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Menschenunwürdig ausgestellt. Angehörige der afrikanischen Sara Kaba. Die Aufnahme entstand in den 1920ern auf einer Völkerschau im Berliner Zoo. Foto: Picture Alliance/Ullstein

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Blinder Fleck der Erinnerungskultur: So wird die Geschichte kolonialer Völkerschauen aufgearbeitet

Zoos profitierten vom Kolonialismus. Einige von ihnen, unter anderem in Berlin, stellen sich nun ihrem Erbe. Was bedeutet Dekolonialisierung in ihrem Fall?

Seiltänzer, Schwertschlucker, Schlangenbeschwörer, Elefantenbändiger, Musiker und Tänzerinnen begeisterten 1926 das Berliner Publikum einer großen Indienschau im Berliner Zoo. Weniger amüsiert über war der „Verein der Inder in Zentral-Europa“. Es werde der Anschein erweckt, „das ganze indische Volk befinde sich auf dem Niveau von Tieren“, protestierten die Inder in einem Brief an die Reichskanzlei. Würden Deutsche so in Indien ausgestellt, wäre die Regierung dagegen vorgegangen. Die britische Kolonialmacht aber unternehme nichts gegen die Indienschau, weil „solche Schaustellungen gerade im Interesse des britischen Imperialismus liegen“.

Die Ära der Völkerschauen im Berliner Zoo endete 1952 mit der Präsentation einer Gruppe von Lappländern. Eine abgeschlossene Geschichte? Im Leipziger Stadtrat wird darüber gestritten, ob eine Straße und eine Grundschule weiterhin den Namen des Zoogründers Ernst Pinkert tragen dürfen. Denn mit Völkerschauen, die er selbst inszenierte, hielt Pinkert seinen Zoo ab 1878 finanziell über Wasser. Noch heute veranstaltet der Leipziger Zoo Dinners mit afrikanischen Klängen und Tänzen.

Ernst Pinkert bezog seine menschlichen Exponate vor allem vom Hamburger Tierhändler und Schausteller Carl Hagenbeck. Dessen Denkmal im Tierpark Hagenbeck stellt einen freundlichen Herren dar, der einem Löwen die Mähne krault. Mit der Herabwürdigung anderer Menschen hat das erst mal nichts zu tun, es gibt schlimmere Kolonialdenkmäler in Hamburg.

Dennoch hat die Fotografin Johanna Brinckman im Juni unter dem Hashtag #notmyhero auf Instagram eine Kampagne gestartet, um das Hagenbeck-Denkmal zu stürzen. Inzwischen findet auch ihre Forderung nach einem Denkmal für Opfer der Völkerschauen immer mehr Unterstützer.

Ein Fernsehbericht über zwei Jugendliche, die eine aktive Auseinandersetzung des Tierparks mit dieser Vergangenheit fordern, schaffte sogar den Sprung in die ARD-Tagesthemen.

Bei Hagenbecks Tierpark wurde auf Kritik zunächst trotzig reagiert

Hagenbecks Erben reagierten zunächst trotzig nach dem Motto: „Der Tierpark ist stolz auf seinen Gründer und das bleibt auch so.“ Dann wurde eine Pressekonferenz mit Experten versprochen und wieder abgesagt. Inzwischen erklärt Geschäftsführer Dirk Albrecht auf Nachfrage: „Der Tierpark wird sich aktiv an der Aktualisierung der schon bestehenden Informationen zu diesem Thema beteiligen und ist bereits im Gespräch mit der Kulturbehörde zur Aufarbeitung des kolonialen Erbes.“

In der Hafenstadt Hamburg ist die Kolonialvergangenheit sichtbarer als in Berlin, daher hat die Kulturbehörde bereits 2014 eine Forschungsstelle „Postkoloniales Erbe“ an der Universität eingerichtet. Ihr streitbarer Leiter Jürgen Zimmerer lässt keine Gelegenheit aus, eine Ende der „kolonialen Amnesie“ zu fordern. Er ist auch ein scharfer Kritiker des Berliner Humboldt Forums, dessen Planern er vorwirft, die Perspektive der Kolonisierten zu wenig zu berücksichtigen.

