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Ein makelloses Gebiss ist in Hollywood Pflicht. Angelina Jolie zeigt eins.

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Bleaching: Weiße Zähne als Statussymbol: Das neue Blendwerk

Kaum ein Körperteil ist so aufgeladen wieder Zahn: mystisch, furchteinflößend, furchtgebietend. Sein Strahlen ist normativ, unnatürlich – und neuerdings ein Must-Have

Als Nächstes kommt das Laser-Bleaching. Damit wird man die Ergebnisse des Power-Bleachings toppen können. Der Laser wird das Wasserstoffperoxid in die Zähne hämmern, und hinterher, wenn die Schutzbrille abgenommen ist, wird man den Zähnen weder ihre menschliche Herkunft noch irgendwelche Rotweinkontakte ansehen. Jede Spur von Genuss wird entfernt sein, und es wird aussehen, als sei der Mensch allein schon seiner Zähne wegen zum Triumph und zur guten Laune verdammt. Unvorstellbar, dass ein Gebiss, wie alles am Körper altern, in diesem Fall heißt das, nachdunkeln könnte. Zähne in Laserweiß tun das nicht. Der Zahn der Zeit kann ihnen nichts mehr anhaben, und einzig Leute, die sich die paar hundert Euro nicht leisten können oder aus irgendwelchen sentimentalen Gründen an einem weniger heroischen Menschenbild hängen, werden traurig oder stolz und wehmütig sein und die Falten und alten Zähne weiter tragen.

Die Traurigkeit ist schon da. Eine leise Scham, die dazu führt, dass man das makellose Lächeln der schönen Bleachingspezialistin Melanie Heyden nur zögerlich erwidert. Die Perfektion ihrer Zähne ist, unabhängig von der Perfektion ihrer Nase, bereits dank Power-Bleaching ziemlich enorm. Automatisch fragt man sich, was Frau Heyden bloß denken mag. So etwas wie „die Arme“ oder „mein Gott, dieses Gelb“? Sie streitet es ab. Nein, sie habe keinen Zensor im Kopf, sagt sie. „Es lächelt sich aber natürlich leichter mit weißen als mit gelben Zähnen.“

Zähnezeigen galt früher als nicht besonders chic, eher schon verdächtig

Aus Trotz könnte man an dieser Stelle an das Lächeln der Mona Lisa denken. Daran, dass Zähne zum Beispiel in der Malerei selten vorkommen. Auf den Bildnissen der Renaissance, und auch sehr viel später im 19. Jahrhundert sieht man jedenfalls keine. Außer es sind die Zähne des Liebesgottes oder die eines anderen Trickbetrügers wie der Tod. Wer die Zähne entblößte, der hatte offensichtlich Absichten, es galt als aufdringlich und nicht besonders chic. Diese Einschätzung hat sich verkehrt. Zähne zu zeigen ist in einer Leistungsgesellschaft keine gewagte Attitüde, nichts Frivoles, sondern schlicht alltägliche Pflicht. Das Bleaching entspricht dabei dem Wunsch nach Anpassung. Fast könnte man von einem Zwang sprechen.

Die Ebenmäßigkeit muss sich zur Gleichförmigkeit steigern. Die unterschiedlichen Farbtöne der Jugend und des Alters nivellieren sich zu einem aggressiven Leuchten. Das menschheitsalte Ideal gesunder, weißer Zähne genügt dafür nicht. Selbst Profis wie die 30-jährige Melanie Heyden warnen vor Übertreibung. Hin und wieder, sagt die Mutter einer einjährigen Tochter, lehne sie eine Behandlung ab. Junge Mädchen, noch keine 18, die meinen, ihre Zähne genügten der eigenen Zukunft nicht, bekommen von ihr ein Nein. Sie selbst sei mit ihren Zähnen schon an der Grenze: ein Schritt weiter auf der Bleaching-Skala, und das Weiß würde ins Bläuliche kippen. Sie wäre dann dort, wo sie nicht hinwill: im „Zuviel“.

„Weiße Zähne signalisieren Gesundheit und Erfolg“

Zu viel oder nicht: Ein Gesamtkonzept nennt man die Zähne plus das Lächeln heute. Ob man das Gefühl habe, bleachen zu müssen oder nicht, hänge von den Kreisen ab, in denen man sich bewegt. „Weiße Zähne signalisieren Gesundheit und Erfolg“, sagt Melanie Heyden. Wer erfolgreich wirken will, muss sich sputen. Nicht nur das Gebiss, befreit von Karies und Plaque, danach kosmetisch aufgehellt, soll erstrahlen. Auch die Gegend um den Mund wird in die Planung einbezogen.

