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Kultur: Boris Mikhailov: Der letzte Tango des Ostens

Boris Mikhailov fürchtet sich nicht. Er hat keine Angst gehabt vor der sowjetischen Macht, die ihm das Fotografieren verbieten wollte.

Boris Mikhailov fürchtet sich nicht. Er hat keine Angst gehabt vor der sowjetischen Macht, die ihm das Fotografieren verbieten wollte. Nackte Frauen hatte der Elektroingenieur abgelichtet, das kostete ihn 1956 seinen Job in der Fabrik. Was der Künstler nicht weiter bedauert hat. Er hat sich auch nicht gefürchtet vor den Obdachlosen, den Betrunkenen der postkommunistischen Zeit, deren Leben er in brutalen Bildern zeigte, die ihn zu einem der bekanntesten Fotografen Europas machten. Mikhailov fürchtet sich nicht vor Kitsch und nicht vor der Wirklichkeit, der er nachhilft, wenn sie nicht in sein Bild passt: Der Künstler dokumentiert und inszeniert, wechselt beständig zwischen Farbe und Schwarz-Weiß, Realismus und Surrealismus. Vor allem aber hat er keine Angst vor Gefühlen.

Der 63-Jährige, einer der bekanntesten Künstler der ehemaligen Sowjetunion, wurde gerade mit zwei großen Preisen ausgezeichnet, dem Citibank Photograph Prize in London und dem Hasselblad Award in Göteborg, für sein vielfältiges Gesamtwerk. Das begleitende Buch dazu hat einen bisher unveröffentlichten Ausschnitt gewählt: "Dance". Der Band ist eine berührende Wohltat in einer fotografischen Gegenwart, die Menschen gern entweder ganz aus den Bildern verbannt, weil sie die Architektur nur stören, oder sie nur noch - in der Masse - als Kulisse oder als Ikonen gelten lässt. Mikhailovs Menschen sind Menschen. Lebendige Menschen. Das ist nicht nur heute, das war auch damals, im Jahr 1978 in der Ukraine, unerhört. Damals sollten Menschen auf Fotos Arbeiter sein und Helden. Nicht alte Frauen im leichten Sommerkleid, die sich unter freiem Himmel an den Händen fassen und schweben. Nicht mittelalte Dandys mit Cowboyhut oder ordenbehängte Veteranen, die, die Hände am Po, rumhüpfen auf steinigem Boden mit vielen Rissen drin. Nicht lächelnde, ernste Wesen, die sich festhalten und schmücken, die wirbeln oder artig ein paar Schritte wagen, die trampeln und stampfen, miteinander, gegeneinander, nebeneinander, jeder nach seiner Fasson. Sie ärgern sich, sie sehnen sich. Ein wenig traurig guckt manche Frau, die Männer gucken zu. Nicht nur die Ränder dieser Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind weich: Es sind unglaublich zarte, zärtliche Fotografien. Die Serie ist wie ein Film, man kann die Musik hören. Mikhailov hat selber getanzt, mit der Kamera, mal eng, mal auf Distanz, aber immer mit Gefühl. Und der Betrachter fühlt sich selbst vom Boden gehoben. Nein, Mikhailov fürchtet sich nicht. Nicht mal vor Berliner Fußballfreunden. In der Stadt, in der er seit einem DAAD-Stipendium auch einen Wohnsitz hat, hat er ihnen eine neue Serie gewidmet, die zur Zeit in der daad-Galerie in der Kurfürstenstraße zu sehen ist, in der Ausstellung "Remake Berlin". Dabei hat er seine Kamera nicht etwa brüllenden Hooligans in die offenen Münder gehalten - er ist ihnen unter die Arme gekrochen. Seine Jungs sind sportlich und verletzlich. Der Fotograf spielt mit dem Ball. Wo keiner ist, schmuggelt er ihn ins Bild. Er macht aus Bällen Babys, entdeckt Kugeln und Witz, wo andere nur profane Straßen-Poller sehen. Und assoziiert fröhlich drauf los: Bälle, Busen ... In Farbe und Schwarz-Weiß lässt er Hunde, Kinder, Frauen hüpfen und springen. Ja, der Ukrainer lässt die Berliner tanzen. (The Hasselblad Award 2000. Boris Mikhailov. Dance. Hasselblad Center, Göteborg, 87 Seiten, 68 DM. Erhältlich zum Beispiel in der Berliner Buchhandlung Bücherbogen). Die Fußballbilder sind in dem von Kathrin Becker und Urs Stahel herausgegebenen Band "Remake Berlin" enthalten (Steidl Verlag, 236 Seiten, 58 DM).

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