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Kultur: Bowling für Pamela

Kasachstan gegen Amerika: Sacha Baron Cohen und seine Kinosatire „Borat“

Eigentlich zieht der britische Komiker Sacha Baron Cohen in „Borat“ aus, um die Amerikaner und ihre Zivilisation bloßzustellen. Aber bisher hat sich nur der kasachische Präsident Nasarbajew über die Kunstfigur aufgeregt, während die US-Kritiker beim Filmfestival in Toronto die Premiere der Doku-Satire regelrecht feierten. In „Borat“ tarnt sich Cohen, der als Hip-Hopper Ali G. im amerikanischen Fernsehen schon einen gewissen Kultstatus erlangt hat (Tagesspiegel vom 28. Oktober), als kasachischer Journalist, der in die USA reist, um für seine Landsleute den „American way of life“ zu erforschen.

Was dieser Borat über sein fiktives Heimatland zu berichten weiß, ist ziemlich exotisch. Im Dorfe feiert man fröhliche antisemitische Volksfeste, Frauen werden in Käfigen gehalten und der Wein wird aus Pferde-Urin gewonnen. Tatsächlich nutzt Cohen die Figur des naiv-archaischen Dörflings in der großen weiten Welt als agent provocateur gegen die vermeintlich zivilisierte US-Gesellschaft, die mit allen erdenklichen Komödienmitteln oberhalb und vor allem unterhalb der Gürtellinie attackiert wird. Das fängt damit an, dass der Neuankömmling aus Kasachstan in der New Yorker U-Bahn jeden mit Handschlag und Bruderkuss begrüßt, seine Unterhosen im Teich des Central Park wäscht und seinen Stuhlgang auf offener Straße verrichtet. Fast alle Szenen dieses mockumentary sind dokumentarisch, teilweise mit versteckter Kamera gedreht.

Der Ekel in den Gesichtern der Passanten ist nicht gespielt. Echt ist auch die Szene, in der Borat in einer Rodeo-Show auftritt und dem Publikum versichert, dass Kasachstan auf der Seite der USA im „War of Terror“ steht – womit er die bellizistischen Aktivitäten der Amerikaner seit dem 11. September nicht mit dem politisch korrekten Label „Krieg gegen den Terror“, sondern als „Terrorkrieg“ bezeichnet. Die meisten Zuschauer jubeln auch noch, als er ausruft: „Möge George Bush das Blut von jedem Mann, jeder Frau, jedem Kind im Irak trinken.“ Erst als er die US-Nationalhymne auf sein eigenes glorreiches Heimatland umdichtet, setzen die Pfiffe ein.

Sacha Baron Cohen ist ein furchtloser Komiker – und seine Methode ist geeignet, im Wege der Realsatire bitter-lustige Wahrheiten an die Oberfläche zu ziehen. Vom Club der Altfeministinnen, mit dem er über die unzulängliche Größe des weiblichen Gehirns diskutiert, bis zur gediegenen Dinner-Party-Gesellschaft, zu der er eine afroamerikanische Prostituierte einlädt, lebt Cohens Strategie stets davon, dass er die Vorurteile seines Gegenübers bedient und durch derbe Übertreibung ins Groteske verzerrt. Wer sich dem kasachischen Hinterwäldler kulturell überlegen fühlt, wird von Borat vor laufender Kamera vorgeführt.

Bei aller anarchischer Provokationslust: Mit der Wahl der Figuren, die zum satirischen Abschuss freigegeben werden, macht Cohen es sich allzu einfach. Dass der ledergesichtige Rodeo-Manager dem schwulenfeindlichen Fremdling beipflichtet, dass der Waffenhändler im Mittleren Westen gegen die antisemitischen Äußerungen seines Kunden nicht protestiert und ein Verein von fanatischen Evangelisten Borats Seele theatralisch zu retten versucht, überrascht nicht wirklich. Schließlich werden hier gezielt die Stereotypen vom stockkonservativen Amerika bedient.

Den Konfrontationsstil mag Cohen mit dem Dokumentarfilm-Propagandisten Michael Moore („Bowling for Columbine“, „Fahrenheit 9/11“) gemeinsam haben. Aber erhellende Erkenntnisse liefert seine Doku-Satire nicht – mit ihren grobschlächtigen Humortiraden à la „American Pie“. Da wird die Stuhlprobe im Plastiksäckchen mit an den Essenstisch gebracht, und eine Nackt-Wrestling-Szene zwischen Borat und seinem fettleibigen Produzenten gibt die Sicht auf Körperregionen frei, die im Kino zum Glück in der Regel unerforscht bleiben.

Eine Handlungstruktur hat die lose Szenenfolge nicht. Borat wird auf die Suche nach seiner Traumfrau Pamela Anderson geschickt. Gegen Ende steigt Borat in ein Wohnmobil zu drei stockbetrunkenen Jugendlichen – sollte das die eigentliche Zielgruppe seines Filmes sein? So wie „Borat“ das verklemmte Amerika herausfordert, bedient das archaische Wesen des Fremdlings mit all seinem naturwüchsigen Sexismus, Antisemitismus und Fäkalhumor exakt die geheimen Sehnsüchte eben dieser Klientel.

Eine brillante Doppelstrategie: Wer endlich wieder herzhaft über einen frauen- oder schwulenfeindlichen Witz lachen will, ist in „Borat“ ebenso gut aufgehoben wie diejenigen, die ihre Vorurteile über das konservative Amerika bestätigt sehen wollen. Den richtig bösen Schock aber meidet der Film – mit marktorientierter Cleverness hat das einiges, mit subversiver Gesellschaftskritik jedoch kaum etwas zu tun.

Die Eskapaden des Sacha Baron Cohen, unter Kennern in der Trash-Ecke angesiedelt, haben sich erstaunlich schnell zum Mainstream gemausert. Dringend gebraucht werden sie offenbar als Blödel-Ventil einer an der political correctness und ihren Aktualitäten langsam irre werdenden amerikanischen Gesellschaft. Das reicht von der patriotisch kaum mehr ausbeutbaren Irak-Realität bis hin zu den zunehmend unsteten Manövern jenes Präsidenten, der das Kriegsabenteuer angezettelt hatte.

Dank des Medienwirbels ist das nächste Cohen-Projekt, wie der „Hollywood Reporter“ berichtet, bereits solide vorfinanziert: Universal Pictures hat sich für 42 Millionen Dollar die Filmrechte an „Bruno“ gesichert. Der „Borat“-Nachfolger, ein schwuler Lifestyle-Reporter, sorgt bei Interviews und Modenschauen für jede Menge Peinlichkeit. Nur aus Kasachstan stammt er diesmal nicht. Sondern – wie Kaliforniens Gouverneur Schwarzenegger – aus Österreich.

Ab morgen in 18 Berliner Kinos. OmU im Babylon Mitte, Cubix und FT Friedrichshain, OV im Cinestar SonyCenter

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