Es gehört, weiß Melanie Heyden, inzwischen zum Standard der in der ästhetischen Zahnmedizin schwerpunktmäßig tätigen Praxen, neben jeder gewünschten zahnmedizinischen Leistung selbstverständlich auch Faltenunterspritzungen anzubieten. Falten passen nicht zu gebleichten Zähnen. Sie widersprechen einem Mund, aus dem die Erfolgsmeldungen purzeln sollen. Das Lächeln müsste sich schämen. Oder sich darauf besinnen, dass die Welt des Erfolgs kleiner ist, als es das Dental SPA für möglich hält. Nur ein paar Bushaltestellen und S-Bahnstationen weiter, im Wartezimmer der Obdachlosenärztin Jenny de la Torre spielt die Farbe des Lächelns keine Rolle mehr: Die Zahnärztin sei im Urlaub, heißt es. Eine junge Frau mit langen dunkelblonden Haaren ist in Rage. „Was denkt die Alte, dass sie mich fragen muss, warum ich keinen Kontakt zu meiner Mutter habe.“ Der junge Mann, neben ihr, beruhigt: „Die wollen dir hier doch nur helfen“, sagt er. „Ich weiß“, flüstert die junge Frau zurück und hebt, wie um nachzusehen, welche Anmerkungen und Fragen die Welt sonst noch hat, langsam ihren Blick.

Gespräche über Zähne sind selten lustig. Immer lauert ein Abgrund

Gerade und weiß. Wenn möglich laserweiß: Schauspielerin Michelle Wie bei einer Filmpremiere.
Gerade und weiß. Wenn möglich laserweiß: Schauspielerin Michelle Wie bei einer Filmpremiere.

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Nein, Probleme mit den Zähnen habe sie keine. Sie sei noch jung. Und außerdem: Bloß weil man auf der Straße lebt, heiße das nicht, dass man nicht wisse, wie Zähneputzen geht. „Gegen Zahnschmerzen haben wir uns Tabletten besorgt, in Mengen“, sagt ihr Begleiter, der Zustände kennt, in denen der Weg zu einem Arzt wahrscheinlich weiter ist, als es das Heroin erlaubt. „Außerdem hat immer jemand eine Zange dabei“, sagt er. Offensichtlich fehlt der Respekt vor der Zange und ihren Gefahren. Oder es mangelt an Lust, jemandem, der nichts davon versteht, etwas über das Leben auf der Straße zu erklären. „Das mit der Zange glaube ich Ihnen nicht.“ – „Dann lassen Sie es doch“, sagt der Begleiter, der nicht daran denkt, dass er am Gebrauch der Zange nicht sterben kann. Zur Not würde eben ein Arzt auf der Intensivstation einen Zugang für das Antibiotikum legen, der Zorn eines Johann Jakob Joseph Serre ist fremd. Glücklicherweise. Trotzdem ist es lehrreich, jenem Serre, er war Mitglied der chirurgischen Akademie zu Metz sowie Mitglied der kaiserlich-königlichen medizinisch-chirurgischen Fakultät zu Wien, einen Moment beim Schimpfen zuzuhören. Serre warb dafür, dass die Zahnbehandlung unbedingt in die Hände der Ärzte gehöre. Der Fortschritt der Wissenschaft, das Leben von Menschen sei lange genug durch Zahnreißer, Marktschreier und Scharlatane, „deren ganze Geschicklichkeit nur in Dreistigkeit, Verwegenheit und Unverschämtheit“ bestehe, gefährdet gewesen, schreibt Serre in seinem 1804 erschienenen Buch über die Zahnarztkunst. „Von den Blutflüssen“ heißt eines der Kapitel. Man ahnt, worum es geht. Serre erzählt von typischen Fällen wie dem eines Wiener Weinschenks, der nach unsachgemäßer Zahnextraktion über fünf bis sechs Tagen hinweg elendig verblutet sei. Andere hatten mehr Glück. Mit letzter Kraft schleppten sie sich am dritten Tag der Blutung zu dem übrigens ebenfalls im preußischen Berlin praktiziert habenden Doktor Serre oder ließen ihn in der Nacht rufen, damit er durch Essigspülungen, in gelöstem Vitriol getränkte Korkpolster und das Abdecken mit Bleiplättchen dem todbringenden Blutfluss Einhalt gebieten konnte.

