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Weggefährten. Salma Hayek (r.) und Owen Wilson in „Bliss“.

© Amazon Studios

„Bliss“ von Mike Cahill: Wirre Weltflucht

Matrix-Prämisse, Lynch-Albtraum und Nolan-Nerdtum: Das Science-Fiction-Drama „Bliss“ von Mike Cahill ist ein anarchischer Trip mit philosophischem Überbau.

Schon in den ersten Sekunden von „Bliss“ (auf Amazon) fröstelt’s einen. Das Büro, in dem Greg Wittle (Owen Wilson) arbeitet, ist in so kalte Farben getaucht, dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, in diesem grauen Leben könnte sich etwas herzlich und warm anfühlen. Und tatsächlich: Greg arbeitet in einem anonymen Callcenter mit dem sprechenden Namen „Technical Difficulties“, seine Tochter ist am Telefon enttäuscht, weil der Vater so kurz nach der Trennung von der Mutter nicht an ihrer Abschlussfeier teilnehmen will, und für ein augenscheinlich wichtiges Medikament bekommt er keine Verlängerung ohne Rezept.

Bei so viel Tristesse schon in den ersten Minuten ist es weder ein Wunder, dass Greg in seinem Büro lieber Zeichnungen eines schöneren Lebens anfertigt, als zu arbeiten, noch dass er bald entlassen wird. Nur der eigensinnige Science-Fiction-Regisseur Mike Cahill hält zu seinem Protagonisten: „Bliss“ erweckt Gregs Zeichnungen zum Leben. Der Weg dorthin führt über Salma Hayek. Die wartet als heruntergekommener Freigeist Isabel in der Bar, in die Greg flüchtet, nachdem er versehentlich (!) seinen Chef umgebracht hat. Und erklärt dem Verzweifelten, dass die Wirklichkeit um ihn herum sowieso nur Simulation ist.

Aber erst mal durchatmen. Schon Cahills mit deutlich geringeren Budgets ausgestatteten Filme „Another Earth“ und „I Origins“ waren hochspekulative Science-Fiction-Stücke, die sich mit Details ihrer Weltentwürfe nicht lange abgaben, lieber direkt zum philosophischen Kern vorrückten. Die sogenannte „suspension of disbelief“, also das mutwillige Aussetzen der Ungläubigkeit aufseiten der Zuschauer, erarbeitet sich Cahill nicht, sondern fordert es ein.

Der Trip wird zur Realität

Man macht also mit oder lässt es bleiben. Mitmachen heißt im Fall von „Bliss“, sich mit Greg seiner neuen Freundin Isabel auszuliefern – und ihren gelben Kristallen, die telekinetische Fähigkeiten verleihen. In der vielleicht schönsten Szene des ganzen Films holen die beiden im Eisstadion ihre armen Mitmenschen von den Schlittschuhen. In diesem ersten Teil ist „Bliss“ anarchisch und lustvoll, ein echter Trip. Eher frustrierend wird es, als Cahill sich in seinem eigenen Überbau verliert. Irgendwann wachen Greg und Isabel in einem karibischen Paradies auf, das die erste Welt scheinbar als Simulation entlarvt.

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„Bliss“" ist auf einmal nicht mehr Psychogramm eines Nervenzusammenbruchs, sondern Zukunftsvision, der Trip wird zur Realität. Cahill geht es dabei nicht um ein Rätsel, welche Welt echt ist und welche nicht, sondern um größere Fragen. So kehrt Isabel einmal eine berühmte Weisheit um: „Man muss das Gute erfahren, um das Schlechte würdigen zu können.“ In einem Cameo-Auftritt darf Slavoj Žižek als Hologramm diesen Punkt noch weiter ausführen.

So sehr Cahills ungefilterter Mix aus Matrix-Prämisse, Lynch-Albtraum und Nolan-Nerdtum also mitunter Spaß macht, so sehr wird er von Cahills augenscheinlich sehr ernsten Interessen ausgebremst. Ein gelungener Kontrapunkt ist da die sozialrealistische Ader des Films, verkörpert von Gregs Tochter Emily (Nesta Cooper), die ihren Vater sucht. Wenigstens aus ihrer Perspektive geht es hier um einen geliebten Menschen, der aus einer persönlichen Krise in die Abhängigkeit rutscht, Frau, Arbeit und Wohnung verliert und den man trotz allem nicht aufgeben will. So inszeniert Cahill in „Bliss“, lassen wir die Philosophiererei mal weg, letztlich eine Weltflucht, die zu gleichen Teilen die Schönheit und Wahrheit der Flucht ernst nimmt wie das bittere Insistieren der verlassenen Welt, dass man vor ihr nicht so einfach flüchten kann.

Till Kadritzke

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