Carl Hagenbeck schreibt in seinen Erinnerungen, seine erste Völkerschau im Jahr 1874 sei die Idee eines befreundeten Malers gewesen. Der riet ihm, eine Herde Rentiere von einer Lappländerfamilie begleiten zu lassen, um das malerische Bild einer nordischen Landschaft mit „unverfälschten Naturmenschen“ zu vervollständigen. Der Andrang war so enorm, dass diese Schau einige Wochen später auch in die Berliner Hasenheide und in den Leipziger Zoo weiterzog.

Koloniales Erbe. Die umstrittene Statue von Carl Hagenbeck. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa
Koloniales Erbe. Die umstrittene Statue von Carl Hagenbeck. Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

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Der Berliner Zoodirektor Heinrich Bodinus zögerte, sein Gelände für solche Darbietungen zu öffnen. Doch zu Hagenbecks Fans gehörte auch der renommierte Berliner Pathologe und Anthropologe Rudolf Virchow. Er verbürgte sich bei der dänischen Regierung für die gute Behandlung einer Gruppe Inuits, die Hagenbeck 1877 von Grönland aus bis nach Paris verschickte. Auf dem Rückweg machten sie Station im Berliner Zoo, wo sie von Virchow vermessen wurden. Überall in Europa suchten Anthropologen damals nach empirischen Beweisen für eine Rassenlehre, die letztlich der Legitimation kolonialer Raubzüge diente.

Seit 1878 war der Berliner Zoo stets eine der lukrativsten Stationen auf Hagenbecks Tourneen. Bis zu 100 000 Besucher täglich lockten sie an. Sogar die Stadtbahnzüge, schreibt Hagenbeck, verlangsamten ihre Geschwindigkeit, um den Zuschauern einen längeren Blick auf seine Spektakel zu ermöglichen. Ob den Afrikanern und Asiaten klar war, worauf sie sich einließen, ist zweifelhaft. Etliche überlebten den Wanderzirkus nicht, starben an Erschöpfung und Krankheiten, auf die ihre Körper nicht vorbereitet waren.

Im Berliner Zoo gibt es eine kulturhistorische Dauerausstellung, auch über die NS-Zeit

Im Berliner Zoo wird das seit 2016 nicht länger verschwiegen. Damals eröffnete eine kulturhistorische Dauerausstellung zur Geschichte des Zoos im Antilopenhaus. Damit reagierte der Zoo auf drängende Nachfragen nach dem Schicksal der jüdischen Zooaktionäre und der Begeisterung der ehemaligen Direktoren Ludwig und Lutz Heck für den Nationalsozialismus. Kuratiert wurde die Ausstellung im Antilopenhaus von dem Antisemitismusforscher Clemens Maier-Wolthausen, der auch die Geschichte der etwa 25 Völkerschauen aufarbeitete.

Mit gutem Grund: Auf den Völkerschauen wurde eine koloniale Perspektive auf angeblich rückständige „Menschenrassen“ und Kulturen eingeübt. Die Nationalsozialisten machten den Rassismus dann zur Staatsdoktrin.

Im Berliner Zoo: Aufsichtsratsvorsitzender Frank Bruckmann (r) und der Zoodirektor Andreas Knieriem präsentieren 2015 eine Tafel, die über die NS-Vergangenheit des ehemaligen Zoodirektors Lutz Heck informiert.
Im Berliner Zoo: Aufsichtsratsvorsitzender Frank Bruckmann (r) und der Zoodirektor Andreas Knieriem präsentieren 2015 eine Tafel, die über die NS-Vergangenheit des ehemaligen Zoodirektors Lutz Heck informiert.

© dpa/Gregor Fischer

Die Büste von Lutz Heck im Zoo, Direktor zwischen 1932 und 1945, trägt inzwischen eine Tafel, die auf das begangene Unrecht hinweist. Die Benennung einer Berliner Schule nach seinem Vater Ludwig Heck wurde 2018 zurückgenommen. Der Hamburger Streit um Carl Hagenbeck dürfte auch an der Hagenbeck-Schule in Berlin-Weißensee nicht spurlos vorübergehen.

