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Kultur: Blick zum Horizont, Fuß am Abgrund

Noch wird gespielt im Podewil. Und produziert, debattiert.

Von Sandra Luzina

Noch wird gespielt im Podewil. Und produziert, debattiert. Wer über Ostern das Kunstzentrum in der Klosterstraße besuchte, betrat ein volles Haus. Die Choreographin Meg Stuart zeigte zum Auftakt des Festivals "Körperstimmen" "Disfigure Study", ein Stück, das für das Podewil eine besondere Bedeutung besitzt. 1992 wurde der große Saal mit der als bahnbrechend geltenden Arbeit eröffnet. Meg Stuart ist heute artist in residence am Schauspielhaus Zürich, mit ihrer neuen Produktion "Alibi" ist sie zum Theatertreffen eingeladen. Doch dem Podewil fühlt sich die Choreographin weiterhin verbunden. Vor der Vorstellung trat die eher scheue Amerikanerin mit einer Solidaritätsbotschaft vor das Publikum: Sie wolle sich identifiziert wissen mit diesem Haus, das so viele Risiken auf sich genommen und die Künstler so hervorragend unterstützt habe, sagte Stuart.

Das Kunstzentrum im ehemaligen Podewilschen Palais soll zum 1. Januar 2003 seine Pforten schließen. Künstler müssen ihre Ateliers räumen, dafür zieht der Museumspädagogische Dienst in die Räumlichkeiten ein. Mit dieser Nachricht sorgte Staatssekretärin Krista Tebbe in der vergangenen Woche für Aufruhr. Als Veranstaltungsort sei das Podewil eher ungeeignet, begründete Tebbe den Plan des Senats. Eine Begründung, die nicht nur von stupender Inkompetenz zeugt, sondern in den Ohren des Podewil-Teams wie der pure Hohn klingen muss, kann das Haus doch auf gute Auslastungszahlen verweisen und in seinen Spielstätten mit den verschiedensten Aufführungsformaten arbeiten.

Proteste aus aller Welt

Wird Berlin zur pädagogischen und künstlerischen Provinz? Vermutlich hat der Senat nicht mit viel Gegenwind gerechnet. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die drohende Abwicklung des Podewils ist weit über die Grenzen Berlins mit Bestürzung aufgenommen worden. Ein prominenter Kreis von Kooperationspartnern hat bereits jetzt gegen die Schließung protestiert. Die Liste der Unterstützer reicht von Diedrich Diederichsen bis zu Matthias Lilienthal, dem diesjährigen Leiter des Theater der Welt-Festivals, Tom Stromberg vom Schauspielhaus Hamburg, Gerard Mortier als Chef der Ruhr-Triennale und Marie Zimmermann von den Wiener Festwochen. Ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass das multidisziplinär arbeitende Podewil als eine der wichtigsten Adressen für Neue Musik, Neue Medien, Performance und Tanz gilt. Das ehemalige Haus der jungen Talente hat sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten zum Produktions- und Aufführungsort von internationaler Ausstrahlung entwickelt. Andere Institutionen profitieren erklärtermaßen von der konzeptuellen Arbeit des Hauses. Und dank des artist-in-residence-Programms wird wichtige Förderarbeit geleistet: Seit 1995 sind 36 Künstler und Künstlergruppen unterstützt worden. Eine der ersten Künstlerinnen, die davon profitierte, war Sasha Waltz, heute Co-Direktorin der Schaubühne und Choreographin von Weltruf.

