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Kultur: Bleibt alles anders

Video & Co: Das Festival in der Akademie der Künste widmet sich der Kunst des Unfertigen

Entnervt schreitet Heinrich zum Ausgang der Wohnung. Er hat keine Zeit, keine Lust und auch keine Antwort mehr. Ob er Mary-Jane, seine alte Liebe, die immer noch auf dem alten roten Sofa im Wohnzimmer sitzt, noch einmal besuchen kommen würde, weiß Heinrich nicht. „Ich muss jetzt arbeiten“, antwortet er nur lapidar auf ihre Frage. Alles bleibt offen bei den beiden, sie sind Anfang dreißig. Ihre Diskussionen drehen sich im Kreis, auch Whiskey und Zigaretten helfen nicht weiter. Keiner weiß so genau, woran sie eigentlich sind. Sind sie doch noch ein Paar, obwohl sie sich getrennt haben?

Stefan Zlamals lässt die Frage in seinem Kurzfilm „Heinrich und Mary-Jane“ offen und trifft damit den Nerv der Transmediale 07. Denn das Festival für digitale Kunst und Kultur, das heute Abend von Kulturstaatsminister Bernd Neumann eröffnet wird, greift das Unfertige auf. Es geht um scheinbar Abgeschlossenes, das in anderer Form weiterlebt.

„Unfinish“ heißt das Motto des Festivals, und Zlamals Film ist in doppelter Hinsicht ein gutes Beispiel für einen unvollendeten kulturellen Prozess. Denn beide Tonspuren des Kurzfilms sind reines Zitat: zwei Stimmen, die in neuem Kontext aufeinander reagieren. Mary-Janes Stimme stammt von Marianne aus Ingmar Bergmans Klassiker „Szenen einer Ehe“ von 1973. Wenn Heinrich ihr antwortet, ist der Autor und Sänger Sven Regener zu hören, der die im Film verwendeten Worte auf einer Lesung gesprochen hat.

In über 60 Veranstaltungen widmet sich das Festival dem Thema „Unfinish“. Immer geht es um das Unvollendete, den digitalen Fake, die immer neue Version von vermeintlich bekanntem, vertrautem Material.

Videos spielen dabei eine zentrale Rolle. Mal als Dokumentation in Spielfilmlänge wie bei Silvia Holzingers humorvollem Porträt von Joseph Weizenbaum, einem Pionier und Kritiker des Computerzeitalters. Oder als kurze, eigenständige Kunstprojekte wie Thomas Köners Film „Périphériques“. In verschwommenen und ineinanderfließenden Bildern sind Orte in Harar, Belgrad und Buenos Aires zu sehen. Die vermeintlich bedeutungslosen Szenen verbinden sich zu einem eigenen Kosmos.

Das Unvollendete präsentiert sich aber nicht nur im Video, sondern auch in Installationen und Live-Performances. So präsentiert der zypriotische Medienkünstler Stelarc sein aktuelles Projekt „The Extra Ear“. Darin untersucht er die Unvollkommenheit des menschlichen Körpers und hat sich dafür eigens ein drittes Ohr an den Arm operieren lassen. Und bei den zahlreichen audiovisuellen Präsentationen entstehen neue Klangwelten mithilfe von alten Soundmaterialien.

Dem Phänomen des Unfertigen wird auch in Vorträgen und Podiumsdiskussionen nachgegangen. So diskutieren die Berliner Kunsthistorikerin Ingeborg Reichle und der New Yorker Neurobiologe Warren Neidich über neue Medien und wie sie den Wahrnehmungsapparat des Menschen verändern (1. Februar). Auch der Medientheoretiker Friedrich Kittler beschäftigt sich in seinem Vortrag mit erneuerbaren Prozessen (3. Februar).

Gesponsert wird das Festival auch von der Kulturstiftung des Bundes, ein weiterer Kooperationspartner ist das Kunst- und Medien-Labor Tesla: Während des Festivals haben Künstler ihre Studios geöffnet. Zum Abschluss wird am 3. Februar traditionell der Transmediale-Award verliehen. Nominiert sind drei Arbeiten, die aus über 1000 Einreichungen ausgewählt wurden. Herman Assleberghs „Proof of Life“ zeigt Stillleben von Inneneinrichtungen – eine abstrakte Versuchsanordnung über zeitgenössischen Komfort. Auch Antoine Schmitts „Still Living“ basiert auf der Kunst des Stilllebens und lädt den Zuschauer in ein dadaistisches Büro. Tim Shores „Cabinet“ erkundet ebenfalls Topografien, im Gegensatz zwischen offener Landschaft und komplexer amerikanischer Gesellschaft.

Das Motto haben die Veranstalter auch deshalb gewählt, weil die Transmediale in diesem Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert. Als das Festival 1988 zum ersten Mal stattfand, kursierte es noch unter dem Namen VideoKunstFest. Ein Ende, so der künstlerische Leiter, Andreas Broeckmann, nicht in Sicht: „Wir wollten mit dem Motto auch signalisieren, dass die Transmediale immer einen neuen Blick auf die Wirklichkeit wirft.“ Damals war es Video, später hieß es Medienkunst – inzwischen ist die halbe Welt: digital.

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