Der Schwester hätten sie alle Zähne gezogen, dann war Schluss mit den Problemen, erzählt er

Oft ist die Rede von der Schere, die sich in einer Gesellschaft öffnet. Man könnte genauso gut über eine Zange reden, die unter Mittellosen ein Begriff ist und den Kunden eines Dental-SPA eine mittelalterliche Monstrosität bedeutet. Silvio, obdachloser Rassist und Waffenkenner, gehört zu denen, die ihren Gebrauch als „normal“ bezeichnen. Man muss dazu sagen, dass Silvio, während er das tut, auf einen Termin bei Dr. Vu, dem Zahnarzt der Obdachlosenpraxis am Stralauer Platz wartet. Akute Schmerzbehandlung wird angeboten. Einfachste Prothetik. Silvio hält die Zange dennoch für unverzichtbar. „Meiner Halbschwester haben wir damals alle Zähne gezogen, damit sie nie wieder Probleme damit hat“, sagt er. Die Halbschwester lebe inzwischen mit Mann und Kindern am Rande Berlins. Silvio hält sich damit aber nicht weiter auf. Er zeigt auf einen Zug am gegenüberliegenden Ostbahnhof: „Gesocks, das täglich aus dem Osten kommt.“ Mit den Ausländern werde es täglich schlimmer, sagt er. Der Großvater habe ihn „nationalsozialistisch erzogen“. Nach dem Abitur und der Armee in der DDR habe er, Silvio, in der Thüringer rechten Szene mitgemischt, sich mittlerweile aber daraus gelöst. „Wir haben Scheiß gebaut“, sagt er. Geblieben sind ihm das Wissen über Waffen und der Hass. Silvio hasst die Demokratie, die ihm aus Prinzip den Hitlergruß verbietet. Und er hasst die Regierung. Umgekehrt wird Silvio von der Mutter der Mutter des jüngsten seiner sieben Kinder gehasst. Besser man halte sich voneinander fern. „Auf Mord steht Lebenslang“, sagt Silvio und lacht blinzelnd in die Morgensonne, als hielte er die Geschichte für lustig. In Wahrheit sind Gespräche über Zähne, selbst solche, die nur bei Zähnen anfangen, selten lustig, geschweige denn harmlos. Immer lauert ein Abgrund. Als liege es in der Natur des Zahns, die Oberfläche zu durchbrechen.

Im Traum fallen die Zähne aus, und die Deutung läuft immer auf Abschied hinaus

Der Kaffeetisch ist gedeckt, die Schlagsahne geschlagen. Eine Freundin, eben noch bester Laune, beißt in den Apfelkuchen und erstarrt. Totenbleich macht sie ein fiependes Geräusch. „Oh nein, bitte nicht“, flehte sie. „Der Zahn ist explodiert.“ Sie müsse zum Arzt und das nicht erst nachdem der Kuchen gegessen und der Kaffee getrunken sei, sondern „JETZT!“. Die Alten hatten für diesen Zustand, in dem alles leichter zu ertragen ist als dieses heiße Pochen, das treffende Bild von der „Hölle im Zahn“. Der Zahnarzt in der Notaufnahme löschte die Qualen. Er brauchte dazu noch nicht einmal eine Zange. Monsieur Serre hätte staunend applaudiert. Frieden konnte einkehren, das tiefe Gefühl der Dankbarkeit, der Hölle, dem Wahnsinn und nicht zuletzt einer möglichen Sepsis entkommen zu sein.

Senator Buddenbrook fiel, vom Zahnarzt kommend, auf der Straße in den Schlamm. Die über Wochen verschleppte Infektion eines schlimmen Zahns hatte die Mundhöhle durchbrochen und war in den Blutkreislauf gelangt. Die Szene wäre nicht halb so groß, würde sie vom Elend und nicht mindestens genauso von der Nachtseite jedes Aufstiegs handeln.

Kein Laser-Bleaching wird diese Seite aufhellen. Es ist ähnlich wie mit den Träumen, die alle Kulturen und alle Zeiten kennen. Im Traum fallen die Zähne aus, sie krümeln weich wie Streuselkuchen aus dem Mund heraus, und die Deutung läuft immer auf Abschied hinaus. Spätestens im 2. Jahrhundert hat Artemidor von Daldis die verlorenen Zähne als Tod naher Verwandter gedeutet. Die Zähne repräsentieren das Wertvollste, das Leben selbst, und ihre Kraft geht über die eigene Person heraus. Verständlich, wie sich die unglaublichsten Gebräuche um die Zähne ranken konnten.

