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Kultur: Bongo-Bongo, ergo bumm

Er sucht sich selbst und schlägt auf tote Tiere ein. Der Feind der Stille heißt: Trommler

Zu Pfingsten sah ich ihn, im strahlend hellen Mittag. Er stand, weithin für jedermann sichtbar, auf einer Grünfläche in der Mitte einer großen Straßenkreuzung. Sein Oberkörper war nackt, sein Haar war zu einem Zopf gebunden. Kraftvoll urinierte er in die Rabatten und beendete seine Performance mit heftigem Tropfenabschütteln. Dann schulterte der ungenierte Mann seine abgestellte Trommel und entschwand. Seitdem weiß ich, was „Karneval der Kulturen“ bedeutet.

Wenn der Sommer in die Stadt kommt, wird der Mensch fidel und gerät ins Ausschwärmen. Die Sonne scheint mir auf den Bauch, und genau das soll sie auch, reimt er dilettierend vor sich hin, denn diletto heißt Freude. Parkwärts zieht es ihn; eine kuschelige Decke rollt er zusammen, macht sich einen Picknickkorb zurecht, steckt ein Buch dazu, radelt ins Grüne und freut sich auf einen stillen Platz im Freien. Da will er liegen, lesen, ein bisschen wegdösen bei Vogelgezwitscher und sich am Dasein freuen.

Doch kaum hat er den Park erreicht, ist, wie in der Geschichte von Hase und Igel, immer schon einer vor ihm da. Das ist der Trommler. Meistens trifft der Mensch den Trommler im Schneidersitz an. Diese Haltung kommt dem Trommler erhaben und weise vor. Schlicht ist der Geist des Trommlers. Er hält sich für erleuchtet, dabei kann er nur eins: Lärmen. Krach machen. Luft und Welt volldonnern mit Geräusch. Fatt-Ploff-Pomm machen seine Hände auf seiner Trommel. Weil der Trommler nicht still sein kann, darf es Stille auch für niemanden sonst geben. Stille beunruhigt den Trommler, sie macht ihm Angst, er hasst sie. Der Trommler muss die Stille überdröhnen, sonst weiß er nicht, ob es ihn gibt. Wie die Grillsorte Mensch die Luft mit beißenden Rauchschwaden anfüllt, um sich der eigenen zweifelhaften Existenz zu versichern, muss der Trommler seine hausgemachte akustische Jauche ausbringen. Er kann gar nicht anders, Hohlheit ist sein Programm, da haut er drauf, und wenn es so richtig dröhnt in der Leere zwischen seinen Ohren, stammelt er stolz: Bongo-Bongo, ergo bumm.

So ist der Trommler, respektive die Trommlerin – auch viele Frauen hauen auf fellbespannte Klangkörper ein wie nichts Gutes. Ist es der Lockruf der Savanne, den sie im Wummern der Trommel vernehmen? Der atavistische Mix aus Stamm und Steppe und Mutti Erde? Ein urschlammiges Fruchtbarkeitsritual? Eine Nachricht, deren Morsecode nur sie selbst entschlüsseln? Und aus welcher nicht minder trüben Quelle speist sich der Aberglaube, das Eindreschen auf tote Tierhaut geschehe zur Freude der Menschen? Zu den zartesten, empfindsamsten Organen von allen zählt das menschliche Ohr. Filigran und fein ist das Trommelfell, es bedarf der Schläge nicht und nicht des Lärmens und Wummerns.

Hartnäckig hängt der Trommler den verschwiemelten Mythen von Urwüchsigkeit und peitschender Rhythmik an. Esoterisches Kling-Klang wabert durch seinen Kitsch- und Brausekopf, den ich mit einem zen-buddhistischen Koán zur Ruhe betten möchte, denn buddhistisches Getue findet der Trommler gut. Voilà: Wie ist der Klang der Geräuschlosigkeit? Wie klingt eine lautlos geschlagene Trommel? Im Beantworten dieser Frage möge der Trommler Glück finden – wenn nicht seins, dann doch wenigstens meines.

Wiglaf Droste

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