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Kultur: Bloß nicht smart sein

Regisseur Alejandro González Iñárritu über sein Gefühlskino und die Angst vorm Stereotyp

Wie „Amores Perros“ und „21 Gramm“ haben Sie auch „Babel“ nicht chronologisch erzählt. Welches Prinzip steckt dahinter?

Wenn man mehrere Geschichten in einem Film verbinden will, muss man diese Erzählelemente so oder so kombinieren. Die drei Filme unterscheiden sich jedoch diametral. In „Amores Perros“ kollidieren drei Geschichten in einem einzigen Punkt: einem Autounfall. In „Babel“ gibt es vier Geschichten, die miteinander zu tun haben, sich aber physisch nicht berühren: Die Figuren bekommen einander nie zu Gesicht. Die Handlung in Mexiko spielt noch dazu einen Tag später.

Sie springen dabei vor und zurück – nur etwas weniger exzessiv als in „21 Gramm“. Misstrauen Sie linearen Handlungen?

Nein, „Babel“ ist ja sonst sehr chronologisch erzählt. Das Wichtigste ist, dass die Sache emotional einen Sinn ergibt. Anders als das Theater ermöglicht das Kino sehr fragmentierte emotionale Erfahrungen. Es ist gut, diese Mittel auszunutzen. Aber sie sind keine Richtlinie. Filme auf meine Art zu erzählen, ist nicht besser oder schlechter. Ich könnte mir auch vorstellen, einen linear vorgetragenen Monolog vor einer Kamera in einem Apartment zu filmen.

Ist die zeitliche Struktur präzise im Drehbuch vorgegeben oder wird sie erst am Schneidetisch entwickelt?

Im Drehbuch ist der Keim dafür angelegt, bei „Babel“ vielleicht zu 50 Prozent. Aber wenn man mit dem Dreh beginnt, wird man mit Problemen konfrontiert. Also bleibt man am besten flexibel.

So ganz aber haben Sie den Sinn des episodenhaften Erzählens noch nicht erklärt.

Diese Form schafft dramatische Spannung – und es ist die Pflicht jedes Geschichtenerzählers, dafür Wege zu finden. Es ist wie beim Witz: Bei manchen Leuten bricht man zusammen vor Lachen; erzählt jemand anderes den gleichen Witz, finden Sie ihn schrecklich. Mir geht es darum, die Leute am Spiel teilnehmen zu lassen: Sie sollen nicht nur passive Zuschauer sein, sondern emotional involviert werden.

Wo legen Sie Ihren Schwerpunkt als Regisseur – auf der emotionalen oder der intellektuellen Seite des Kinos?

Auf der emotionalen! In der Kunst geht es um Gefühle. Ich will keine smarten Filme machen – im rationalen Sinn.

Daher das Melodramatische in „Babel“?

Ich sehe das weniger als melodramatisch denn als dramatisch. Melodramen sind sehr manichäisch, also schwarz-weiß-malerisch angelegt. In „Babel“ gibt es keine Guten und Bösen. Aber ich habe nichts gegen Melodramen. Wo ich herkomme, spielen sie eine wichtige Rolle. Wir Mexikaner lieben Seifenopern.

Man könnte aus „Babel“ einen pessimistischen Schluss ziehen: Sobald man Grenzen zu einem Kulturraum überschreitet, den man nicht versteht, verursacht man Probleme. Andersherum gesagt: kein Kontakt mit fremden Kulturen, kein Unglück.

Das ist eine sehr vereinfachte, vorurteilsbeladene Lesart. Das würde bedeuten, wir könnten überhaupt nicht mehr aus dem Bett steigen. Wir müssen nur damit klarkommen, dass alles, was wir tun, eine Wirkung hat.

Der Film kontrastiert deutlich drei Stadien des Zivilisationsprozesses: das prämoderne Marokko, das Schwellenland Mexiko und das hypermoderne Japan. Dabei wirkt der Blick auf die fremden Kulturen in allen Fällen sehr authentisch.

Ich habe versucht, mich in die Lage der Figuren zu versetzen. Ich komme aus einem Dritte-Welt-Land, das extrem stereotypisiert wird. Unsere Kultur ist seit langem gefangen in Interpretationen von außen. Diese Erfahrung als Opfer von Stereotypen macht mich wachsam: Ich will denselben Fehler nicht wiederholen.

Deshalb haben Sie erstmals mit Laien gearbeitet, unter anderem aus dem marokkanischen Hinterland? Andererseits gibt es mit Brad Pitt und Cate Blanchett zwei Hollywood-Stars. Ein ziemlicher Spagat.

Das ist wirklich eine der größten Herausforderungen, mit denen man als Regisseur konfrontiert werden kann: Ich habe ja nicht nur mit Laienschauspielern gedreht, sondern mit Laien in einer Sprache, die ich selber nicht verstehe – und das haben ich dann auch noch mit einer völlig anderen Art von Schauspielern kombiniert. Das macht natürlich Spaß. Aber ein Film wie dieser bedeutet auch ein großes Opfer. Jeder Tag stellt dich auf die Probe, auf allen Ebenen: psychologisch, intellektuell, physisch, logistisch.

Das Interview führte Julian Hanich.

Alejandro González Iñarritu , geboren 1963, ist der derzeit aufregendste mexikanische Filmemacher. Bisherige Werke:

Amores Perros (2000) und

21 Gramm (2003)

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