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Die retuschierte und kolorierte Fotografie des Brandes vom 19. September 1914 gab es viele Jahre als Postkarte.

© Yann Harlaut / Buch Gaehtgens

Brand von Notre-Dame: Abbild des Himmels

Notre-Dame in Flammen: Erinnerungen an den Brand von Reims, Symbol des Ersten Weltkriegs.

Am Morgen nach dem Brand von Paris brachten alle Zeitungen ihn auf der Titelseite. „Feuerhölle Notre-Dame“, setzte die Zeitung mit den großen Buchstaben über ihr Foto der brennenden Kathedrale. Die Assoziation war klar: In der Hölle brennt ewiges Feuer – aber hier traf das Wortspiel mehr als bei irgendeiner anderen Katastrophe zu. Denn in Paris tat sich die Hölle auf als Gegensatz des Himmels, den der Kirchenbau versinnbildlicht. „Sie bauten ein Abbild des Himmels“, war vor Jahrzehnten eine Dokumentarreihe im Fernsehen betitelt, die den Zuschauern die Schönheit, aber auch die Symbolik der gotischen Kathedralen nahebringen wollte.

Keine Epoche kam dem Himmel in ihrer Baukunst näher als die Gotik. Die schmalen, steil und immer steiler aufragenden Kirchenschiffe, beleuchtet vom glühenden Farbenspiel, das die Sonne durch die Glasmalereien der Fenster in den halbdunklen Innenraum wirft – nirgends sonst, nicht in der monumentalen Ruhe der Romanik, nicht in der überbordenden Pracht des Barock, kommt der Gläubige, aber auch der Nicht-Gläubige einer Ahnung von Transzendenz näher als in einer Kathedrale der Gotik.

Der stürzende Dachreiter, ein Fanal des Untergangs

Natürlich hat die Pariser Kathedrale Notre-Dame eine Bedeutung darüber hinaus; sie ist als Hauptkirche der Hauptstadt zugleich ein nationales Symbol. Als solches rief ihr Brand Entsetzen hervor, bis hin zum Staatspräsidenten, der seinen Tageskalender beiseite schob und Worte der Erschütterung fand. Zum Glück verlief der Brand weniger verheerend, als erste Befürchtungen es ausmalten. Der in die Flammen stürzende Dachreiter – ein Zusatz des 19. Jahrhunderts – wirkte wie ein Fanal des Untergangs, schaurig beleuchtet vom aufstiebenden, rotglühenden Rauch. Doch die steinernen Gewölbe blieben weitgehend intakt; was verbrannte, ist der hölzerner Dachstuhl, sind die Bleiplatten der Bedachung.

Auch in Reims brannte der Dachstuhl nieder

Der Brand von Paris hat eine eigentümliche Parallele. Im Ersten Weltkrieg, gleich im September 1914, geriet die Kathedrale von Reims in Brand; sie hat, nebenbei, als Krönungskirche der französischen Könige den ersten Rang unter Frankreichs Kirchen inne. Auch in Reims brannte der Dachstuhl nieder, auch dort war ein hölzernes Gerüst, aufgestellt zu Renovierungsarbeiten, der Verstärker des Brandes. In Reims, der mitten im Frontverlauf liegenden Stadt, war die Beschädigung der Kathedrale ungleich stärker, als sie es in Paris glücklicherweise ist. Doch eingeprägt hat sich das Bild einer im Ganzen brennenden Kirche.

Vor der Erfindung der Farbfotografie mussten kolorierte Postkarten genügen, um die Katastrophe zu schildern; Retuschen, die uns Heutigen als allzu plump dünken, wurden damals für bare Münze genommen. Der Brand von Reims kam der französischen Kriegspropaganda wie gerufen, er diente dazu, die deutschen Angreifer, denen man die Schuld am Ausbruch des Feuers gab, fortan an als Barbaren zu schmähen. Doch mehr noch wurde Reims zu einem Symbol des Krieges und des Kriegsgrauens überhaupt.

Gaehtgens schrieb über "Die brennende Kathedrale"

Es ist diese Bedeutungsebene, die in der Erschütterung über den – zum Glück völlig zivilen – Brand von Paris mitschwingt; eine Ahnung dessen, was Krieg bedeutet. In seinen Feuerstürmen tut sich die Hölle auf, die die Schlagzeilen evozieren. Und gar der Brand einer Kirche! „Selten, wenn überhaupt jemals, hat der militärische Angriff auf ein Baudenkmal einen solchen Sturm der Empörung in Texten und Bildern ausgelöst“, konstatiert der Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens in seinem bemerkenswerten Buch von 2018, „Die brennende Kathedrale“, das den Brand von Reims ins Gedächtnis zurückgerufen hat.

Der Brand von Paris ruft keine vergleichbaren Assoziationen auf. Dass rund um den Globus Menschen entsetzt sind und Anteil nehmen, ist ein gutes Zeichen dafür, welche Wertschätzung dem bedrohten Kulturerbe mittlerweile zuteil wird. Aber auch ein Zeichen dafür, dass die gotische Kathedrale vielleicht doch so etwas ist wie ein Abbild des Himmels.

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