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Kultur: Braune Flecken auf der grauen Uniform? Schwieriges Gedenken: Kritik am Widerstand

Als in der Nacht zum 21. Juli 1944 der 37-jährige Offizier von Stauffenberg in die Mündungen des im Innenhof des Bendlerblocks angetretenen Erschießungskommandos blickte, rief er der Überlieferung zufolge seine letzten Worte: „Es lebe das heilige Deutschland!

Als in der Nacht zum 21. Juli 1944 der 37-jährige Offizier von Stauffenberg in die Mündungen des im Innenhof des Bendlerblocks angetretenen Erschießungskommandos blickte, rief er der Überlieferung zufolge seine letzten Worte: „Es lebe das heilige Deutschland!“ Im Gedenken der Bundesrepublik wurden die Männer des 20. Juli nach dem Krieg zur Chiffre der Geschichtspolitik: dafür, dass nicht ganz Deutschland Braunschweig war, wie ein Witz aus der Nazizeit kalauerte: Die eine Hälfte braun, die andere schweigt.

Die Männer, derer heute gedacht wird, scheinen geeignet, stellvertretend die Existenz einer Minderheit der Anständigen in der Zeit des Staatsterrorismus zu beweisen. Doch war es wirklich ein „Aufstand des Gewissens“? Die Antwort auf diese Frage ist unter Wissenschaftlern keineswegs eindeutig. Der Berliner Historiker Christian Gerlach erhob schon im Buch zur Wehrmachtsausstellung Vorwürfe (Hamburger Edition 1995). Gerlach bezweifelt darin Darstellungen, denen zufolge die Militärs durch die Verbrechen im Osten zum Widerstand motiviert wurden. Ihm zufolge waren manche Verschwörer nicht nur über Hitlers Vernichtungskrieg frühzeitig informiert, sondern auch darin verstrickt.

Laut Gerlachs Forschungen soll Henning von Tresckow, einer der Köpfe des Widerstandes, Pläne zur Gefangennahme oder sofortigen Erschiessung aller männlicher Zivilisten in „bandenverseuchten Gebieten“ mit dem handschriftlichen Vermerk „zur besonderen Beachtung“ an diverse Heeresdienststellen weitergeleitet haben. Und der Widerstandsheld Yorck von Wartenburg sei „eine Art Multifunktionär“ bei der Ausplünderung sowjetischer Gebiete gewesen, die mit der Ausrottung von Teilen der Zivilbevölkerung einherging. Demnach hätten etliche Widerstandskämpfer Hitler erst beseitigen wollen, als der Krieg offensichtlich verloren war. Gerlachs Vorwürfe sind allerdings im Detail umstritten.

Weitere Quellen trug das von dem Militärhistoriker Christian Überschär herausgegebene Buch „NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler“ zusammen (2000). Viele Widerständler, so die Autoren, billigten das Vorgehen im Osten. Winfried Heinemann schreibt darin, dass von Tresckow als Chef der Partisanenbekämpfung der Heeresgruppe schon Mitte 1942 einen Vorschlag zur Erschießung von 100 „Bandenmitgliedern und deren Familienangehörigen“ an Hitler weitergeleitet habe. Auch Walther von Brauchitsch wird Ähnliches vorgeworfen. Die Liste ließe sich verlängern.

Was motivierte die konservativen Militärs, Hitler zu beseitigen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht abschließend geklärt. Die meisten der konservativen Oppositionellen waren scharfe Antikommunisten, und beim Kampf gegen die Rote Armee wurden offenbar auch Verbrechen gegen Zivilisten (und Juden) von einigen in Kauf genommen.

Das Gedenken am 20. Juli gilt dem späten, aber zweifellos aussichtsreichsten Versuch, das System des Nationalsozialismus zu beseitigen. Zum Widerstand in seiner gesamten Breite gehörten allerdings noch andere: der gewaltlose Protest der Studenten um die Geschwister Scholl, die kommunistischen Aktionen direkt nach 1933, der jüdische Widerstand von Mitgliedern der Gruppen um Herbert Baum und zivile Einzeltäter wie Georg Elser – um nur einige zu nennen. In fast allen Biographien findet man Brüche. Darf man diese Männer trotzdem ehren? Ja. Hans Scholl war als junger Mensch ebenso wie Stauffenberg zunächst begeisterter Anhänger Hitlers. Und Hans Winkler von der Luckenwalder „Gemeinschaft für Frieden und Aufbau“ arbeitete für die Gestapo, bevor er Flugblätter gegen Hitler druckte. Das Bedürfnis nach „reinen Helden“ ist verständlich. Die Geschichte aber befriedigt solche Erwartungen nur selten.

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