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Kultur: Blaues Blut

Man kann Jazz fühlen, schmecken, riechen, man kann sich in ihm verlieren. Die Blutblasen des Bassisten, die dicken Lippen des Trompeters, die chemische Coolness des Drummers – das ist einfach irgendwann da.

Man kann Jazz fühlen, schmecken, riechen, man kann sich in ihm verlieren. Die Blutblasen des Bassisten, die dicken Lippen des Trompeters, die chemische Coolness des Drummers – das ist einfach irgendwann da. Man kann Jazz erforschen und archivieren. Kann man Jazz lesen?

Der Londoner Jazzkritiker Richard Cook hat eine Geschichte geschrieben, nein: er hat die Geschichte von Blue Note Records geschrieben. 1939 von zwei deutschen Emigranten in New York gegründet, wurde Blue Note zum wichtigsten Label des Modern Jazz, wenn nicht des Jazz überhaupt. Die Diskographie ist eine grandiose Versammlung ganz großer Künstler: Theolonious Monk, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Jimmy Smith, Art Blakey, Kenny Burell... und so geht es weiter. Nur wird daraus allein noch längst nicht ein spannendes Buch. Was an „Blue Note“ von Richard Cook so fasziniert, sind die kleinen Geschichten, aus denen große Geschichte wurde: Wie also eben nicht Marktstrategen den Geschmack von Millionen mit Versatzstücken manipulieren, sondern was wahre Begeisterung und Enthusiasmus immer und immer wieder bewirken. Und wie sie immer wieder verlieren.

Cook schreibt, er möchte nicht, dass sich seine Geschichte sentimental anhört – es sei eine andere Zeit gewesen. Da irrt er. Es ist nie zu spät, ganz klein, von vorn und allein zu beginnen. Mühsam, riskant, waghalsig, verrückt. Das hat, in einem ganz anderen Genre, die subversive Independent-Szene Anfang der Achtzigerjahre gezeigt, das ist auch heute stets neu zu betrachten. Die Ohrenzeugenberichte von damals, die Cook hier dokumentiert, die machen Lust, und was will man mehr? Vielleicht das: Blue Note hat Stile geprägt, nicht nur akustisch. Cooks Buch aber ist optisch, was ein Konzert ohne Musiker wäre. Es gibt nicht ein einziges Bild zu betrachten. So bleibt einem nur, die Bilder zur Story im eigenen Kopf entstehen zu lassen. Ein bisschen Musik zur Lektüre hilft dabei ungemein.

Richard Cook: Blue Note. Die Biografie. Deutsch von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Argon Verlag, Berlin. 303 Seiten, 24,80 €.

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