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Mehr als ein Gebäude: Feuerwehrmänner retten, was zu retten ist an der Glasgow School of Arts.

© AFP

Brand in der Glasgow School of Art: Das Wunder von Glasgow

Der Schock sitzt tief: Ein Brand im ehrwürdigen Jugendstil-Bau der Glasgow School of Art erinnert daran, wie wichtig die schottische Metropole für die internationale Kunstszene geworden ist.

Der Schock, kaum auszumalen: die Glasgow School of Art in Flammen. In den Mittagsstunden des 23. Mai erreichte die Feuerwehr der Alarm, am Abend war der Brand gelöscht, doch für Glasgow verbindet sich damit ein eigenes Drama. Die Akademie war seit ihrer Gründung vor über hundert Jahren immer schon mehr als nur ein Gebäude für Kunststudenten, sondern ein Inbegriff der Stadt. Auf dem höchsten Hügel Glasgows gelegen, stellt sie ein architektonisches Wahrzeichen dar und ist zugleich Symbol der kreativen Kräfte, die der schottischen Metropole zu neuem Weltruhm verhalfen. Zehn Tage liegt das große Feuer zurück, am heutigen Montag darf das Gebäude zum ersten Mal wieder nach den Gutachtern und Sicherheitskräften auch von anderen betreten werden. Normalen Schulbetrieb wird es trotzdem noch lange nicht geben.

Möglich, dass dann nochmals Tränen fließen wie am Tag des Brandes, als Studenten und Lehrer vor der Schule standen und mit ansehen mussten, wie Flammen und Rauchschwaden aus den Fenstern drangen, wie Feuer, Wasser und Ruß das Haus in eine Ruine zu verwandeln schienen. Zum Glück ist dieser schlimmste Fall nicht eingetreten. Das berühmteste Werk des schottischen Jugendstil-Architekten Charles Rennie Mackintosh konnte gerettet werden. Neunzig Prozent der Bausubstanz aus Sandstein blieb erhalten, sogar zahlreiche Kunstwerke der für den Abend geplanten Abschlussausstellung wurden noch rechtzeitig herausgetragen.

Ein Projektor, der im Keller explodiert und den für eine Installation verwendeten Montageschaum entzündet hat, soll die Ursache für den Brand gewesen sein. Darin steckt besondere Bitterkeit, denn neben der hinreißenden Architektur sind es die Absolventen, die den Ruhm der Glasgow School of Art begründet haben. In den letzten Jahren haben sechs von ihnen den Turner-Preis gewonnen, neun weitere wurden nominiert. Oscar-Gewinner Douglas Gordon, Simon Starling, David Shrigley, Cathy Wilkes, Carla Black, Jim Lambie studierten hier und haben den Ruf der legendären Kunststadt seit den nuller Jahren in die Welt getragen.

Das Staunen über dieses Phänomen ging so weit, dass schon bald die Rede vom „Glasgow Miracle“ war, ein von dem Kurator Hans Ulrich Obrist geprägter Begriff, der in der Stadt selbst nicht nur auf Gegenliebe stößt. Schließlich vollzieht sich mit dem Erfolg der jungen Kunst aus Glasgow kein Wunder. Am „Mac“, wie die Akademie liebevoll genannt wird, lehren die Professoren nicht mit Zaubermitteln. Vielmehr greifen in der Stadt verschiedene Kräfte ineinander, an deren Ende manch bemerkenswerte Künstlerkarriere steht. Schottlands einst bedeutendster Industriestandort, dessen Niedergang dramatisch war, hat sich der Kultur zur Regenerierung und Neudefinition besonnen. Das Modell kennt man aus anderen Metropolen wie Bilbao oder ganzen Regionen wie dem Ruhrgebiet.

Glasgow aber investiert nicht nur in neue Musentempel wie das im vergangenen 2013 zum Europäischen Museum des Jahres erklärte Riverside-Transport-Museum von Zaha Hadid. Seit der Benennung zur Europäischen Kulturhauptstadt vor 24 Jahren wird gezielt Geld in Maßnahmen zur Strukturverbesserung gesteckt. Mehrere Atelierhäuser in ehemaligen Industriegebäuden wurden für Künstler bereitgestellt, Produktionsgalerien unterstützt, Räume neu geschaffen wie etwa jenes alte S-Bahngebäude, das heutige „Tramway“, das neuerdings als Veranstaltungsort für Kunst, Tanz und Theater dient. Dort soll übrigens 2015 die Turner- Preis-Ausstellung stattfinden, eine Anerkennung der aus Glasgow empfangenen Impulse für den wichtigsten Kunst-Wettstreit im Vereinigten Königreich.