Die Pressekonferenz, zu der das Podewil zusammen mit den Kunst-Werken und dem Künstlerhaus Bethanien (beide Einrichtungen sind ebenfalls von empfindlichen Etatkürzungen betroffen) eingeladen hatte, mutete fast wie eine Soli-Fete an. Die Statements der zahlreich erschienenen Künstler ließen erkennen, wie tief der Schock sitzt: Eine ganze Szene fühlt sich durch die Sparmaßnahmen des Senats in ihrer Existenz bedroht. Christoph Tannert vom Künstlerhaus Bethanien präsentierte sich als buchstäblicher Protestträger: Senator Flierl warf er "vorsätzliche GEISTESabwesenheit" vor - so stand es auf seinem T-Shirt zu lesen - und eine "Wiederholung des Bitterfelder Wegs im Boulevard". Der Autor und Regisseur René Pollesch, der zu den wichtigsten Entdeckungen des Podewil gehört, sieht in der Entscheidung "eine nachträgliche Verhinderung von künstlerischen Positionen, die sich gerade durchzusetzen beginnen". Sein sarkastisch-ironischer Vorschlag: Schließt doch gleich die Volksbühne oder wenigstens den Prater.

Der Senatsbeschluss trifft ein Haus, dessen Programmpolitik gerade zu blühen beginnt, erklärte Wilhelm Großmann, Programmdirektor des Podewil und Geschäftsführer der Berliner Kulturveranstaltungs-GmbH (BKV), aus deren Etat das Podewil finanziert wird. Per Fax bekam Großmann aus der Kulturverwaltung die Nachricht, dass sein Etat um 715 000 Euro abgesenkt werden solle. Ein Nachrechnen ergab, dass damit nur das Aus für das Podewil gemeint sein konnte. Zwei Tage später erhärtete sich der Verdacht durch eine Agentur-Meldung, in der explizit von der Schließung des Podewils die Rede war.

Nicht nur Pollesch fühlt sich durch die Streichung des Podewils gleich mit ausgeladen. "Wenn das Podewil schließt, verlieren wir unsere Existenzgrundlage", sagt Reinhold Friedl, Leiter des Neue-Musik-Ensembles Zeitkratzer. Das Ensemble wurde am Haus gegründet - heute erfreut es sich dank seines ungewöhnlichen Repertoires einer weltweiten Reputation. Zeitkratzer verkörpert ein neues Modell, das auf exemplarische Weise dem Geist des Hauses entspricht: Es rekrutiert seine Musiker aus den Metropolen Europas. Zu intensiven Arbeitsphasen mit Gastmusikern und Komponisten kommen die Beteiligten im Podewil zusammen. Beim diesjährigen MaerzMusik-Festival trat die Gruppe beispielsweise zusammen mit Lou Reed auf. Doch auch ohne prominenten Gast spielt das Ensemble vor ausverkauften Sälen. Seine MontagsMusik ist zum Renner avanciert: Mit schöner Selbstverständlichkeit wird hier gegen alle Kategorisierungen angespielt; Kompositionen von Stockhausen oder Phil Glass werden mit Japan Noise oder Arbeiten von Carsten Nicolai konfrontiert.

Elke Moltrecht, verantwortlich für das Musikprogramm, ist es gelungen, die verschiedensten Szenen an das Haus zu binden. Sie hat früh Signale gesetzt und deutlich gemacht, dass die zeitgenössische Musik aus mehr besteht als nur aus Notenkompositionen. Und sie war eine der ersten Veranstalterinnen, die die junge Elektronik-Szene, die bis dahin in den Clubs zuhause war, in den Konzertsaal einlud. Moltrecht setzt auf eine Reibung zwischen zeitgenössischer Musik, Klangforschung und elektronischen Klängen. Neben thematischen Reihen und Festivals präsentiert sie Research-Projekte im Klub Podewil.

Auch der Klub, dem anfänglich mit großer Skepsis begegnet wurde, erfreut sich heute eines regen Zulaufs. "Das Podewil ist ein Haus in process, es ist nicht so festgefügt wie andere Institutionen in Berlin. Das ermöglicht uns eine flexible Wahrnehmung." So beschreibt Elke Moltrecht ihr Erfolgsrezept. Ob in Japan oder Los Angeles - das Musikprogramm hat sich in den Kunstmetropolen herumgesprochen: So bezeichnetet das Musikmagazin "Wire" das Podewil jüngst als "adventourous space". Und Spex rief das Haus zum "hot spot" aus.

