so nüchtern wie bitter, da rafften sie sich zum Widerstand auf. Abertausende von Kommunisten waren bis zum 20. Juli 1944 bei Lagerhaft, Folter und Exekutionen umgekommen. Doch anerkennen, das merkt man im Saal, wollen die roten Kämpfer von damals die adligen Antifaschisten inzwischen auch. Nie werdet ihr aus mir einen Kommunisten machen, soll Graf Hardenberg im KZ Sachenhausen seinen Freunden erklärt haben. Die akzeptierten es und bereiteten ihn monatelang immer wieder auf die Verhöre vor. Sie hatten Erfahrung. Er simulierte Ohnmachten, blieb dauernd krank und kam, wie Fritz Perlitz, bei der Öffnung des Lagers durch die Allierten frei.

Als verdienter antifaschistischer Kämpfer wurde Perlitz, der Anfang der Siebzigerjahre starb und von dessen Werdegang nur noch die Witwe erzählen kann, Kreissekretär der SED. An Enteignung und Bodenreform – „Junkerland in Bauernhand“ – beteiligte sich Perlitz aktiv. Graf Hardenberg wurde bis zu seinem Tod 1958 Vermögensverwalter der Hohenzollern und residierte auf einem Hardenberg-Landsitz bei Göttingen. Zwei Welten.

Regisseurin Ilona Ziok zitiert Verwandte, Überlebende, Propagandafilme, Familienfotos. Dass die verbal versierte aristokratische Seite über große persönliche Archive und Alben verfügt, dass sie in edlem Ambiente interviewt werden kann, scheint faktisch gegeben. Fritz Perlitz’ Leben ist dürftig dokumentiert. Vor einem Heizkörper sitzt die Witwe in einem Kleinbürger-Wohnzimmer, eine rührende Nippesschale vor sich, das Gesicht im Halbdunkel. Von Perlitz existieren wenige Fotos, filmische News-Fragmente der Spanienkämpferzeit und DDR-Propagandafilme sollen den Mangel ausgleichen. Doch wer sehen kann, den blendet der Glanz der Grafen kaum, der wird erschüttert sein von beiden Leben, die in der Narration mit- und gegeneinander laufen.

Nach dem Krieg haben sich die beiden einmal geschrieben – und nie mehr gesehen. Reinhild Gräfin von Hardenberg, genannt „Wonta“, eine der Kronzeuginnen des Films, verlor nach dem gescheiterten Attentat ihren Verlobten, Oberleutnant Werner van Haeften. Er hatte für Stauffenberg den Sprengsatz dabei und wurde mit den anderen hingerichtet. „Wonta“ kam in Berlin in NS-Haft. Sie heiratete nie.

„Auf immer neuen Wegen“ heißen ihre „Erinnerungen an Neuhardenberg und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ (Lukas Verlag, Berlin 2003, 202 S., 19,80 €). „Ich hoffe“, schreibt sie dort, „dass man aus meinen Aufzeichnungen ein Gefühl dafür bekommt, dass als Motiv für den Widerstand bei meinem Vater und unseren Freunden die christlich geprägte Gewissensentscheidung eine größere Rolle gespielt hat als der Gedanke an den Verlust irgendwelcher persönlichen Vorteile.“

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