Wie in Berlin sind es auch in Glasgow die Freiräume, die Schwebezustände, die junge Künstler anziehen

Ein anderer kultureller Exportartikel ist die Musik. Bands wie Franz Ferdinand, Mogwai, Belle & Sebastian tragen das Label Kultur „made in Glasgow“ ebenfalls hinaus in die Welt. „God Help The Girl“, der beschwingte Eröffnungsfilm der Berlinale-Sektion „Generation 14 Plus“, gab den Kinobesuchern eine Vorstellung davon, wie musikalisch die Stadt ist, welche Nischen sie jungen Leuten bietet, die sich kreativ betätigen. Produziert hat den Film Stuart Murdoch, Kopf der Band Belle & Sebastian, die übrigens im Rahmen eines Sozialprogramms für Arbeitslose gegründet wurde.

Ähnlich wie in Berlin sind es auch in Glasgow die Freiräume, der Schwebezustand einer Stadt, die günstigen Ateliers und Ausstellungsmöglichkeiten, die engagierten Galerien wie etwa The Modern Institute, die auf junge Künstler anziehend wirken. Wie attraktiv die Stadt ist, zeigt sich seit neun Jahren konzentriert stets im Frühjahr, wenn das knapp dreiwöchige Kunstfestival „Glasgow International“ stattfindet, vergleichbar der Berlin Art Week. Über 52 Ausstellungen präsentierte in diesem Jahr die neue Festivaldirektorin Sarah McCory. Die ehemalige Chefkuratorin der Londoner Frieze Art Fair hat noch eine andere Erklärung für den besonderen Erfolg Glasgows als Kunststadt: die geringen Entfernungen, innerhalb kürzester Zeit seien alle Orte erreichbar, man kennt sich untereinander.

Worin das „Glasgow Miracle“ tatsächlich besteht, könnte schon bald enthüllt sein: Vor zwei Jahren erhielt die School of Art eigens Fördermittel in Höhe von 122 500 Pfund für ein Forschungsprojekt, um mithilfe von Interviews und eines neuen Zeitungs- und Fotoarchivs herauszufinden, welche Faktoren die Künstlerkarrieren der letzten Jahre befördert haben. Mit dem dramatischen Brand der School of Art dürfte vielen mit einem Ziehen in der Brust zu Bewusstsein gekommen sein, was Mackintoshs einmalige Architektur, was das Flair der Schule ihnen bedeutet hat.

Wer sie einmal besucht und Studenten mit ihren Grafikmappen unter dem Arm die berühmte Treppe herunterkommen sah, Lehrer wiederum auf dem Weg nach oben, der spürte sofort die über ein Jahrhundert unversehrt gebliebene Leichtigkeit, Freude am Lernen, den Aufbruchsgeist, der hier herrscht, und wie er auch aus Oskar Schlemmers berühmtem Gemälde der Bauhaus-Treppe spricht. Der östliche Teil der Glasgow School of Art, der zwischen 1897 und 1899 entstand und die Möbelsammlung sowie das Schularchiv beherbergt, blieb glücklicherweise von den Flammen weitgehend unberührt.

Der zwischen 1907 und 1909 hinzugefügte Westflügel allerdings, in dem sich die berühmte Mackintosh-Library befand, mit Zeitschriften aus dem frühen 19. Jahrhundert und Veröffentlichungen über den legendären Jugendstil-Architekten und -Designer, hat schwere Schäden davongetragen. Die von Mackintosh mit ihren Leselampen, Schreibpulten, Bücherregalen als Gesamtkunstwerk, als Herzstück im Inneren, gestaltete Bibliothek – sie ist unwiederbringlich verloren. Der Wiederaufbau des zerstörten Gebäudeteils soll drei bis vier Jahre dauern, heißt es bereits. Schon hat die britische Regierung Gelder in Millionenhöhe zugesagt. Welche Folgen der Brand für Glasgow als Kunststadt aber birgt – es ist nicht auszumalen.

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