"Wir gehen nicht nur shoppen", umreißt Wilhelm Großmann das Selbstverständnis des Hauses, das avancierte Kunstpositionen in Eigeninitiative durchgesetzt hat. International führende Künstler, die der Berliner Szene wichtige Impulse geben konnten, hatten hier ihr Hauptstadt-Debüt.

So droht nun ein Haus geschlossen zu werden, von dem Impulse ausgehen. Auch im Bereich der Performance spielt es nämlich eine Vorreiterrolle. Die Live-Art-Bewegung, die mittlerweile in aller Munde ist, wurde hier präsentiert und mit durchgesetzt. Auch die britisch-deutsche Gruppe Gob Squad, die erstmals 1997 im Rahmen des Festivals "Live Art - Theatre for the Nineties" im Podewil aufgetreten ist, hat hier weiterhin ihren Stützpunkt. René Pollesch und Stefan Pucher, die wie Meg Stuart mit ihren aktuellen Arbeiten zum Berliner Theatertreffen eingeladen sind, fanden hier ein Forum, das für ihre weitere Karriere entscheidend war.

Aenne Quinones, die seit 1996 das Theaterfestival "reich und berühmt" leitet, unterstreicht, dass es um mehr geht als nur um innovative Theateransätze und neue Formen der theatralen Kommunikation. Sie hat immer wieder Künstler eingeladen, die sich verstärkt gesellschaftspolitischen Fragen zuwandten, die zeitgenössische Themen mit neuen Formen verbanden und neue Konzepte von Autorschaft entwickelten. Auch Ulrike Becker von der Tanzwerkstatt fühlt sich avancierten Positionen im Tanz verpflichtet. Ihr kleines, aber exquisites "Körperstimmen-Festival", das mittlerweile zum siebten Mal stattfindet, hat Choreographen wie Xavier Le Roy und Boris Charmatz in Berlin bekannt gemacht, Künstler, um die sich die Festivals heute reißen.

Eine Lücke zu schließen, neue Bereiche abdecken, künstlerische Energien zu bündeln - so lautet der Auftrag an das Podewil. Das ist gelungen, das Podewil hat es zudem geschafft, ein virulenter Ort zu werden. Ein Haus mit vielen Fenstern nach draußen. Ein künstlerisches Zentrum, das sich durch eine hohe Kommunikations- und Integrationsfähigkeit auszeichnet. Die Macher haben sich in den letzten Jahren ein großes Vertrauen erworben. Künstler, die auf internationalem Parkett agieren, kehren gern ans Haus zurück. Und auch weiterhin sind hier die jungen Talente zuhause.

Werden die Uhren zurückgedreht?

Das Podewil ist ein einmaliger und damit ein unverzichtbarer Ort. Die Schließung des Hauses würde nur einen minimalen Einspareffekt für den Kulturhaushalt Berlins bringen, die Folgen aber wären verheerend: ganze Kunst-Szenen würden zerstört. Die Signale, die von diesem Schritt ausgehen, sind fatal. Schon jetzt wird befürchtet, dass im rot-rot regierten Berlin die Uhren zurückgedreht werden. Muss jetzt wieder Artenschutz für junge experimentelle Kunst gefordert weden?

Noch wird weitergespielt. Das Festival "Körperstimmen" geht in seine nächste Runde: Thomas Lehmen, derzeit artist in residence am Podewil, zeigt zwei Arbeiten. Weiterhin stehen zwei Deutschland-Premieren und eine Berlin-Premiere auf dem Programm. Vom 16. Mai bis 1. Juni lockt eine Neuauflage des Theaterfestivals "reich und berühmt". Die schöne Ironie im Titel hat Jahr um Jahr begeistert. Doch jetzt ist keinem der Verantwortlichen nach Lachen zumute, wenn man ihn auf den Titel anspricht. Denn vielleicht heißt es für das Podewil bald ganz ähnlich: berühmt und tot.

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