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Bon Iver im August 2018 bei einem Konzert in San Francisco.

© imago

Bon Iver in Berlin: Die Poesie des Roboters

Stille war früher: Bon Iver kommt mir wunderschönem, aber auch rätselhaftem digitalem Folk in die Berliner Max-Schmeling-Halle.

2006 lebte Justin Vernon einen urbanen Traum: Unzufrieden, pleite und mit einer gescheiterten Beziehung zieht er sich für drei Monate in die väterliche Jagdhütte in den Wäldern Wisconsins zurück. Hier, zusammen mit Gitarre und Samplern, verbringt er den Winter. Ergebnis dieser selbst gewählten Isolation war das Album „For Emma, Forever Ago“, ein melancholisches Indiefolk-Kleinod, mit dem sich Vernon unter dem Namen Bon Iver als sensibler Singer-Songwriter präsentierte und für Begeisterungsstürme unter Musikkritikern und Feuilletonisten sorgte.

Ein Gründungsmythos, der Bon Iver noch immer anhaftet – zu Recht: Vernon ist nach wie vor ein musikalischer Eigenbrödler, nur dass er die Akustikgitarre durch den Computer eingetauscht hat. So betritt er denn auch am Freitag die Bühne der ausverkauften Max-Schmeling-Halle, setzt sich Kopfhörer auf (die er für den Rest des Konzerts nur selten absetzt) und geht an den Laptop. „22 (Over Soon)“ erklingt, das Eröffnungsstück aus Bon Ivers drittem Album „22, A Million“ von 2016. Vernons Stimme wird zerhackt, verfremdet, verzerrt: ein poetischer Roboter, der mit sich selbst im Duett singt.

Innerlichkeitsmusik, eher kryptisch als intim

Das dritte Album, das vor allem durch seine rätselhaften Zahlenspiele und den exzessiven Einsatz von Stimm-Harmonizern aufgefallen war, beherrscht den Abend. Und zeigt: Dass Vernon sich verstärkt mit elektronischer Musik beschäftigt und mit Kanye West kollaboriert, hat Bon Iver eher noch unnahbarer gemacht. Ausgetüftelte Innerlichkeitsmusik, jedoch eher kryptisch als intim. Das Publikum schwankt zwischen ratlos und beglückt: Es ist wunderschön, was Bon Iver da präsentieren, doch so recht schlau wird man nicht aus den teils sehr sperrigen Klangexkursionen, der Mischung aus organisch und technoid, aus sanft hingetupfter Melancholie und prätentiösem Bombast. Ingesamt überwiegt das Wohlwollen, immerhin haben viele lange auf dieses einzige Deutschland-Konzert warten müssen: Bereits 2017 wollten Bon Iver kommen, hatten jedoch aus „persönlichen Gründen“ abgesagt.

Acht Musiker stehen auf der Bühne. Am stärksten sind Bon Iver jedoch, wenn Vernon ganz alleine ist und ausnahmsweise ohne Effekte auskommt. Wie bei „Re:Stacks“, wo nur Gitarre und Vernons hohe Kopfstimme zu hören sind und das trotzdem so viel größer wirkt als alle Überwältigungsgesten davor. Vernons Stimme steht die Stille gut – schade, dass es an diesem Abend zu wenig davon gab. Aber vielleicht taucht er irgendwann wieder aus seiner artifiziellen Laptop-Folk-Welt auf, wie dereinst aus seiner Hütte.

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