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Kultur: Bloß keine Malerei

Die vier Kandidaten für den „Preis der Nationalgalerie für junge Kunst“ stellen sich im Hamburger Bahnhof vor

Sieben Meter ist die Sandkrugbrücke hoch, mindestens, und auch John Bock zögert kurz – und stürzt sich dann doch in die Tiefe. Pappkartons empfangen ihn, auf dem Schleppkahn „Sturmvogel“, schrill gekleidete Hostessen schwenken triumphierend bunte Fahnen, Engel rufen durch Megaphone, das Publikum klatscht, und der Künstler entschwindet winkend die Spree hinunter.

Abschied aus der Kunst. Und Ende einer Performance, mit der sich der Berliner Künstler John Bock um den „Preis der Nationalgalerie für junge Kunst“ bewirbt. Es ist sicher der spektakulärste Beitrag, und der ungewöhnlichste dazu: Rund eine Stunde hatte der Performancekünstler zuvor im Hamburger Bahnhof doziert, über die richtige Technik des Melkens und die Probleme beim Sushi-Kauf, hatte sich, einem Weltraumpiloten ähnlich, am Boden gewälzt, einer Zuschauerin die Nägel geschnitten, und war schließlich von einem erbosten „Zuschauer“ durch die Glasscheibe aus dem Museum geworfen worden.

Die Performance von John Bock fand nur am Eröffnungstag statt, in der Ausstellung selbst, mit der sich die vier Kandidaten für den mit 50000 Euro dotierten Preis präsentieren, wird ein Dokumentar- Video gezeigt. So war der Fenstersturz höchstens ein ironischer Rauswurf aus den Heiligen Hallen des Hamburger Bahnhofs, dessen Kleihues-Halle sich dieser Tage ganz der Gegenwartskunst öffnet, sie einziehen lässt. Überall rasseln Ketten, es knistert und zischt, kieksende Saxophontöne hallen durchs Haus. Zu sehen ist eine Kunst, die sich den musealen Ansprüchen souverän verweigert. „Es ist das sperrigste, schwierigste, unfertigste Vorhaben des Vereins“, seufzt auch Peter Raue, Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie, der den nun zum dritten Mal ausgerichteten Berliner „Preis der Nationalgalerie für junge Kunst“ finanziert. Und finanziert heißt in diesem Jahr: mit besonders viel Aufwand, wurde doch die Kleihues-Flügel extra für die Ausstellung in eine Folge von vier Einzelsälen unterteilt.

Hier also sind zu bewundern: eine skulpturale Installation (Monica Bonvicini), ein Videofilm (Anri Sala), eine Sound- und Lichtinstallation (Angela Bulloch) und eben die Performance-Dokumentation von John Bock. Keine Malerei, Zeichnung oder Skulptur also unter den von einer dreiköpfigen Jury nominierten Arbeiten, stattdessen eine geradezu programmatisch anmutende Weigerung, den üblichen Ausstellungsbetrieb zu bedienen. Alle vier Nominierten sind international gefeierte Künstler, die sich selbstbewusst das Recht nehmen, den klassischen Museumsraum nach ihren Vorstellungen umzugestalten.

Nehmen wir die Licht- und Soundinstallation der Kanadierin Angela Bulloch, die von sich selbst sagt: „Meine Kunst ist hermetisch.“ Dabei war ihr Ausgangspunkt ein ganz realer: die Beobachtung, dass die Berliner Forstverwaltung die Bäume in der Stadt mit kleinen Metallplättchen markiert und durchnummeriert. 1001 solcher Plättchen hat Bulloch nun als Fries rund um den Raum laufend an die Wand genagelt, und ein Punktscheinwerfer fährt rasend schnell den Saal ab. Dazu kommt im Zentrum ein künstliches Dickicht, aus 1000 Metern Leuchtfäden, die lange nachglühen, wenn das Licht verloschen ist. Naturromantik? Keineswegs. Kühl knisternde Elektroklänge (Musik: Florian Hecker) bringen Laboratmosphäre in den Raum. Es gehe ganz bewusst auch darum, den Zuschauer mit Anspielungen zu überfordern, sagt die Künstlerin.

Hermetik hier, Skandale dort: Der Preis der Nationalgalerie, der dem heiß diskutierten britischen Turner-Preis Konkurrenz machen will, hat in diesem Jahr zumindest sein Skandälchen: Die italienische Künstlerin Monica Bonvicini hat Sex-Schaukeln aus der Sado-Maso-Szene zu einer raumfüllenden Installation verarbeitet. Ketten, Lack und Leder, eine Kombination aus klinischer Sauberkeit und chromblitzender Härte. Die Arbeit, filigran und minimalistisch, hat auch Brutalität: Zwar wippen die so genannten „Livespeaker“, vom Verein der Freunde angeheuertes Erklärpersonal, zur Eröffnung fröhlich in den Schaukeln, doch der Schritt zu Folter und Quälerei scheint klein. Man muss sich vielleicht nicht gleich an Gefängnisse und die Szenen von Abu Ghraib erinnert fühlen wie Kurator Joachim Jäger in seiner Ansprache, doch der „Spielplatz für Erwachsene“ ist garantiert nichts für Kuschelfreunde.

Da kommt Anri Sala viel poetischer daher. Der in Berlin lebende Albaner ist fasziniert von der Architektur des Märkischen Viertels in Berlin, besonders des Hauptgebäudes „Langer Jammer“. Hier, im 18. Stock, lässt er in „Long sorrow“ einen Saxophonisten (Jemeel Moondoc) frei in der Luft schweben und spielen. „Ich wollte zeigen, dass es einen Riesenunterschied für die Musik macht, ob sie in einem Zimmer oder in der Luft gespielt wird“, erklärt der Künstler, und tatsächlich hebt der Saxophonist – und mit ihm der Zuschauer – irgendwann ab, wendet den Blick ab vom schwindelerregenden Blick in die Tiefe, wo sich Busse und Autos auf den Straßen kreuzen, und spürt nur noch Wolken, Wind und Weite über der Stadt. Das könnte, mit diesem Blick über weites Grün und nahe Betonbalkons, Tirana, Bukarest, Warschau oder Paris sein, jede Großstadt, und ist gleichzeitig ein wunderbares Bild für Musik, für die Angst vor dem Absturz wie den Traum vom Abheben und Fliegen. Und am Ende, nachdem der letzte, leise Ton verklungen ist, schwebt auch noch ein Flugzeug über den Wohnblock. Auch das ist ein Fluchtweg, wie bei John Bock.

Hamburger Bahnhof, bis 27.9. Der Preis wird am 27. 9. verliehen. Katalog 15 Euro

Christina Tilmann

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