Die „koloniale Amnesie“ zu überwinden ist ein langer Prozess. Das zeigt auch die Auseinandersetzung um die „Hütten aus natürlichen Baumaterialien“, mit denen jüngst die Afrika-Landschaft im Berliner Tierpark möbliert wurde. Eine kolonialromantische Inszenierung wie zu Kaisers Zeiten, sicher nicht böse gemeint, aber gedankenlos.

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„Viel zu lange war die Kolonialzeit ein blinder Fleck in unserer Erinnerungskultur. Viel zu lange war das in dieser Zeit geschehene Unrecht vergessen und verdrängt. Es endlich ans Licht zu holen ist Teil der historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den ehemaligen Kolonien – und Voraussetzung für Versöhnung und Verständigung mit den dort lebenden Menschen“, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters vergangene Woche.

Sie stellte einen Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut in Museen vor, das durch die Kolonialvergangenheit belastet ist. Die Regierung formuliert einen klaren Auftrag. Was aber bedeutet Dekolonialisierung ganz praktisch für eine Institution, die ihre Attraktivität wesentlich der Kolonialzeit verdankte?

Im Bremer Überseemuseum wurde 2001 damit begonnen, die Ausstellungsbereiche umzugestalten. Ehemalige Publikumslieblinge wie ein Dinosaurierskelett, lebensgroße Indianerfiguren und ein Südseehaus verschwanden – und kehrten 2019 zurück, nun aber als Teil einer selbstkritischen Dauerausstellung zur Geschichte und den Inszenierungspraktiken des Museums.

1896 eröffnete es als städtisches Museum für Natur-, Völker- und Handelskunde. In sogenannten „Schaugruppen“ zeigte es exotische Welten nach dem Motto: „Die ganze Welt in einem Haus.“ Die weltweiten Bremer Handelsbeziehungen ermöglichten den raschen Aufbau riesiger Sammlungen.

Das Bremer Überseemuseum macht mit seinen Ausstellungen deutlich, dass Kolonialismus auch bittere Gegenwart ist.
Das Bremer Überseemuseum macht mit seinen Ausstellungen deutlich, dass Kolonialismus auch bittere Gegenwart ist.

© Imago(Schöning

Als sich 1904 die Herero in Deutsch-Südwestafrika gegen die Kolonialmacht erhoben, gab Direktor Hugo Schauinsland eine Herero-Hütte mit lebensgroßen Gipsfiguren und Alltagsgegenständen in Auftrag. Doch vor Ort waren keine Objekte mehr zu bekommen, so gründlich hatten die Kolonialtruppen die Herero-Kultur ausgelöscht. Ein gefangener Herero fertigte Sammlungsgegenstände für das Museum an, das sie ab 1911 ausstellte.

Diese Zeugnisse sind heute mit erläuterndem Kommentar im Schaudepot zu sehen. In der Afrika-Abteilung erinnert eine silbrig glänzende Frauenfigur der nigerianischen Künstlerin Sokari Douglas Camp an den Völkermord.

Kolonialismus ist bittere Gegenwart

In Videos erzählen Männer und Frauen vom afrikanischen Alltag. Statt in Hütten führt die Ausstellung durch die Stadtteile der Millionenstadt Nairobi. In einem Clubraum kann man sich durch die Vielfalt afrikanischer Popmusik zappen. Gewürdigt werden auch indigene Gruppen wie die San, früher „Buschmänner“ genannt, denen es gelang, Jahrtausende ohne zentrale Herrschaft zu überleben. Kurz und bündig wird an Beispielen wie Rohstoffhandel und Landenteignungen erklärt, wie die Ausplünderung des Kontinents fortschreitet.

Waren es einst Stammesfürsten, die sich mit weißen Kolonialherren verbündeten, so sind es heute korrupte Eliten, die Land und Leute an internationale Investoren verscherbeln. Das Museum lässt keinen Zweifel: Kolonialismus ist nicht nur ein Gespenst der Vergangenheit, sondern bittere Gegenwart.

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