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Kultur: Bonne chance!

Elf Jahre nach Wim Wenders’ „In weiter Ferne, so nah“ kehrt Deutschland in den Wettbewerb von Cannes zurück: mit Hans Weingartners „Die fetten Jahre sind vorbei“

Volker Schlöndorff hat es geahnt. Doch dass er, obwohl unter den letzten vier Deutschen im zuletzt sehr heißen Auswahlverfahren, mit seiner NS-Geschichte „Der neunte Tag“ einem jüngeren Konkurrenten weichen musste, findet er „salomonisch und nachvollziehbar“. Zumal Cannes nach so vielen Jahren der Abwesenheit der Deutschen im Wettbewerb nun nicht gerade bei jemandem anknüpfen solle, der dort schon „mindetens ein halbes Dutzend Filme hatte“. Ganz recht: Schlöndorff startete in den späten Sechzigerjahren in Cannes mit seinem „Jungen Törless“ und holte 1979, sein größter Triumph an der Croisette, mit der „Blechtrommel“ die Goldene Palme.

Hans Weingartner heißt der 33-jährige gebürtige Österreicher, der nun, eher vorsichtig beglückt als lauthals jubelnd, mit seinem für den Wettbewerb nominierten Film „Die fetten Jahre sind vorbei“ in Schlöndorffs Fußstapfen treten könnte. Mit dem Erstling „Das weiße Rauschen“, seinem Abschlussfilm an der Kölner Kunsthochschule für Medien, gewann er vor drei Jahren den MaxOphüls-Preis, und nun hat er mit seiner frei (und recht sparsam) finanzierten Nummer zwei und dem ersten deutschen Wettbewerbsfilm seit Wim Wenders’ „In weiter Ferne, so nah“ (1993) den ganz großen Sprung nach Cannes geschafft. „Dass ich da jetzt neben Wong Kar-wei, den Coen-Brüdern und Kusturica auf der Liste stehe“, sagte er gestern gegenüber dem Tagesspiegel, „das ist schon hyperreal“.

Hyperreal war die wilde Schizophrenie-Story „Das weiße Rauschen“, die seinen Hauptdarsteller und Goldjungen des deutschen Kinos, Daniel Brühl, gleich mit berühmt machte. Brühl ist auch jetzt mit von der Partie in dem Film, den Weingartner bescheiden lieber „ungewöhnlich“ als „außergewöhnlich“ nennt und der noch vor wenigen Wochen „Jan Jule Peter“ hieß. Die Geschichte handelt von drei jungen Leuten auf der Suche nach dem, was Jugend eigentlich ausmacht: Rebellion. Aber das Auflehnungsmaterial in einer Welt, in der die Vorgeborenen sich bis zum Überdruss jugendlich geben, ist verdammt rar geworden. Also lässt das Trio sich was einfallen, bis es sich gefährlich – auch in Binnenliebesangelegenheiten – verfranst. Den Anfang der Verschwörung, deren weitere Hauptrollen mit Julia Jentsch („Mein Bruder, der Vampir“) und Stipe Erceg („Yugotrip“) besetzt sind, machen Drohbriefe, die sie den Reichen ihrer Stadt zukommen lassen: „die fetten jahre sind vorbei“.

In Sachen Cannes möchte man umgekehrt hoffen: Die mageren Jahre sind vorbei – und das nicht nur angesichts der beeindruckenden Erneuerungsbemühungen (siehe Kasten auf dieser Seite) für das zuletzt bedenklich kränkelnde Festival selbst, sondern besonders für den deutschen Film. Denn der Schmerz über die Abwesenheit deutscher Filme im Wettbewerb, so chronisch er nach einer Dekade geworden war, war zuletzt verständlicherweise auch immer spitzer geworden. Zwar waren sie in den Nebenreihen immer respektabel präsent (diesmal ist Angela Schanelecs „Marseille“ in der Sektion „Un certain regard“ zu sehen), aber das ließ die große Lücke im Zentrum nur noch deutlicher klaffen. Und das zu Zeiten, wo die Deutschen längst international – man denke an Caroline Links Oscar für „Nirgendwo in Afrika“ – wieder zu brillieren begannen.

Steter Tropfen wohl höhlte den Koloss dieses jahrzehntelang von Gilles Jacob repräsentierten Festivals – eines ebenso geachteten wie gefürchteten Patriarchen, der in Interviews schon mal gnädig-beiläufig verlautbarte, den neuen Fassbinder werde man schon nicht verpassen. Den Anfang machte die eifrige Lobby-Arbeit der deutschen Kulturminister, die – von Naumann über Nida-Rümelin bis Weiss – mit stetem Sehnen und Mahnen alljährlich bei Jacob vorstellig wurden. Einschneidender aber war sicher noch der überraschende Publikumserfolg von „Good Bye, Lenin!“ in Frankreich (knapp anderthalb Millionen Franzosen haben Daniel Brühl und die Seinen gesehen) und dann der Europäische Filmpreis für Wolfgang Beckers Weltbestseller, der ein Umdenken auch unter den Festivalmachern bewirkte.

Entscheidend aber für den Durchbruch dürfte der vor einigen Jahren formal eingeleitete Wechsel von Gilles Jacob zum Künstlerischen Direktor Thierry Frémaux sein, der erstmals sichtbar Früchte trägt. Der Mittvierziger hat nicht nur zwölf von 18 Regisseuren erstmals in den Wettbewerb geholt; er geht auch bewusst mit neuer Neugierde – und notwendig wachsamer Aufmerksamkeit für die unter Dieter Kosslick deutlich erstarkte Berlinale – an ein deutsches Kino heran, in dem Namen wie Dresen, Roehler oder eben auch Weingartner längst eine größere Rolle spielen als etwa Wenders, Herzog oder auch Schlöndorff. Und, siehe da, einer wie Schlöndorff tritt da schon mal elegant beiseite.

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