zum Hauptinhalt

Kultur: Bochum ist überall

Jetzt in Berlin: Helge Schneiders Wusical „Mendy“

Für einen Moment scheint es zu gelingen. Der schlaksige Knecht steht im schmuddeligen Schlafanzug am Bühnenrand und dirigiert das Publikum. Klar, alle müssen mitmachen, sonst funktioniert es nicht. Also singen die Frauen: „Die alte Stute ist zum letzten Mal besamt“, und aus den Männerkehlen antwortet es brummend: „Hah-hah!“ Der Saal tobt. Eine Heidengaudi. Ergibt zwar keinen Sinn, aber ist einem auch nicht peinlich. Nennen wir es den Helge-Effekt.

Helge Schneider, die „singende Herrentorte“, hat ein Musical geschrieben. Natürlich nicht für den Broadway, sondern als Gelsenkirchener Barock, der durch eine schmucklose Reihenhaus-Hintertür schimmert. Vor gut einem Jahr wurde „Mendy – das Wusical“ im Schauspielhaus Bochum uraufgeführt, nun gastiert es in der Volksbühne. Erzählt wird die Geschichte der pferdeverliebten Wendy und ihrer Familie. Wie bei Schneider zu erwarten, entwickelt sich daraus ein Reigen an Slapstick-Einlagen: Als sich Wendy und ihre abgetakelte Mutter „Lady Mamma“ wegen einer Nichtigkeit streiten, jagt diese ihre Tochter mit einem Beil um den klapprigen Küchentisch. Versehentlich wird der Knecht erschlagen und schon donnert der „Schwarze Vogel“ krachend gegen den Pappschornstein. Der an den Rollstuhl gefesselte Vater muss zusehen, dass er genug Müllsäcke für die entseelten Überreste findet. Sein Kommentar: „Na toll!“ Sozialstudie à la Schneider.

Im Kino hat er uns so schöne Antihelden wie den alleinerziehenden Vater Dr. Angelika Schneider, den psychopathischen Kriminellen Nihil Baxter und den erfolglosen Musiker Teddy Schu geschenkt. Seine Tonträger leben von seiner Skurrilität, die Konzerte von seinem Improvisationstalent. „Mendy“ ist der konsequente nächste Schritt, der all das verbindet, das Chaos und das Absurde, den Schmerz, den Gleichmut.

Wendy und ihr Pferd Mocca leiden beide unter Einsamkeit. Ob Menschen oder Tiere, alle reden aneinander vorbei. Die Erwachsenen haben andere Sorgen. Lady Mamma betrügt den Vater mit dem Knecht vor dem Pferdestall, aber nicht so, dass der Jugendschutz einschreiten müsste. Den Ehebruch besingt Lady Mamma mit graziler Leichtigkeit und einem charmanten Lied, das nur aus zwei Worten besteht: „Wir ficken.“ Klar, so was kann nur Helge Schneider komponieren, der dem deutschen Sprachraum mit „poppen“ bereits vor zwölf Jahren ein Modewort geschenkt hat. Egal wie ernst das Leben ist, Spaß muss sein.

Auf der Bühne müssen die Schauspieler ohne ihn auskommen. Das gelingt nicht immer, auch wenn die Charaktere mit Schneiderscher Nüchternheit interpretiert werden. Herausragend die 78-jährige Tana Schanzara, ohne die kaum noch eine Ruhrpott-Komödie auskommt: „Fußball ist unser Leben“, „Was nicht passt, wird passend gemacht“ und zuletzt Schneiders „Jazzclub“. Im Wusical ist sie in gleich drei Rollen zu sehen. So singt sie – auf eine Krücke gestützt – als „Kuh Lisa“ beswingt ihren „Muh Kuh-Song“ und erntet Szenen-Applaus.

Im Gegensatz zu den anderen Darstellern braucht Tana Schanzara kein Drehbuch zum Witzigsein. Sie ist es einfach und geniert sich nicht dabei. Damit entspricht sie dem Helge-Effekt – der Blick auf die Bühne ist immer auch ein Blick in das eigene Ich. Egal wie peinlich das sein mag.

Noch einmal heute um 20 Uhr in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

Mikko Stübner

Zur Startseite