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Im Januar kamen die Enthüllungen über den ersten Berlinale-Leiter Alfred Bauer an die Öffentlichkeit.

© Konrad Giehr/dpa

Braune Kontinuität der Berlinale: Alfred Bauer war ein wichtiger Filmfunktionär in der NS-Zeit

Eine Studie zur NS-Vergangenheit des Berlinale-Gründungsdirektors ist veröffentlicht. Das Münchner Institut für Zeitgeschichte bestätigt damit Medienrecherchen.

Das Münchner Institut für Zeitgeschichte bestätigt, dass die Rolle des Berlinale-Gründungsdirektors Alfred Bauer in der Reichsfilmintendanz bedeutender war als bisher bekannt. Eine gut 60-seitige Vorstudie, die auch dem Tagesspiegel vorliegt, dokumentiert, dass Bauer durch seine Tätigkeit „einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Funktionieren des deutschen Filmwesens während der NS-Diktatur und damit zur Stabilisierung und Legitimierung der NS-Herrschaft geleistet“ habe, schreibt der Verfasser Tobias Hof, Historiker an der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität. Bauer leitete die Berliner Filmfestspiele von 1951 bis 1976.

Als Referent von Reichsfilmintendant Fritz Hippler (1942/43) und anschließend von Hans Hinkel (1944/45) war Bauer während der NS-Zeit ein wichtiger Funktionär, „der seine Aufgabe engagiert und pflichtbewusst erledigte“. Auch habe er seine Rolle nach 1945 systematisch durch Falschaussagen und Halbwahrheiten verschleiert und sich das Image eines überzeugten NS-Gegners zugelegt. Die Studie betont hier Bauers "Dreistigkeit und Penetranz". So habe er etwa seine zahlreichen Mitgliedschaften in NS-Parteiorganisationen und der SA bewusst gesucht und sei nicht unter Zwang etwa in die NSDAP eingetreten, wie er später behauptete.

Ende Januar hatte „Die Zeit“ die bisherige Bauer-Darstellung als weitgehende Legende entlarvt und enthüllt, dass er kein Mitläufer war, sondern ein aktiver Nationalsozialist. Die Studie belegt nun, dass Bauers Rolle in der NS-Zeit, wie sie sich in einer von der Deutschen Kinemathek geplanten Monografie darstellte, lückenhaft und dadurch geschönt war. Die Berlinale hatte die Studie nach den Medien-Enthüllungen in Auftrag gegeben und ihren nach Alfred Bauer benannten Preis ausgesetzt. Die Auszeichnung wird künftig durch einen „Silbernen Bär Preis der Jury“ ersetzt, wie das Festival vor einigen Wochen bekanntgab. Die Kinemathek zog ihre fertige Publikation im Februar kurzfristig zurück.

Die Recherchen der "Zeit" sind korrekt

Die Studie bestätigt und untermauert auch insgesamt die „Zeit“-Recherchen. Das dort zitierte Persönlichkeitsgutachten des Würzburger NSDAP-Ortsgruppenleiters, in dem Bauer als „eifriger SA-Mann“ charakterisiert wird, hält sie für glaubwürdig. Grundlage der Studie, die neben Bauers Anfängen die Bedeutung der Reichsfilmintendanz und die Kontinuitäten in der unmittelbaren Nachkriegszeit beleuchtet, sind stichprobenartig ausgewertete und schon länger zugängliche Archivalien, etwa aus dem Bundesarchiv und dem Berliner Landesarchiv. Den Dokumenten zufolge war Bauer über sämtliche Vorgänge in der NS-Filmindustrie informiert und spielte bei der Produktionsplanung eine zentrale Rolle.

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Bauer war dem Reichsfilmintendanten direkt unterstellt, als einer von zwei Referenten. Zur Produktionsplanung gehörten neben Dreherlaubnissen (also der Zensur) sowie Personal- und Gehaltsfragen auch die Unabkömmlichkeitsstellungen und der Einsatz von Zwangs- und Fremdarbeitern.

Weitere Recherchen sind erforderlich

„Anhand der gesichteten Dokumente lässt sich nachweisen, dass die führenden Mitarbeiter der RFI von der Zwangsarbeit in der Filmbranche Kenntnis hatten“, heißt es in der Studie. „Dabei handelte es sich zum einen um sogenannte ,Ostarbeiter', die in Baracken mit Kapazitäten von über 600 Personen auf dem UFA-Gelände in Potsdam-Babelsberg untergebracht waren. Diese Listen weisen auch die Namen von über 100 Frauen und Kindern auf.“ Zum anderen wurden auch Kriegsgefangene verpflichtet.

Die Zwangsarbeit sei von der Reichsfilmintendanz ohne Widerspruch geduldet worden, so Tobias Hof. Wobei er hinzufügt, dass die genaue Rolle von Alfred Bauer hier noch nicht abschließend bewertet werden könne.

Bauer, 1911 in Würzburg geboren, hatte dort Rechtswissenschaften studiert. Seine Dissertation gilt als verschollen, ein Nachlass existiert nicht, weitere Recherchen sind also erforderlich. Tobias Hof kommt auch insgesamt zu dem Schluss, dass es große Forschungslücken in der Geschichte der deutschen Filmbranche gibt.

Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek nennt die neuen Erkenntnisse über den ersten Festivaldirektor „bestürzend“. Sie veränderten den Blick auf die Gründungsjahre des Festivals, auch stelle sich die Frage nach den personellen Kontinuitäten in der deutschen Kulturszene nach 1945. Die Studie verändert auch den Blick auf die Stiftung Deutsche Kinemathek, deren Aufgabe es längst gewesen wäre, die NS-Tätigkeiten Alfred Bauers für ihre Berlinale-Chroniken zu recherchieren. Ein großes Versäumnis.

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