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© dpa

BMW-Welt: Wolken wagen

Mobiles Bauen: Die spektakuläre Münchner BMW-Welt des Architekturbüros Coop Himmelb(l)au.

In München steht jetzt ein Doppelkegel. Die dynamische Optik bekommt er durch spiralig nach oben strebende Metallrauten, welche man jederzeit als avantgardistische Hommage ans Bayern-Wappen lesen kann, das nach allgemeinem Verständnis den weißblauen Himmel zeigt. Damit wären wir bei einer bislang unbekannten Verbindung zwischen Bayern und der Architekturfirma Coop Himmelb(l)au. Die Wiener brachten mit Hilfe der Rauten Erde und Himmel zusammen, beziehungsweise ihre beiden Lieblingsbaukörper „Kegel“ und „Wolkendach“, die zentralen Motive der neuen BMW-Welt in München. An diesem Wochenende ist erstmals das Publikum in das 180 mal 130 Meter große Gebäude geladen.

Das Überraschende ist, dass alle glücklich sind: Politiker, Wirtschaft, Fachwelt. Das war nicht unbedingt zu erwarten. Coop Himmelb(l)au gehören zu den Baumeistern, denen oft – zuletzt beim Anbau für die Münchner Kunstakademie – ideologische Abneigung entgegenschlug. Schon vom Typ her ist der 64-jährige Coop-Chef Wolf D. Prix der Schrecken der Exzellenz-Initiativen-Schickeria: Altachtundsechziger, Rolling-Stones-Songs in den Telefonwarteschleifen, Revoluzzerprosa. In der Realität aber hat man sich längst aneinander gewöhnt. Die frühere Ablehnung des Funktionalen durch Prix ist zur rhetorischen Figur geworden.

Auf der Großbaustelle mussten die Wiener mit Zweitbüro in Los Angeles so pragmatisch wie alle Architekten das enge Korsett aus Wunsch und Wirklichkeit, Kunst und Kostendruck akzeptieren. So lesen sich Zahlen, Fakten und PR nach vier Jahren Bauzeit nun so nüchtern wie auf jeder anderen Großbaustelle. Kosten: 500 Millionen Euro. 16 000 Quadratmeter Dachlandschaft, aber nur elf Stützen. Energiespar-Gimmicks. Innovative Stahl- und Fassadenstruktur. Jährlich erwartete Besucher: 850 000.

An der BMW-Welt perlt der Vorwurf, sie sei nur Showarchitektur, elegant ab. Denn Show ist in diesem Fall der offensichtliche Zweck: Die Auftraggeber wünschten eine so aufregende wie funktionale Architektur, deren Kurven und Farben dieselbe glitzernde Botschaft tragen wie ihre Autos. Die Architekten ersehnten ein spektakuläres Gebäude, in dem sie – siehe oben – zentrale Motive ihrer Architektur versammeln können, die lange nur aus Poesie, Papier und charmanten Provokationen („Architektur muss brennen“) bestand. Und die Adressaten des Ganzen, die täglich erwarteten 170 Selbstabholer der Limousinen? Sie brennen, so viel ist sicher, auf jene sanft kreisende Luxusplattform namens „Premierenteller“, von der sie in München feierlich ihr individuelles Auto empfangen. Und auf einen Wellnesstag zwischen Rennboliden und drei Restaurants.

Diese Spezies des Selbstabholers, der die Überführungsgebühr spart und das Geld stattdessen im Themenpark ausgibt, wurde 1999 in der Wolfsburger VW-Autostadt erfunden. Die deutsche Fahrzeugindustrie bedient seither das Bedürfnis nach Zukunft, Event und immobilem Lifestyle: In Dresden entwarf Gunter Henn für VW die Gläserne Manufaktur, Zaha Hadid baute 2004 ein dynamisches Autofabrikmodul in Leipzig. Auto-Kathedralen wie Ben van Berkels Stuttgarter Mercedes-Museum von 2006 oder das von Delugan Meissl entworfene Porsche-Museum (ab 2009) sehen nicht nur gut aus, sondern suggerieren, dass sich nicht auch noch die Markengeschichte in Billiglohnländer davon machen kann.

Architekten und Bauherren kamen sich ob dieser faszinierenden Bauaufgaben schnell näher. So sieht van Berkels Mercedes-Museum aus gewissen Positionen wie ein gigantischer Kleinwagen aus. Bei der BMW-Welt hingegen erinnern das dunkle Glas und der lange Schatten unterm Dach an getönte Windschutzscheiben. Oder an eine Gewitterfront. Während die Leichtigkeit der Dachlandschaft von einigen Blickwinkeln aus schwer erarbeitet wirkt, löst sich die hochkomplexe Struktur von Logenplätzen wie der Brücke über den Mittleren Ring in eine geniale Fingerübung auf. Das wie ein glänzendes Kleid über die Glashalle gebreitete Silberdach wirkt aus dieser Perspektive beinahe entgrenzt.

Betrachtet man die BMW-Welt nicht als Solitär, sondern in ihrer Umgebung, wirkt sie fast defensiv. Das gegenüberliegende Olympiastadion gibt städtebaulich ein hervorragendes Pendant. Der BMW-Verwaltungsturm und die Schüssel des BMW-Museums von 1972 und 1973 haben prägnante Formen, neben die Prix jetzt einen „dritten Buchstaben“ legt. Jahrzehntelang wurde der Münchner Norden von Klärwerken und Mülldeponien bestimmt. Mit offener Geste ist die BMW-Welt hier als vorerst letztes der neuen Raumschiffe gelandet, die aus dieser Gegend wieder Baukunsterwartungsland gemacht haben.

Wer mit seinem frisch erworbenen Wagen den Autokosmos verlässt, tut das über eine Silberröhre, die rasant am Doppelkegel vorbeikurvt. Man ließ die Radien vergrößern, damit die hocherregten Neubesitzer ihrem Luxuswagen nicht gleich in der ersten Schikane einen Adrenalinkratzer verpassen. Die Röhre wird dann zu einer atemberaubend gewellten Silberbrücke - ebenfalls von Coop Himmelb(l)au –, welche die Wagen artgerecht in die Stadtautobahn einschleust. Höchst elegant löst dieses Auto-Haus den Widerspruch, dass man Fahrzeugen neuerdings wieder feste Wohnsitze baut: Eigentlich haben sie hier nur eine überdachte Straße bekommen.

Alexander Hosch

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