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Kultur: Block E, Reihe 3, Platz 12

Mein Lieblingsplatz in der Philharmonie: eine Umfrage zum 40. Geburtstag von Scharouns Musikarena

Wo kann man mitten in Berlin durch Weinberge streifen? In der Philharmonie. Hans Scharoun, Architekt des bedeutendsten deutschen Konzertsaals, nannte die Zuschauerränge gerne Weinberge: Wie natürlich gewachsen wünschte er sich das Haus der Berliner Philharmoniker. 1956 hatte Scharoun den Wettbewerb für einen Neubau des im Krieg zerstörten Konzerthauses gewonnen, 1960 begannen die Bauarbeiten. Am 15. Oktober 1963 wurde die Philharmonie von Herbert von Karajan und seinen Musikern eingeweiht. Bereits am morgigen Sonntag feiern die Philharmoniker den 40. Geburtstag ihres Hauses mit einem „Tag der Musik“. Sir Simon Rattle persönlich schließt um 11 Uhr die Türen auf und lädt in das „klingende Haus“ ein. Aus Anlass des Jubiläums fragten wir Künstler, Kulturpolitiker und Besucher nach ihrem Lieblingsplatz in der Philharmonie. F.H.

Sir Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker: Mein Lieblingsplatz? Ganz einfach: vorne auf dem Dirigentenpodium, inmitten der Philharmoniker!

Adrienne Goehler, Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds: Als ich zum ersten Mal, als Kultursenatorin, in Block A gesetzt wurde, war meine Irritation groß, denn bis dahin hatte ich meist gegenüber gesessen, auf den Chorplätzen, mit direkter Sicht auf den Maestro und direktem Ohr an den Becken. Ich war plötzlich so weit vom Geschehen entfernt. Aber vor allem liebe ich den ScharounBau, weil er unhierarchisch konzipiert ist.

Peter Riegelbauer , Kontrabassist und Orchestervorstand der Philharmoniker: Die Bühne ist mir der liebste Ort in der Philharmonie – vor allem dann, wenn ich in Begleitung bin: Mein Kontrabass und ich bevorzugen den Platz ganz rechts, fast unterm Block E.

Richard von Weizsäcker, Alt-Bundespräsident und Mitglied im Stiftungsrat der Philharmoniker: Mein Lieblingsplatz befindet sich im Block A, links, vorne auf den Plätzen 12 und 13 – wegen der wunderbaren Aussicht auf den Dirigenten und die Hände des Klaviersolisten, wegen der Übersicht über das ganze vertraute Orchester und des Blicks rundum in die einzigartige Philharmonie.

Edeltrud Herrmann, Abonnentin seit 1951: Meine Eltern hatten in ihrem Schrebergarten einen Philharmoniker als Nachbarn. So kam ich schon als junges Mädchen in den Genuss, Konzerte zu erleben. Furtwängler verehrte ich besonders – ich habe zwei Autogramme von ihm. 1951 wurde ich dann Abonnentin. Meinen Platz im Block C, Reihe 3, mag ich, weil ich ihn mit dem Fahrstuhl erreichen kann und viel Beinfreiheit habe. Das ist wichtig, wenn man 90 Jahre alt ist.

Wolfgang Rihm , Komponist: Ortlosigkeit gehört zur Grundausstattung eines jeglichen Künstler-Selbst-Bewusstseins. Wo also könnte mein Lieblingsplatz in der Philharmonie sein? Richtig: im Klang meiner Musik, wenn diese dort gespielt wird. Sie sehen: Schon wieder reklamiere ich Unfassbarkeit. Aber gelegentlich verhalte ich mich auch rezeptiv. Dann sitze ich in diesem wunderbaren Innenraum am liebsten auf einem Außenplatz, also am Gang. Warum? Weil ich groß bin und eigentlich alles mich beengt, was mir zu nahe rückt. So gesehen bekommt die Ortlosigkeit fast etwas von Selbstmedikation. Wie auch immer, die Philharmonie ist mein Lieblingsplatz in Berlin.

Antje Vollmer, Bundestags-Vizepräsidentin: Mein Lieblingsplatz in der Philharmonie war der neben Wolfgang Rihm beim Konzert zu seinem 50. Geburtstag.

Christina Weiss, Kulturstaatsministerin: Mein Lieblingsplatz befindet sich in Block B. Ich sitze gern in der ersten Reihe, halblinks, zwischen den Nummern 1 und 4. Von dort hat man nicht nur einen sehr guten Blick auf das gesamte Podium, also auf den Dirigenten und das Orchester (und im Einzelfall auf den Solisten des Abends), sondern meines Erachtens auch einen kleinen, aber feinen akustischen Vorteil. Der Klang dringt, zumal in extrem lauten Passagen üppig besetzter Symphonien, nicht so direkt und schroff ans Ohr, wie es in Block A geschieht. Dieser Klang scheint auf dem Weg, den er bis hierhin zurücklegt, schon gereift, wie aufgeblüht. Und er strahlt größere Wärme aus.

Rosemary Ripperger, Bibliothekswissenschaftlerin in Mainz und Stammgast seit 1965: So oft es geht, fahre ich gen Osten – und zwar direkt in die Philharmonie. Mein Lieblingsplatz dort ist in Block H. Mich fasziniert es, das Orchester bei der Arbeit zu verfolgen. Außerdem gibt es Dirigenten wie Claudio Abbado, die von vorne zu betrachten ein großes Erlebnis ist. Alle menschlichen Empfindungen – Freude, Leid, Sehnsucht, Trauer... – spiegeln sich in diesem Gesicht wider.

Christian-Ulrich Behring , Tagesspiegel-Geschäftsstellenleiter und einer der aktivsten Kulturnutzer der Stadt: Sonntag, 26. November 1972, 11.20 Uhr: Karajan beginnt in zehn Minuten mit Haydns „Jahreszeiten“ – meine Begleitung ist unauffindbar. „Aben Sie noch eine Karte?“, werde ich von einer bezaubernden Unbekannten mit unüberhörbar französischem Akzent angesprochen. Sehr gern gebe ich ihr die Karte, E links, Reihe 3, Sitz 12 – und erlebe mein nachhaltigstes Konzert: Drei Jahre später haben wir geheiratet.

Edgar Wisniewski, Partner von Hans Scharoun beim Bau der Philharmonie, Architekt des Kammermusiksaales: Mein Lieblingsort in der Philharmonie ist fraglos der Saal – und hier sind es drei Lieblingsplätze: mein Abonnementplatz in Block F (seit der Eröffnung des Hauses), bei kontemplativen Werken hoch oben auf der Raumakustik-Empore neben der Orgel, bei eruptiven Werken und Künstlern mit besonderer Ausstrahlung auf den Podiumsplätzen „in der Musik“ (Max Frisch).

Jörg Widmann , Klarinettist und Komponist: Mein Lieblingsplatz in der Philharmonie? Der Kammermusiksaal! Selten fühlt man als Musiker eine solche Intimität, ja Geborgenheit. Und doch ist alles offen, richtet sich nach außen, nach oben. In keinem anderen Saal kann die Musik selber so im Zentrum sein.

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