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Kultur: „Boing, fliegt mir die Krone runter“

Die Koloratursängerin Diana Damrau über Buhs, Beißereien und Doping in der Musikbranche

Frau Damrau, ich habe Ihnen Schokolade mitgebracht, „Ritter Sport Olympia“…

(lacht) Danke, das ist ja super!

Würden Sie die vor der Vorstellung essen?

Nein. In Schokolade können Nüsse drin sein, auf die bin ich ein bisschen allergisch. Da kann es passieren, dass stimmlich von mir nicht mehr viel zu hören ist.

An der Bayerischen Staatsoper sind Sie jetzt erstmals als Olympia, Antonia und Giulietta in Offenbachs „Les Contes d’Hoffmann“ zu hören, ein enormes Pensum. Was machen Sie am Tag der Premiere?

Ich versuche, so lange wie möglich zu schlafen und ausgiebig zu frühstücken. Dann gehe ich ins Theater und singe mich etwas ein. Zu Hause lese ich meinen Text, gehe alles noch mal geistig durch und versuche, mich noch mal kurz hinzulegen, bevor ich in die Maske muss. Allerdings wird mein einjähriger Sohn diesen Tag vermutlich anders gestalten wollen als ich.

Singt er schon?

Nein, momentan dirigiert er gerne.

Anna Netrebko sagt, sie fühle sich seit der Geburt ihres Sohnes viel weniger einsam, vor allem nach den Vorstellungen. Sängerkollegen, Regieteam, Orchester, Chor, Publikum und Fans – wie kann man sich da überhaupt einsam fühlen?

Wir sind nie lange an einem Ort. Mindestens alle zwei Monate reisen wir in eine andere Stadt und geben manchmal dazwischen noch Konzerte. Der Beruf verlangt Höchstleistung, in der Probenphase hat man für Freunde und Fans keine Zeit. Die kommen natürlich zu Vorstellungen, wollen danach essen gehen und dann fällt man um zwei, drei Uhr morgens ins Bett. Die freien Tage zwischen den Vorstellungen braucht man, um sich zu erholen. Viele verstehen das nicht. Dass man so auf sich aufpassen muss und sich immer fragt, „Darf ich mir das zumuten?“, das tut eigentlich am meisten weh.

Jacques Offenbach wollte, dass die drei Frauen in „Hoffmanns Erzählungen“ von einer Sängerin verkörpert werden. Das Publikum assoziiert Sie sicher am stärksten mit „Olympia“…

„Olympia“ ist wie ein Weltrekord im Hochsprung. Als Automat darf sie nicht einmal im Gesicht menschliche Regungen zeigen, das ist reine Körperbeherrschung. Und die Arie „Les oiseaux dans la charmille“ ist so virtuos zu singen, als würde man ein Instrument spielen. Das ist pure Artistik.

Der Tenor Roland Wagenführer sagte einmal: „Würde man heute eine Dopingkontrolle an den großen Opernhäusern durchführen, könnten nirgends zwischen New York und Wien Vorstellungen stattfinden“.

(lacht) Mit was dopen die sich denn bitte, kann mir das mal einer sagen?

Mit Betablockern, Alkohol, Cortison ...

Das würde ich nicht unterschreiben. No drugs, no sex, no Rock’n Roll und auch kein Alkohol. Nein, im Ernst, wenn man körperlich müde ist, ist das furchtbar. Aber es gibt keine Wundermittel. Das Einzige was hilft, ist schweigen und absagen.

Ist die Angst vieler Sänger um ihre Stimme vielleicht nur pure Eitelkeit?

Sie meinen so hypochondrische Sänger, die dauernd mit weißem Schal rumlaufen? Das ist typabhängig. Wir müssen immer Bestleistung geben, wenn etwas nicht funktioniert, versucht man, Gründe vorzuschieben wie in jedem anderen Beruf auch. Dann kommen solche Diva-Ausbrüche oder Beißereien. Es ist Unsicherheit, aber wohl keine Eitelkeit. Besser ist es, sich ein gutes Nervensystem zuzulegen. Mit Yoga oder mit Familie.

Macht die Branche die Sänger kaputt?