Die Mundhöhle als Wirkungsort für Folterer - nicht nur im Film

Die Schönheit der Zähne ist auch für Männer Pflicht. Bruce Willis, Jahrgang 1955
Die Schönheit der Zähne ist auch für Männer Pflicht. Bruce Willis, Jahrgang 1955

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Die Bernsteinkettchen am Hals zahnender Kinder sind ein schwaches Echo. Gedanklich aber hängen sie mit finsterstem Aberglauben zusammen, von dem bis weit ins 20. Jahrhundert etwa aus Mecklenburg berichtet wird. Einer lebenden Maus sei ein Zwirnfaden durch beide Augen zu ziehen, und dieser blutige Faden sei, nachdem die Maus wieder laufen gelassen wurde, um den Hals des neugeborenen Kindes zu binden. Das Zahnen werde dem Kind damit später erleichtert.

Der animalischen Kraft der Zähne muss geopfert, sie muss gebändigt werden. Das Repertoire der Angst ist unerschöpflich, und es passt ins abgründige Bild, dass eine der grausamsten Folterszenen der Filmgeschichte sich des Repertoires einer schwarzen Messe der Zahnbehandlung bedient. In „Marathon Man“ quält der ehemalige KZ-Arzt Christian Szell sein Opfer, den Geschichtsstudenten „Babe“ Levy zunächst mit der bohrenden, weil für Levy noch völlig unverständlichen Frage „Is it safe?“ und dann mit dem sadistischen Gebrauch einer Kürette. Die Präzision des zahnärztlichen Instruments wird zum Zeichen des absolut Bösen. Nach der Folter trägt Babe schwärzliche Ruinen-Zähne im Mund, die nicht aufhören zu schmerzen. Wie in allen Vernichtungslagern ließen die Nazis auch in Auschwitz den vergasten Juden die Goldzähne aus dem Kiefer reißen. Sie ließen die Zähne, an denen mitunter noch ein Stück Kiefer hing, im Krematorium II mit Salzsäure reinigen und im Lager zu Goldbarren für die Reichsbank umschmelzen, um sie in tonnenschweren Kisten monatlich nach Berlin zu schicken.

Implantate oder Zahnerhalt bis ins höchste Alter, man ist weit gekommen zahnmäßig

Nein, Zähne sind nicht harmlos. Sie wurzeln tief in der Geschichte. In der kollektiven und der jedes Einzelnen. Zähne machen hier keinen Unterschied. Sie kauen und beißen, als seien sie an untergründige Ströme von Wut und Verzweiflung angeschlossen. Die proportional stärksten menschlichen Muskeln, die Kaumuskeln, sind daran beteiligt. Die Kraft ist derart groß, dass der Mensch die eigenen Zähne zerstören kann. Er kann sie in der Nacht zerknirschen, und die Zahnmedizin, der alles möglich ist – Implantate oder Zahnerhalt bis ins höchste Alter, im Kampf gegen Karies und in der Aufklärung der Zahnhygiene hat man große Fortschritte gemacht – kann diesen autoaggressiven Akt, Bruxismus oder Craniomandibuläre Dysfunktion(CMD) genannt, nicht heilen. Sie kann Beißschienen anfertigen lassen und zur Entspannung raten. Die Physiotherapeutin meint, man solle die Zungenspitze hinter die oberen Schneidezähnen legen. Die Zahnreihen hätten so ein wenig Abstand. Das täte ihnen gut.

Genau genommen hängt es mit einem Gefühl zusammen, das sich erst wieder einstellt, wenn der Beißkrampf der Anpassung sich löst. In der Angst, der Aggression ging es verloren: „Eine Art Heimatgefühl“. Das Wort stammt von zwei Professoren der Zahnmedizin, von Bernd Kordaß und Martin Lotze, die in dem 2013 von Beate Slominski und Hartmut Böhme herausgegebenen Prachtband „Das Orale“ ausgerechnet über die Empfindsamkeit der Zähne schreiben. Kein Aufbiss gleiche dem anderen, heißt es, jeder Mensch habe ein eigenes, unendlich feines Gefühl für den eigenen Biss. „Die menschliche Tastempfindlichkeit für kleinste Partikel zwischen den Zähnen liegt bei 8–15 Mikrometer, also bei 8 Tausendstel Millimeter.“ Die Zahl allein ist erstaunlich. Es scheint, als seien die Zähne, die wir gewohnt sind, als Kauwerkzeuge und symbolische Waffen der Konkurrenz zu betrachten, sehr viel mehr als das. Tastorgane, empfindliche Seismografen nämlich, die uns ganz anderes spiegeln als die eigene Unerbittlichkeit. Mindestens zwei Mal täglich, beim Zähneputzen, könnte man daran denken: Wie unbarmherzig das Gebot der Anpassung am Ende ist. Wie viel interessanter als Härte die Empfindsamkeit ist. Wie viel schöner als jedes Laser-Weiß.

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