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Kultur: Blühende Leinwände

Ausbau Ost: Wie Ingrid Mössinger die Kunstsammlungen Chemnitz von Erfolg zu Erfolg führt

Schwaben halten zusammen. Immer und überall. Dass die Sammlung Alfred Gunzenhauser noch zu haben war, erfuhr Ingrid Mössinger von einem an der Dresdner Kunsthochschule lehrenden Landsmann. Gunzenhauser selbst, den in Heidenheim an der Brenz geborenen, in München erfolgreichen und mittlerweile 81-jährigen Galeristen und Großkunstsammler, hat die Direktorin der städtischen Kunstsammlungen Chemnitz schließlich mit mädchenhaftem Charme und ihrem dezenten schwäbischen Idiom bezirzt. Und mit einer stillen Hartnäckigkeit, die den Sammler schließlich davon überzeugt haben dürfte, dass seine rund 2500 Werke des deutschen Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und des Informel unter das Dach der Chemnitzer Kunstsammlungen gehören.

Bereits 2003 konnte die Vereinbarung mit Gunzenhauser vertraglich festgeschrieben werden. Man einigte sich auf eine gemeinsame Stiftung, nach 150 Jahren geht die Sammlung geschlossen an die Stadt über. Im Gegenzug hat diese das damals gerade freigezogene neusachliche Sparkassengebäude am Falkeplatz, Baujahr 1930, nach Plänen des Berliner Architekten und Museumsspezialisten Volker Staab umbauen lassen.

Dass der über acht Millionen Euro teure Umbau auch durch Geldgeber wie die örtliche Sparkasse (als ehemaliger Hausherr) und die Ostdeutsche Sparkassenstiftung mitfinanziert wurde, verdankt sich ebenfalls Mössingers Diplomatie und Renommee. Den laufenden Betrieb finanziert künftig die Stadt. Gunzenhauser verzichtet dafür auf jegliche Einmischung bei der Programmgestaltung. Für den Sammler geht ein Lebenstraum in Erfüllung. Die Museumsdirektorin gewinnt ein Traumhaus hinzu.

Am 1. Dezember wird das Museum Gunzenhauser von Bundespräsident Horst Köhler eröffnet. Damit hat Chemnitz alle aus dem Rennen geschlagen: München und Murnau, vor allem jedoch die sächsischen Dauerkonkurrenten Dresden und Leipzig, die ebenfalls um Gunzenhausers Gunst und Kunst gebuhlt hatten. Chemnitz eröffnet nun das erste große Sammlermuseum in Ostdeutschland – und staunt über sich selbst.

Ingrid Mössinger, die zuvor zwar Kunstmessen und Kunstvereine, nie jedoch ein Museum geleitet hatte, ist seit 1996 Direktorin der Chemnitzer Kunstsammlungen. Ihre Vorgängerin Susanne Anna, ebenfalls ein Westimport, hatte nach zwei Jahren entnervt aufgegeben. Mit moderner (West-)Kunst waren die Chemnitzer scheinbar nicht zu beeindrucken. Scheinbar. Denn inzwischen eröffnet ein eigener Georg-Baselitz-Raum den Museumsrundgang. Mössinger weiß, dass es die Mischung macht, der permanente Spagat zwischen regionaler Relevanz und großer Kunst.

Im Idealfall fällt beides zusammen, wie 1999 bei ihrem ersten großen Coup mit der Ausstellung „Edvard Munch in Chemnitz“. Ungläubig erstaunt nahmen Stadtbürger und Kulturtouristen zur Kenntnis, auf welch großartige künstlerische Traditionen die als Ruß-Chemnitz verschriene Industriestadt stolz sein darf. Denn der Chemnitzer Strumpffabrikant Herbert Eugen Esche hatte sich 1903 nicht nur von Henry van de Velde eine imposante Villa errichten lassen (in der die Kunstsammlungen inzwischen eine Dependance betreiben), sondern 1905 auch Munch nach Chemnitz eingeladen. Der kam, trank und malte. Mössinger rekonstruierte eine Sternstunde der Kunstgeschichte – mit Ortsbezug.

Zur Jahreswende 2002/2003 zeigten die Chemnitzer Kunstsammlungen „Picasso et les femmes“: 228 Porträts, die Picasso von insgesamt 36 Frauen – Geliebten und Beinahe-Geliebten – gemalt hatte. Die Ausstellung wurde ein überwältigender Publikumserfolg, der das Chemnitzer Museum und seine Direktorin in ganz Europa bekannt machte. Für die Chemnitzer war es Seelenbalsam. „Das war eine neue Erfahrung für die Leute hier“, erinnert sich Mössinger, „dass an jedem Ort alles möglich ist.“ Ein Satz, der als Motto auch über der aktuellen Bob-Dylan-Ausstellung stehen könnte. Dass Dylan zeichnet, wusste man. Doch erst Ingrid Mössinger, die vor dem Projekt mit Dylans Musik nicht viel anfangen konnte, hat den Meister dazu bewegt, 170 Aquarelle und Gouachen für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen. Eine Weltpremiere – in Chemnitz. Dylan hatte übrigens unsignierte Blätter nach Chemnitz geschickt, weil er unsicher war, ob man sie überhaupt zeigen soll. Mössinger befand sie für gut und traf den Musiker nach einem Konzert in Leipzig. Von dem weichen tschechischen Bleistift der Traditionsmarke Koh-i-Noor, den sie ihm zum Signieren mitgebracht hatte, war Dylan so begeistert, dass er sich von Mössinger welche nachschicken ließ.

Rätselhaft, woher diese zierliche Frau ihre Energie nimmt. Wie sie es geschafft hat, ein Provinzmuseum zum Leuchten zu bringen. Und uns damit ganz nebenbei an unsere Vorurteile gegenüber kulturellem Reichtum erinnert, sobald er sich jenseits eingefahrener Gleise und Reiserouten bewahrt oder entwickelt hat.

Ingrid Mössinger, das bestätigen alle, die mit ihr zusammenarbeiten, ist ein Arbeitstier. Ihr Museum sieht sie ungleich häufiger als ihren Mann, der in Frankfurt am Main lebt. Sie kleidet sich gern elegant und ist dennoch gänzlich uneitel. Durch Chemnitz bewegt sie sich in einem klapprigen Golf – „langsamer als die Polizei erlaubt“, lästert ein Mitarbeiter liebevoll. Sie mag Chemnitz, und die Chemnitzer, einschließlich ihrer politisch Verantwortlichen, scheinen sie zu mögen. Den Glanz, den das Museum verbreitet, haben sie und ihre Mitarbeiter hart erarbeitet.

Der undezenten Frage, wie lange sie noch arbeiten möchte, weicht sie dezent aus. Einmal schon wurde ihr Vertrag über die Pensionsgrenze hinaus verlängert. Und alle rechnen damit, dass das 1909 eingeweihte Museumsgebäude am Theaterplatz auch sein Hundertjähriges mit ihr an der Spitze feiern wird.

Am 13.11. stellt Ingrid Mössinger das Museum Gunzenhauser in Berlin vor: 19 Uhr, Sächsische Vertretung, Brüderstr. 11/12. Anmeldung: veranstaltungen@bln.sk.sachsen.de oder Tel. 20 60 60.

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