Man muss aufpassen. Man darf sich nicht verheizen lassen. Es ist gut, wenn einem die schlimmen Dinge ganz am Anfang passieren, dann weiß man später, was man darf und was man nicht darf. Ich zum Beispiel hatte während meines Studiums eine Unterbauchspiegelung und danach eineinhalb Jahre keine Stimme mehr. Mein rechtes Stimmband war verletzt und hatte ein Ödem. Ich habe 13 verschiedene Ärzte besucht.

Wie haben Sie es geschafft, wieder singen zu können?

Ich sagte mir, bevor ich nicht spüre, dass es in Ordnung ist, singe ich keinen Ton. Ich habe versucht, meinen Körper und meine Stimme zu verstehen. Das fällt einem leichter, wenn man noch studiert. Wer eine Familie versorgen muss oder Angst hat, von der Karriereleiter zu fallen, greift eben manchmal zu härteren Methoden, lässt sich vom Arzt was spritzen, jagt sich noch eine Tablette rein, um die Vorstellung zu schaffen, das macht es aber häufig nur schlimmer. Wir haben nur dies eine Instrument!

Als Sie 2004 in Mailand Ihr Debüt anlässlich der Wiedereröffnung der Scala gaben, hatten Sie da Angst, dass eine bezahlte Claque Sie ausbuhen könnte? Früher kam deren Anführer vorab in die Sängergarderoben und ließ sich den Applaus bezahlen.

Die Claque wurde sehr bekämpft, vor allem von Riccardo Muti, als er noch Musikdirektor in Mailand war. Aber ich bin mir meistens nicht sicher, ob „Bis“ wirklich „Zugabe“ heißt. Auf der Bühne kommt das immer als „Buh“ an.

Zugaben sind aus der Mode gekommen …

Es passiert jetzt wieder öfter. Juan Diego Flórez hat als einer der Ersten Arien wiederholt, denken Sie nur an „Ah, mes amis“ mit den neun hohen C‘s in „La fille du Regiment“. Alte Traditionen kommen wieder.

Kennen Sie die Geschichte von Birgit Nilsson, die sich während Wagners „Siegfried“ ein „Do not disturb“-Schild unter ihren Brustpanzer legte? Der arme Wolfgang Windgassen, der sie aufwecken musste, war ganz schockiert.

(lacht) Großartig. Früher, im Ensemble in Mannheim oder Frankfurt, da waren wir eine feste Gruppe und haben in der letzten Vorstellung einer Serie auch oft die „Sau“ rausgelassen. Aber jetzt, in den großen Häusern, wo alle nur für ein paar Vorstellungen zusammenkommen, alles superperfekt sein muss und es dann gleich zur nächsten Produktion geht, da bleibt keine Zeit für Spielereien.

Haben Sie Pannen auf der Bühne erlebt?

Meine erste „Königin der Nacht“ an der Bayerischen Staatsoper. Die setzen mir vom Kostüm so eine große Krone auf, ich sage noch: „Wollt ihr die nicht festmachen?!“ Die Antwort: „Des mach ma jetzt scho 35 Jahr. Des passt scho, die is noch nie runterg’falln!“ Ich habe meine Szene mit Pamina und sage laut „Was höre ich?“ , drehe den Kopf und boing, fliegt mir die Krone runter. Das Publikum stöhnt auf, Juliane Banse hat Tränen in den Augen vor Lachen, und ich denke nur „Oh Mist!“. Singen Sie dann mal „Der Hölle Rache“.

Als „Königin der Nacht“ spielten Sie schon früh eine Mutterrolle. Was halten Sie denn von alten Sängern, die junge Liebende verkörpern?

Wenn ich selbst aus der Entfernung des Zuschauerraums keine Jugendliche mehr abgeben würde, aber merke, es geht stimmlich noch, würde ich die Rollen nicht aufgeben, sondern mir Produktionen wählen, die darauf eingehen. Manchmal hat das Alter aber auch kaum Auswirkungen, es ist Wahnsinn, was Edita Gruberova mit ihrer Stimme macht. Für mich wäre am Ende der Karriere die Hexe in „Hänsel und Gretel“ ein Traum. Mein Sohn wird irgendwann schon sagen: „Mama, jetzt bist du aber etwas zu alt für Romeo und Julia!“

Interview: Marie von Baumbach

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